Als die Taliban kamen, sprang Muhammad Yusuf auf die Ladefläche eines Lastwagens:
"Der Lastwagen hatte Obst geladen. Ich habe mich zwischen Melonen versteckt."
In der Provinz Kundus ging die Angst um, dass die Taliban junge Männer entweder zwangsrekrutieren oder töten würden. Zwischen den Melonen eingeklemmt, musste Muhammad stundenlang ausharren. Als er endlich vom Lastwagen kletterte, stand er vor den Ruinen des einfachen, aus Lehm gebauten Familienhauses:
"Es gab Kämpfe in unserem Dorf, zwischen den Taliban und der Armee. Eine Rakete hatte unser Haus getroffen, eine Mauer war zusammen gebrochen. Meine Mutter wurde unter den Trümmern begraben. Ein Bein war gebrochen. Ihr Rücken und ihre Schulter waren verletzt. Es gab weit und breit keinen Arzt, der uns helfen konnte. Seitdem kann sie nicht mehr sprechen. Manchmal lacht sie, manchmal weint sie."
"Der Lastwagen hatte Obst geladen. Ich habe mich zwischen Melonen versteckt."
In der Provinz Kundus ging die Angst um, dass die Taliban junge Männer entweder zwangsrekrutieren oder töten würden. Zwischen den Melonen eingeklemmt, musste Muhammad stundenlang ausharren. Als er endlich vom Lastwagen kletterte, stand er vor den Ruinen des einfachen, aus Lehm gebauten Familienhauses:
"Es gab Kämpfe in unserem Dorf, zwischen den Taliban und der Armee. Eine Rakete hatte unser Haus getroffen, eine Mauer war zusammen gebrochen. Meine Mutter wurde unter den Trümmern begraben. Ein Bein war gebrochen. Ihr Rücken und ihre Schulter waren verletzt. Es gab weit und breit keinen Arzt, der uns helfen konnte. Seitdem kann sie nicht mehr sprechen. Manchmal lacht sie, manchmal weint sie."
Während des Gesprächs schluchzt Bibi Sharaf, Muhammads Mutter, laut auf. Ihr rechter Schienbeinknochen ist krumm und schief, die Haut darüber ist vernarbt. Bibi hört jedoch aufmerksam zu, als ihr Sohn von jenem Tag im vergangenen Winter erzählt, an dem die Familie alles verlor.
Ausharren am Stadtrand von Kabul
Bibi und Muhammad stammen aus der Provinz Kundus, aus dem Bezirk Char Dara. In Char Dara war es schon immer unruhig. Auch Bundeswehr-Soldaten sind dort gestorben, bevor sich die deutschen Kampftruppen 2013 aus der Region zurückzogen.
"Aber im vergangenen Jahr wurde es richtig schlimm. Wir konnten keine zehn Meter mehr aus dem Haus gehen. Wir konnten keine Lebensmittel mehr besorgen. Das ging fünf, sechs Tage lang", sagt Abdul Fatah, Muhammads Onkel. Weil die Lage einfach nicht besser wurde, entschloss sich die Familie im Winter 2016 zur Flucht.
"Aber im vergangenen Jahr wurde es richtig schlimm. Wir konnten keine zehn Meter mehr aus dem Haus gehen. Wir konnten keine Lebensmittel mehr besorgen. Das ging fünf, sechs Tage lang", sagt Abdul Fatah, Muhammads Onkel. Weil die Lage einfach nicht besser wurde, entschloss sich die Familie im Winter 2016 zur Flucht.
Muhammad und seine verletzte Mutter hatten sich schon vorher ins 160 Kilometer entfernte Mazar-i-Sharif durchgeschlagen. In Mazar gibt es funktionierende Krankenhäuser. Die anderen Familienmitglieder, zehn an der Zahl, suchten in einer benachbarten Region Schutz. Aber auch der Nachbarbezirk wurde schließlich zur Kampfzone.
Jetzt hockt die Familie am Stadtrand von Kabul im Staub, so, als sei sie gerade einfach vom Lkw entladen worden. Eine Plane, ein Teppich, eine Plastikkanne für Wasser, ein kleiner Gaskocher und ein paar Kleidungsstücke - das ist alles, was sie haben. Die kleinen Kinder sind verdreckt. Eine Schule gibt es hier nicht. Und selbst wenn, dann würde das wenige Geld der Familie nicht reichen für Kleidung, Schreibstifte oder auch nur ein Heft.
