Archiv

Afghanistan und Pakistan
Keine Hoffnung auf Frieden

Vor einem Dreivierteljahr sind die internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen. Nur noch 12.000 Soldaten der NATO sind im Land, um die afghanische Armee zu beraten. Statt Frieden herrscht in vielen Provinzen ein neuer Krieg. Und der Nachbar Pakistan heizt die Stimmung zusätzlich an.

Von Jürgen Webermann |
    Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee (ANA) an einem Checkpoint in Kabul. Er ist schwer bewaffnet.
    Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee (ANA) an einem Checkpoint in Kabul. Die Anschläge in der Hauptstadt häufen sich. (Jawad Jalali, dpa picture-alliance)
    Sie beten für die Opfer, zünden Kerzen an und gedenken jener 15 Menschen, die kurz zuvor im Schlaf getötet wurden. Ein ganzer Lastwagen voller Sprengstoff war mitten in der Nacht in ihrem Stadtviertel Shah Shahid in Kabul explodiert.
    Die Demonstranten halten Plakate hoch. Auf einem steht: "Pakistan, wenn Du überleben willst, stop diesen Krieg!" - Für die Menschen in Shah Shahid sind die Hintermänner ausgemacht:
    "Es ist doch klar. Pakistan steckt hinter diesen Anschlägen. Pakistan sponsert Terrorgruppen. Pakistan exportiert Terroristen."
    Nur zwei Tage später. Wieder ein Anschlag. Diesmal in der Nähe des Flughafens von Kabul. Wieder Tote, wieder Wut. Und ein Präsident, der sich an seine Landsleute wendet. Ashraf Ghani:
    "Diese Attacken zeigen doch nur, dass die Trainingslager der Terroristen, ihre Bombenbaufabriken immer noch aktiv sind in diesem Land."
    Mit "diesem Land" meint Ghani Pakistan. Ist der Nachbar daran schuld, dass Afghanistan nicht zur Ruhe kommt? Tatsächlich herrscht in Afghanistan ein offener Krieg. Immer wieder rücken die Taliban vor, in Provinzen wie Faryab und Kundus im Norden des Landes. In Kundus war die Bundeswehr bis 2013 stationiert. Mehr als 100.000 Menschen wurden in diesem Jahr bereits in die Flucht geschlagen. Die Vereinten Nationen erwarten, dass die Zahl der zivilen Opfer in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr steigen wird, 2014 wurden etwa 10.000 Afghanen getötet oder verletzt.
    Borhan Osman arbeitet für das "Afghanistan Analyst's Network", eine unabhängige Recherche-Organisation:
    "Die Taliban sind zäh. Sie geben nicht auf. Und sie können ihre Verluste mit neuen Männern ausgleichen. Es geht in den Provinzen vor und zurück. Ich habe einige Kämpfer im Süden getroffen. Junge Männer. Sie sind motiviert. Sie rekrutieren ständig neue Kämpfer."
    Afghanistans Nachbar Pakistan startete vor einem Jahr eine Offensive in den Grenzgebieten zu Afghanistan. Vor allem wollte das Militär die eigenen, pakistanischen Taliban schlagen. Die Grenzregionen zu Afghanistan waren jedoch auch der Rückzugsraum für die afghanischen Taliban. Der pakistanische Geheimdienst ISI pflegt angeblich beste Kontakte zu einigen dieser Gruppen. Die pakistanische Regierung behauptete jedoch, keinen Unterschied mehr zwischen afghanischen und pakistanischen Talibangruppen zu machen.
    Schlimmste Anschlagsserie in Kabul seit vier Jahren
    Pakistan versuchte sogar, Friedensgespräche zwischen afghanischer Regierung und Taliban zu vermitteln. Anfang Juli kam es zu einem Treffen zwischen afghanischen Offiziellen und Taliban-Vertretern. Sogar China saß mit am Tisch. China hat ein großes Interesse an Frieden in der Region: Es will eine Transportroute quer durch Pakistan bauen, auf der Rohstoffe und andere Güter nach Westchina gebracht werden könnten. China will dafür 46 Milliarden Dollar in Pakistan investieren. Pakistans Nationaler Sicherheitsberater Sartaj Aziz betont, seine Regierung meine es ernst mit den Gesprächen:
    "Unsere Priorität ist die Versöhnung zwischen beiden Seiten. Die erste Runde verlief gut, eine zweite Runde sollte Ende Juli folgen. Aber dann sickerte durch, dass der Taliban-Führer Mullah Omar tot sei. Das hat die Gespräche dann erst einmal gestoppt."
    Die Taliban mussten zwangsläufig einen Nachfolger benennen. Sie taten es in der Nähe der pakistanischen Stadt Quetta. Sind die Taliban etwa doch nicht aus ihren Rückzugsräumen verjagt worden? Mullah Mansur, ein Weggefährte Mullah Omars, führt die Extremisten jetzt an. Er gilt als offen für Friedensgespräche. Allerdings weiß niemand, wie viel Rückhalt er hat. Vor allem jüngere Kämpfer sollen sich gegen ihn ausgesprochen haben. Seit einigen Monaten gibt es für diese Hardliner eine Alternative in Afghanistan: Den "Islamischen Staat". Borhan Osman:
    "In diesem Jahr hat sich einiges verändert: Es gibt mehrere lokale Gruppen, die zum 'Islamischen Staat' übergelaufen sind. Den Islamischen Staat können wir nicht mehr ignorieren. Der IS hat bereits Dutzende Taliban getötet. Den Taliban bereitet der IS vor allem in Ostafghanistan ziemliche Kopfschmerzen."
    Und so eskalierte die Gewalt in Afghanistan. Der IS bekämpft die Taliban. Und in Kabul gab es die schlimmste Anschlagsserie seit vier Jahren. Will die neue Taliban-Führung damit ihre Macht demonstrieren? Afghanistans Präsident Ghani jedenfalls betont, dass jetzt vor allem einer am Zug sei - Pakistan:
    "Jeder weiß, dass wir Frieden wollen. Die pakistanische Regierung wird jetzt mit ihren Entscheidungen unsere bilateralen Beziehungen prägen, wahrscheinlich sogar für die nächsten Jahrzehnte."