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Afghanistan
Zwei Afghanen wollen ihre Heimat aufbauen

Wer in Kabul lebt, der lebt in Angst. Selbstmordattentate, Anschläge, Explosionen gehören in Afghanistan zum Alltag. Dessen ungeachtet kämpfen einige für den Wiederaufbau, wie zwei junge Studenten, die eine Terrorattacke auf die Amerikanische Universität knapp überlebten.

Von Jürgen Webermann |
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    Der Campus der Amerikanischen Universität in Kabul liegt hinter dicken Betonmauern (Deutschlandradio / Jürgen Webermann)
    Afghanistans Hoffnungsträger, jung, eloquent, gut ausgebildet, studieren hinter dicken, hohen Betonmauern. Die Amerikanische Universität in Kabul wirkt wie eine Festung, versehen mit schwer gesicherten Kontrollposten und Wachtürmen. Die Erinnerung an den Angriff vor etwas mehr als einem Jahr gehört zum Alltag. Mehrere Extremisten, schwer bewaffnet, schießen wahllos um sich. Stundenlang. Ein Alptraum, der auch Rahmatullah und Mohammad ständig begleitet.
    Mohammad: "Einer der Angreifer öffnete die Tür, ich wusste, dass er uns erschießen würde. Ich wollte aus dem Fenster im zweiten Stock springen. Aber dann warf er eine Handgranate, und ich flog aus dem Fenster."
    Rahmatullah: "Dieser Tag hat mich total verändert. Ich bin seitdem ein anderer Mensch. Ich kann einfach meinen Freund Zubair nicht vergessen. Ich sehe ihn noch niedergehen. Wie er am Boden ins Gras griff. Ich sagte ihm: Zubair, komm, wir schaffen es. Aber er antwortete nicht mehr."
    Mohammad und Rahmatullah können sich an jedes Detail erinnern. Es gibt ein Foto, das in Afghanistan berühmt wurde. Es zeigt Mohammad, auf einer Liege, die Ärzte bereiten eine Notoperation vor. Mohammad schreit vor Schmerz.
    "Ich war drei Monate lang bettlägerig. Kopf und Wirbelsäule waren verletzt. Ich bekam Hilfe durch die Universität. Ich bin nach Indien gereist. Die Ärzte dort stellten fest, dass durch den Sturz auch ein Knochen am Ohr gebrochen war. Das hat mein Sehen beeinflusst. Ich hatte Kopfschmerzen. Ich kann mich immer noch nicht konzentrieren und nach unten schauen."
    Mohammad überlebte den Angriff auf die Amerikanische Universität in Kabul vor knapp einem Jahr. Bis heute hat er die Schrecken nicht vergessen.
    Mohammad überlebte den Angriff auf die Amerikanische Universität in Kabul vor knapp einem Jahr. Bis heute hat er die Schrecken nicht vergessen. (Deutschlandradio / Jürgen Webermann)
    "Ich will meinen Optimismus nicht aufgeben"
    Rahmatullah verlor nicht nur seinen Freund Zubair. Er selbst wurde von drei Kugeln getroffen, ein Unterschenkel war danach regelrecht zerfetzt. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch zwei Beine hat.
    "Ich möchte den Angreifern nur sagen: Ihr habt Zubair getötet. Hier hat niemand versucht, mich zum Christentum oder Judentum zu bekehren oder politisch zu beeinflussen. Ich stamme aus einer sehr konservativen Familie. Ich sehe nichts, was diesen Angriff rechtfertigt. Das schmerzt."
    Beide, Rahmatullah und Mohammad, sind zurück auf dem Campus. Die Universität hat im März wieder eröffnet, mit viel stärkeren Sicherheitsmaßnahmen als zuvor. Mohammad belegt wegen seiner ewigen Kopfschmerzen noch keine Kurse. Für ihn geht es darum, überhaupt wieder an der Universität zu sein.
    "Ich will meinen Optimismus nicht aufgeben. Ich habe eigentlich gute Aussichten, eine Perspektive hier in meinem Land. Ich habe keine Angst. Bildung ist die Antwort. Nicht Granaten und Feuer."
    Auf keinen Fall die Heimat verlassen
    Mohammad hatte vor dem Anschlag neben seinem Studium Start-up-Firmen gegründet. Ein Unternehmen hat Kartoffelchips hergestellt. Dann folgte eine Logistikfirma. Aber nach dem Angriff auf seine Universität konnte er sich um nichts mehr kümmern. Er konnte den Behörden keine Bilanzen mehr schicken und auch keine Rechnungen mehr begleichen. Mohammad will es noch einmal versuchen, nächstes Jahr vielleicht. Er will auch das Wirtschaftsstudium so rasch wie möglich beenden und dann in die Politik gehen. Nur eines will er nicht: seine Heimat verlassen.
    "Als ich drei Monate im Bett liegen musste, habe ich mich gefragt, was ich eigentlich noch in Afghanistan mache. Woanders wäre ich schon viel weiter. Und in Sicherheit. Für die meisten Flüchtlinge ist es ähnlich: Sie sind vom Krieg, von den Anschlägen oder von der schlechten Wirtschaftslage direkt betroffen. Der Druck ist also hoch. Aber andere, gut Ausgebildete haben diesen Druck nicht. Sie gehen trotzdem. Ich bin von diesen Leuten enttäuscht, aber ich verurteile sie nicht. Ich wollte ja auch gehen, irgendwohin, wo ich keine Waffen mehr sehe."
    Hoffnung ist ein eher seltenses Gut geworden
    Auch Rahmatullah, der zustimmend nickt, als Mohammad redet, will bleiben. Rahmatulla erzählt, dass seine Eltern aus den Provinzen Helmand und Kandahar stammen – dem Kernland der Taliban. Dorthin möchte er zurück, nach Musa Qala, einer Stadt in Helmand, die zu den meistumkämpften Städten des ganzen Landes zählt.
    "In meinem Heimatdorf haben sich 200, 300 Leute den Taliban angeschlossen. Ich könnte einer von ihnen sein. Aber jetzt sitze ich hier und studiere. Ich möchte im nächsten Jahr in Musa Qala eine Schule aufbauen. Das wird mein Beitrag sein!"
    Und dann humpeln Rahmatullah und Mohammad davon. Die Nachmittagssonne taucht den Campus in rötlich schimmerndes Licht. Für ein paar Momente wirkt dieser Ort ruhig und friedlich, bis die grimmig schauenden, schwer bewaffneten Söldner an der Sprengschutzmauer wieder auftauchen. Sie erinnern daran, dass die Hoffnung, die Mohammad und Rahmatullah versprühen, in Kabul ein eher seltenes Gut geworden ist.