Kabul ist voller Kriegsflüchtlinge
"Wir gehen morgens zum nächsten Markt und arbeiten als Tagelöhner, als Träger zum Beispiel. Aber dort finden wir nur alle zwei, drei Tage einen Job."
Wenn es in Kabul irgendetwas im Überfluss gibt, dann ein Angebot an Tagelöhnern. Die Stadt ist voller Kriegsflüchtlinge wie Abdul Fatah und Muhammad. Das drückt die Preise. Die beiden Männer kommen pro Tag, wenn sie denn Arbeit haben, auf 60 bis 70 Afghani. Das ist nicht mal ein Euro. In ihre Heimatprovinz Kundus können sie nicht zurück. Das Haus ist zerstört, und ein Großteil von Kundus ist jetzt in der Hand der Extremisten. In Char Dara haben die Taliban sogar eine Art eigene Verwaltung aufgebaut.
Für Nasir Khan war der Krieg dagegen 28 Jahre lang weit weg. 1988 floh der damals sechs Jahre alte Nasir mit seiner Familie vor den Kämpfen zwischen der sowjetischen Roten Armee und afghanischen Widerstandsgruppen. Auch er stammt aus der Provinz Kundus. Seine Heimat war auch damals, in den 80er-Jahren, schwer umkämpft. Seitdem lebte Nasir in Pakistan, in der Nähe der Großstadt Peschawar. So wie geschätzt drei Millionen Afghanen, die entlang der Grenze zwischen beiden Ländern in Pakistan Unterschlupf erhielten. Nasir fand in Pakistan Freunde. Er hatte ein Zuhause und baute sich ein kleines Lebensmittelgeschäft auf:
"Aber seit einigen Monaten kam ständig die Polizei vorbei und erpresste Geld von mir. Immer mit der Begründung, dass unsere Papiere nicht mehr gültig sind."
Wenn es in Kabul irgendetwas im Überfluss gibt, dann ein Angebot an Tagelöhnern. Die Stadt ist voller Kriegsflüchtlinge wie Abdul Fatah und Muhammad. Das drückt die Preise. Die beiden Männer kommen pro Tag, wenn sie denn Arbeit haben, auf 60 bis 70 Afghani. Das ist nicht mal ein Euro. In ihre Heimatprovinz Kundus können sie nicht zurück. Das Haus ist zerstört, und ein Großteil von Kundus ist jetzt in der Hand der Extremisten. In Char Dara haben die Taliban sogar eine Art eigene Verwaltung aufgebaut.
Für Nasir Khan war der Krieg dagegen 28 Jahre lang weit weg. 1988 floh der damals sechs Jahre alte Nasir mit seiner Familie vor den Kämpfen zwischen der sowjetischen Roten Armee und afghanischen Widerstandsgruppen. Auch er stammt aus der Provinz Kundus. Seine Heimat war auch damals, in den 80er-Jahren, schwer umkämpft. Seitdem lebte Nasir in Pakistan, in der Nähe der Großstadt Peschawar. So wie geschätzt drei Millionen Afghanen, die entlang der Grenze zwischen beiden Ländern in Pakistan Unterschlupf erhielten. Nasir fand in Pakistan Freunde. Er hatte ein Zuhause und baute sich ein kleines Lebensmittelgeschäft auf:
"Aber seit einigen Monaten kam ständig die Polizei vorbei und erpresste Geld von mir. Immer mit der Begründung, dass unsere Papiere nicht mehr gültig sind."
Im Juni begann der Polizeiterror in Pakistan
Etwa 1,5 Millionen der afghanischen Flüchtlinge sind offiziell in Pakistan registriert, auch Nasir. Die pakistanische Regierung hatte vor wenigen Jahren damit begonnen, ihnen entsprechende Ausweise auszustellen. Aber seine Registrierungskarte, sagt Nasir, sei ausgelaufen. Und niemand in Pakistan wollte sie verlängern:
"Es fiel uns sehr schwer zu gehen. Wir haben mitten unter Pakistanern gelebt. Aber am Ende durften wir keine Wohnung mehr mieten, wir hatten keine Rechte mehr. Das Leben wurde zu hart."
Fazil, ein junger Mann mit Baseballmütze, hört aufmerksam zu. Dann mischt er sich ein:
"Die Pakistaner sagten einfach nur: Geht zurück in Euer Land. Und auf den Straßen, überall, wo die Polizei Kontrollpunkte errichtet hatte, verlangten sie Geld von uns. Wir durften nicht mal mehr eine SIM-Karte fürs Handy kaufen."
Angefangen hatte der Polizeiterror im Juni, sagen Fazil und Nasir. Damals hatten sich afghanische und pakistanische Soldaten an einem Grenzübergang tagelang beschossen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern erreichten einen neuen Tiefpunkt. Afghanistan wirft Pakistan vor, die Taliban zu unterstützen. Pakistan behauptet, unter den Flüchtlingen seien anti-pakistanische Terroristen. Seitdem macht Pakistan ernst und drängt die afghanischen Flüchtlinge massiv aus dem Land.
"Es fiel uns sehr schwer zu gehen. Wir haben mitten unter Pakistanern gelebt. Aber am Ende durften wir keine Wohnung mehr mieten, wir hatten keine Rechte mehr. Das Leben wurde zu hart."
Fazil, ein junger Mann mit Baseballmütze, hört aufmerksam zu. Dann mischt er sich ein:
"Die Pakistaner sagten einfach nur: Geht zurück in Euer Land. Und auf den Straßen, überall, wo die Polizei Kontrollpunkte errichtet hatte, verlangten sie Geld von uns. Wir durften nicht mal mehr eine SIM-Karte fürs Handy kaufen."
Angefangen hatte der Polizeiterror im Juni, sagen Fazil und Nasir. Damals hatten sich afghanische und pakistanische Soldaten an einem Grenzübergang tagelang beschossen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern erreichten einen neuen Tiefpunkt. Afghanistan wirft Pakistan vor, die Taliban zu unterstützen. Pakistan behauptet, unter den Flüchtlingen seien anti-pakistanische Terroristen. Seitdem macht Pakistan ernst und drängt die afghanischen Flüchtlinge massiv aus dem Land.
Das Flüchtlingshilfswerk registriert die Rückkehrer aus Pakistan
Nasir und Fazil hocken zwischen zwei bunt bemalten Lastwagen, auf denen ihre Familien ihr ganzes Hab und Gut gestapelt haben. Stühle, Bettgestelle, Teppiche ragen über die Ladefläche. Die beiden Männer suchen Schatten. Sie sind müde. Ihre unfreiwillige Fahrt nach Afghanistan dauert schon sechs Tage.
Vielleicht 80 Lastwagen stehen an diesem Morgen auf einer mehrere Fußballfelder großen, staubigen Fläche an der Straße, die Kabul mit Pakistan verbindet. Ein Zaun trennt den Parkplatz von einem kleinen Zeltdorf. Polizisten bewachen das Areal. Hier hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das UNHCR, eine Registrierungsstelle für die Rückkehrer aus Pakistan eingerichtet.
Maya Ameratunga steht vor einem der Zelte und schaut fassungslos auf den Parkplatz auf der anderen Seite des Zauns, auf die lange Reihe an Lastwagen. Die kleine, resolute Frau ist die Repräsentantin des UNHCR in Afghanistan:
"Es sind wirklich viele Menschen heute. Allein in der vergangenen Nacht dürften wieder 7.000 Leute angekommen sein. Das alles hat niemand so vorher gesehen. Wir machen uns wirklich Sorgen. Für die Rückkehrer wird es schwer, hier Fuß zu fassen."
Maya Ameratunga steht vor einem der Zelte und schaut fassungslos auf den Parkplatz auf der anderen Seite des Zauns, auf die lange Reihe an Lastwagen. Die kleine, resolute Frau ist die Repräsentantin des UNHCR in Afghanistan:
"Es sind wirklich viele Menschen heute. Allein in der vergangenen Nacht dürften wieder 7.000 Leute angekommen sein. Das alles hat niemand so vorher gesehen. Wir machen uns wirklich Sorgen. Für die Rückkehrer wird es schwer, hier Fuß zu fassen."
Vorbereiten auf eine Rückkehr in den Kriegsalltag
Die Rückkehrer gehen zurück in ein Kriegsgebiet. In der Registrierungsstelle der Vereinten Nationen wird das deutlich in dem Zelt, in dem Sheraf arbeitet. Der ältere, zurückhaltende Herr hat vor sich auf einem Tisch Minen aufgebaut. Daneben haben er und Kollegen einer dänischen Organisation ein kleines Sandfeld angelegt, aus dem ebenfalls Minen heraus schauen. Sheraf gibt den Rückkehrern eine Einweisung in den Kriegsalltag. Afghanistan ist das Land mit der höchsten Minendichte weltweit.
"Die Leute wissen ja nichts über Minen. Aber sie werden in den Provinzen, in die sie gehen, ganz sicher mit Minen zu tun haben. Wir wollen ihnen zeigen, wie sie mit dieser Gefahr umgehen können."
Nasir, der bei Peschawar ein Lebensmittelgeschäft besaß, will in Kabul bleiben und sich ein neues Geschäft aufbauen. In seine Heimatprovinz Kundus will er nicht. Fazil Haq, der junge Mann mit der Baseballmütze, hat dagegen nicht genug Geld für eine Stadt wie Kabul, in der Tagelöhner immer weniger bekommen, aber dafür die Mieten auf Grund der Neuankömmlinge rapide steigen.
"Ich werde zur afghanischen Armee gehen. Das ist meine einzige Option. Ich kann mich doch hier überhaupt nicht sicher fühlen."
Timor Sharan, der Afghanistan-Beauftragte der renommierten Beraterorganisation "International Crisis Group", hat sich in den vergangenen Wochen intensiv mit den Rückkehrern aus Pakistan befasst. Angesprochen auf Fazils Plan, sich bei der afghanischen Armee zu bewerben, fällt Timor nur Eines ein: Dass nicht nur die Armee und die Polizei in der Lage seien, jungen Männern einen Lohn oder einen Sold zu zahlen:
"Sobald die Rückkehrer ihre Ersparnisse verbraucht haben, wird all das zu einer schweren Krise führen. Die Menschen werden dann völlig desillusioniert sein. Voller Hass auf die Regierung. Und dazu kommt, dass auch die Taliban in der Lage sind, einige dieser Menschen, die keine Arbeit haben, monatlich dafür zu bezahlen, dass sie kämpfen."
"Die Leute wissen ja nichts über Minen. Aber sie werden in den Provinzen, in die sie gehen, ganz sicher mit Minen zu tun haben. Wir wollen ihnen zeigen, wie sie mit dieser Gefahr umgehen können."
Nasir, der bei Peschawar ein Lebensmittelgeschäft besaß, will in Kabul bleiben und sich ein neues Geschäft aufbauen. In seine Heimatprovinz Kundus will er nicht. Fazil Haq, der junge Mann mit der Baseballmütze, hat dagegen nicht genug Geld für eine Stadt wie Kabul, in der Tagelöhner immer weniger bekommen, aber dafür die Mieten auf Grund der Neuankömmlinge rapide steigen.
"Ich werde zur afghanischen Armee gehen. Das ist meine einzige Option. Ich kann mich doch hier überhaupt nicht sicher fühlen."
Timor Sharan, der Afghanistan-Beauftragte der renommierten Beraterorganisation "International Crisis Group", hat sich in den vergangenen Wochen intensiv mit den Rückkehrern aus Pakistan befasst. Angesprochen auf Fazils Plan, sich bei der afghanischen Armee zu bewerben, fällt Timor nur Eines ein: Dass nicht nur die Armee und die Polizei in der Lage seien, jungen Männern einen Lohn oder einen Sold zu zahlen:
"Sobald die Rückkehrer ihre Ersparnisse verbraucht haben, wird all das zu einer schweren Krise führen. Die Menschen werden dann völlig desillusioniert sein. Voller Hass auf die Regierung. Und dazu kommt, dass auch die Taliban in der Lage sind, einige dieser Menschen, die keine Arbeit haben, monatlich dafür zu bezahlen, dass sie kämpfen."
"Der Krieg in Afghanistan eskaliert derzeit - und zwar sehr schnell"
Timor sitzt in einem der wenigen verbliebenen Cafés in Kabul, die noch nicht von den Taliban angegriffen wurden. Fast alle Lokale, in denen ausländische Gäste einst verkehrten, sind inzwischen geschlossen worden. Timor kommt gerade von einer Veranstaltung mit dem UN-Sondergesandten. Der in England ausgebildete Afghane recherchiert auch dort, wo westliche Journalisten nicht mehr hingehen können. Weite Teile des Landes sind einfach zu gefährlich geworden:
"Ich würde sagen, der Krieg in Afghanistan eskaliert derzeit, und zwar sehr schnell. Die Regierung verliert in vielen Regionen an Boden. Der Krieg weitet sich aus. Afghanistans Regierung steht enorm unter Druck. Ihre Priorität war bisher nicht etwa, die Korruption zu bekämpfen oder Wirtschaftsreformen auf den Weg zu bringen. Ihre Priorität ist es, dafür zu sorgen, dass der Staat angesichts der Sicherheitslage nicht kollabiert."
Bei diesen düsteren Aussichten könnte Zabihullas Geschichte eigentlich nur Mut machen. Es ist die Geschichte einer offenbar geglückten Rückkehr aus Deutschland. Zabihulla ist 25 Jahre alt, Zahnarzt, und ein sehr fröhlicher Mensch. Er hat es geschafft, sich in einem Vorort von Kabul aus dem Nichts eine kleine Praxis aufzubauen, binnen weniger Monate. Daheim hat Zabihulla eine Frau und drei Kinder. All das klingt nach einem beispielhaften afghanischen Mittelklasse-Leben. Nach Perspektive und Aufbruch, aber die Realität ist eine andere:
"Ganz ehrlich. Ich will zurück nach Deutschland. Wenn wir hier in Kabul bleiben, ist das Risiko für uns viel höher als die Gefahren, die auf der Flucht nach Deutschland auf uns warten."
"Ich würde sagen, der Krieg in Afghanistan eskaliert derzeit, und zwar sehr schnell. Die Regierung verliert in vielen Regionen an Boden. Der Krieg weitet sich aus. Afghanistans Regierung steht enorm unter Druck. Ihre Priorität war bisher nicht etwa, die Korruption zu bekämpfen oder Wirtschaftsreformen auf den Weg zu bringen. Ihre Priorität ist es, dafür zu sorgen, dass der Staat angesichts der Sicherheitslage nicht kollabiert."
Bei diesen düsteren Aussichten könnte Zabihullas Geschichte eigentlich nur Mut machen. Es ist die Geschichte einer offenbar geglückten Rückkehr aus Deutschland. Zabihulla ist 25 Jahre alt, Zahnarzt, und ein sehr fröhlicher Mensch. Er hat es geschafft, sich in einem Vorort von Kabul aus dem Nichts eine kleine Praxis aufzubauen, binnen weniger Monate. Daheim hat Zabihulla eine Frau und drei Kinder. All das klingt nach einem beispielhaften afghanischen Mittelklasse-Leben. Nach Perspektive und Aufbruch, aber die Realität ist eine andere:
"Ganz ehrlich. Ich will zurück nach Deutschland. Wenn wir hier in Kabul bleiben, ist das Risiko für uns viel höher als die Gefahren, die auf der Flucht nach Deutschland auf uns warten."
Auch aus Deutschland kehren afghanische Flüchtlinge zurück
Und diese Gefahren kennt Zabihulla nur zu gut. Er ist im vergangenen Jahr nach Deutschland geflohen. Allein, über den Iran, die Türkei, Griechenland. Er hat den Horror auf dem Mittelmeer selbst erlebt. 80 Menschen in einem viel zu kleinen Boot. Er habe die ganze Zeit gebetet, erinnert er sich. Am Ende landete er in einem Aufnahmelager in Mannheim.
Vor seiner Flucht hatte er sich einen Plan gemacht: Er wollte in Deutschland weiter studieren. Das Bildungssystem in Afghanistan sei schlecht, sagt er. Zabihulla wollte Geld verdienen und seiner Familie nach Kabul schicken und sie später ganz nachholen. Aber dann sei doch alles anders gelaufen. Sechs Monate habe er im Lager gelebt, die Afghanen seien bei allem immer als Letzte an die Reihe gekommen – bei der Essensausgabe, bei der finanziellen Unterstützung, bei den Terminen mit Behörden. Er berichtet von Schlägereien.
Auf die Deutschen will er nichts kommen lassen. Warmherzige Menschen habe er getroffen. Mit einigen sogar Weihnachten gefeiert. Freiwillige, die Englisch unterrichtet und bei Alltagserledigungen geholfen hätten. Trotzdem: Mit jedem Tag sank Zabihullas Hoffnung, in Deutschland als Flüchtling anerkannt zu werden – oder hier studieren und arbeiten zu können. Nach wenigen Monaten reifte der Gedanke, freiwillig nach Kabul zurückzukehren:
"Es waren am Ende finanzielle Gründe. Ich hatte keine Alternative mehr. Die Idee, Geld nach Kabul zu schicken, ging nicht auf, denn ich hatte gar kein Geld. Ich habe all mein Geld auf der Flucht ausgegeben, fünftausend Dollar. Und daheim fehlte meiner Familie eine Einkommensquelle. Sie hatte auch kein Geld mehr, nicht mal für Essen. Deshalb bin ich zurück."
Auf die Deutschen will er nichts kommen lassen. Warmherzige Menschen habe er getroffen. Mit einigen sogar Weihnachten gefeiert. Freiwillige, die Englisch unterrichtet und bei Alltagserledigungen geholfen hätten. Trotzdem: Mit jedem Tag sank Zabihullas Hoffnung, in Deutschland als Flüchtling anerkannt zu werden – oder hier studieren und arbeiten zu können. Nach wenigen Monaten reifte der Gedanke, freiwillig nach Kabul zurückzukehren:
"Es waren am Ende finanzielle Gründe. Ich hatte keine Alternative mehr. Die Idee, Geld nach Kabul zu schicken, ging nicht auf, denn ich hatte gar kein Geld. Ich habe all mein Geld auf der Flucht ausgegeben, fünftausend Dollar. Und daheim fehlte meiner Familie eine Einkommensquelle. Sie hatte auch kein Geld mehr, nicht mal für Essen. Deshalb bin ich zurück."
Seit Januar 2015 flohen rund 200.000 Afghanen nach Europa
Mithilfe von Freunden schaffte es Zabihulla nach seiner Rückkehr, eine Zahnarzt-Praxis in Kabul aufzubauen. Von der Bundesregierung hatte er 700 Euro erhalten, weil er ja freiwillig gegangen ist. Aber der Terror in seiner Heimat will einfach nicht aufhören.
Und so spart Zabihulla wieder. Diesmal wird er deutlich mehr Geld brauchen als die fünftausend Dollar, die er vor einem Jahr für seine Flucht ausgegeben hat. Denn wenn er noch einmal aufbricht, dann will Zabihulla seine Familie mitnehmen nach Europa.
Ahmed, seinen richtigen Namen will er lieber nicht nennen, kennt Fälle wie den von Zabihulla. Die Verzweifelten kommen zu Agenten wie ihm, um sich über Fluchtmöglichkeiten, Visa und Preise zu informieren. Ahmed hockt in einem kleinen Reisebüro in Kabuls Stadtzentrum und bietet zum Gespräch eine Dose Red Bull an. Vor einem Jahr hatte er bereits das Geschäft seines Lebens gemacht. Seit Januar 2015 sind rund 200.000 Afghanen nach Europa geflohen:
"Seit zwei Wochen haben wir wieder sehr viele Nachfragen. Es ist kein Exodus wie vor einem Jahr. Auf damals hundert Flüchtlinge kommen jetzt vielleicht zwanzig. Wir wissen nicht genau, wie die Reise verlaufen soll. Die ungarische Grenze und die Balkanroute sind ja eigentlich dicht. Vielleicht gibt es neue Schmuggelrouten."
Der erste Teil der Reise führe weiterhin über die Türkei, sagt Ahmed. Ein Visum für die Türkei zu erhalten, sei kein Problem – wenn man genug Geld hat:
"Ich würde sagen: 90 Prozent derer, die Afghanistan verlassen haben, hatten damals noch genug Ersparnisse. Diejenigen, die jetzt gehen, die müssen wirklich alles verkaufen: ihr ganzes Eigentum, ihr Land und ihre Autos."
Und so spart Zabihulla wieder. Diesmal wird er deutlich mehr Geld brauchen als die fünftausend Dollar, die er vor einem Jahr für seine Flucht ausgegeben hat. Denn wenn er noch einmal aufbricht, dann will Zabihulla seine Familie mitnehmen nach Europa.
Ahmed, seinen richtigen Namen will er lieber nicht nennen, kennt Fälle wie den von Zabihulla. Die Verzweifelten kommen zu Agenten wie ihm, um sich über Fluchtmöglichkeiten, Visa und Preise zu informieren. Ahmed hockt in einem kleinen Reisebüro in Kabuls Stadtzentrum und bietet zum Gespräch eine Dose Red Bull an. Vor einem Jahr hatte er bereits das Geschäft seines Lebens gemacht. Seit Januar 2015 sind rund 200.000 Afghanen nach Europa geflohen:
"Seit zwei Wochen haben wir wieder sehr viele Nachfragen. Es ist kein Exodus wie vor einem Jahr. Auf damals hundert Flüchtlinge kommen jetzt vielleicht zwanzig. Wir wissen nicht genau, wie die Reise verlaufen soll. Die ungarische Grenze und die Balkanroute sind ja eigentlich dicht. Vielleicht gibt es neue Schmuggelrouten."
Der erste Teil der Reise führe weiterhin über die Türkei, sagt Ahmed. Ein Visum für die Türkei zu erhalten, sei kein Problem – wenn man genug Geld hat:
"Ich würde sagen: 90 Prozent derer, die Afghanistan verlassen haben, hatten damals noch genug Ersparnisse. Diejenigen, die jetzt gehen, die müssen wirklich alles verkaufen: ihr ganzes Eigentum, ihr Land und ihre Autos."
Am Stadtrand von Kabul geht es ums nackte Überleben
Dabei wissen auch diese Menschen inzwischen, dass die Flucht nach Europa nicht nur gefährlich ist – sondern auch ziemlich aussichtslos:
"Die, die gegangen sind, haben geglaubt, dass in Europa das Geld an den Bäumen hängt. Aber das ist eben nicht der Fall. Es hat sich hier herum gesprochen, dass es sehr schwierig ist, sich vor allem in Deutschland dauerhaft niederzulassen."
Für Abdul Fatah, den Landwirt aus der Provinz Kundus, kommt eine Flucht nach Europa sowieso nicht infrage – wie für die allermeisten Afghanen, die vom Krieg entwurzelt werden. Für Abdul und seine Familie geht es am Stadtrand von Kabul mehr denn je ums nackte Überleben, um jeden Cent Einkommen:
"Wir brauchen eine Decke über dem Kopf, Holz, um Feuer zu machen. Wir brauchen Reis. Wir brauchen irgendetwas zu Essen. Aber niemand hilft uns, weder die Regierung noch irgendeine andere Organisation. Ihr seid die Ersten, die sich überhaupt nach uns erkundigen."
Abdul Fatahs Heimat Kundus geriet Anfang Oktober erneut in die Schlagzeilen, weil die Taliban schon wieder die Provinzhauptstadt terrorisierten, wie schon einmal vor einem Jahr. Die afghanische Regierung rechnet damit, dass die Zahl der Flüchtlinge aus Kundus auf 100.000 anwachsen könnte. Menschen, die laut den Vereinten Nationen dringend ein Dach über dem Kopf, sanitäre Einrichtungen und medizinische Hilfe benötigen. So wie Abdul Fatah und seine Familie auf dem staubigen Feld am Rande von Kabul.
"Die, die gegangen sind, haben geglaubt, dass in Europa das Geld an den Bäumen hängt. Aber das ist eben nicht der Fall. Es hat sich hier herum gesprochen, dass es sehr schwierig ist, sich vor allem in Deutschland dauerhaft niederzulassen."
Für Abdul Fatah, den Landwirt aus der Provinz Kundus, kommt eine Flucht nach Europa sowieso nicht infrage – wie für die allermeisten Afghanen, die vom Krieg entwurzelt werden. Für Abdul und seine Familie geht es am Stadtrand von Kabul mehr denn je ums nackte Überleben, um jeden Cent Einkommen:
"Wir brauchen eine Decke über dem Kopf, Holz, um Feuer zu machen. Wir brauchen Reis. Wir brauchen irgendetwas zu Essen. Aber niemand hilft uns, weder die Regierung noch irgendeine andere Organisation. Ihr seid die Ersten, die sich überhaupt nach uns erkundigen."
Abdul Fatahs Heimat Kundus geriet Anfang Oktober erneut in die Schlagzeilen, weil die Taliban schon wieder die Provinzhauptstadt terrorisierten, wie schon einmal vor einem Jahr. Die afghanische Regierung rechnet damit, dass die Zahl der Flüchtlinge aus Kundus auf 100.000 anwachsen könnte. Menschen, die laut den Vereinten Nationen dringend ein Dach über dem Kopf, sanitäre Einrichtungen und medizinische Hilfe benötigen. So wie Abdul Fatah und seine Familie auf dem staubigen Feld am Rande von Kabul.