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Afghanistans Schulen
Bildungsförderin Flader: „Niemand hat Vertrauen in die Taliban“

Die Taliban haben angekündigt, Afghanistans Schulen geöffnet zu lassen und auch Mädchen den Unterricht zu gestatten. Marga Flader vom Verein Afghanistan-Schulen ist skeptisch. Aussagen wie diese würden nur gemacht, damit internationale finanzielle Leistungen weiterliefen, sagte Flader im Dlf.

Marga Flader im Gespräch mit Ann-Kathrin Jeske |
Bislang hätten die Taliban nicht den Anschein gemacht, dass sie mittlerweile eine andere Organisation geworden wären, sagte Marga Flader. "Wir vermuten eher, dass sie im Moment diese Aussagen machen und ihre Meinung aber später wieder ändern, wie sie es auch in der Vergangenheit gemacht haben", erläuterte die Vorsitzende von "Afghanistan-Schulen".
Der Verein hat 65 staatliche Schulen in Afghanistan gebaut und organisiert in zwei Regionen Bildungsprojekte – unter anderem in Andkhoi, wo die Taliban bereits seit Juni an der Macht sind. Für den Fortbestand der Projekte habe der Landesdirektor des Vereins mit den Taliban verhandelt, schilderte Flader. "Auf diese Verhandlungen musste er sich erst wirklich einige Tage vorbereiten und Kontakte knüpfen, weil er sehr viel Angst hatte vor den Verantwortlichen der Taliban."
Diese Strategie verfolgen die Taliban
Die überraschend schnellen militärischen Erfolge der Taliban sind auch auf Fehler des Westens zurückzuführen. Wie organisieren sich die Taliban und was kommt nun auf die afghanische Bevölkerung zu?
Es sei wichtig, bei den Gesprächen zu betonen, kein Unterstützer der afghanischen Regierung gewesen zu sein. Flader: "Also die haben sagen müssen, dass sie sich freuen, dass die Taliban gekommen sind, dass sie dankbar sind, dass sie jetzt für Sicherheit und Ordnung sorgen – also Ihre eigene Meinung dürfen Sie schon einmal nicht sagen."

Das interview im Wortlaut:
Ann-Kathrin Jeske: Frau Flader, Sie waren oft in Afghanistan, und Sie sind in Kontakt mit Ihren 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Zuerst deshalb die Frage: Wie geht es den Menschen gerade?
Marga Flader: Ja, unsere Kollegen sind sehr besorgt. Wir halten Kontakt mit WhatsApp und von Zeit zu Zeit auf Videokonferenzen. Die Frauen sind besonders gestresst – auch, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht. Sie sind frustriert, weil sie sich nicht trauen, auf die Straße zu gehen oder sind ja auch verpflichtet, immer mit einem männlichen Verwandten nur auf die Straße zu gehen. Es ist sehr belastend.
Wadephul (CDU): "Dieses hastige Ende muss schon hinterfragt werden"
Der CDU-Außenpolitiker Johann David Wadephul hat eine kritische Aufarbeitung der Evakuierung in Afghanistan angekündigt. Diese laufe zwar jetzt hochprofessionell ab, sagte er im Dlf. Doch die Fehleinschätzung der Lage durch die Bundesregierung und das späte Handeln müsse hinterfragt werden.
Jeske: Wie muss man sich das denn im Moment vorstellen, läuft der Schulbetrieb noch weiter?
Flader: Wir arbeiten in zwei Regionen. In der Region Andkhoi sind zurzeit noch Sommerferien, das heißt, wir wissen noch gar nicht, welche Regelungen die Taliban dort einführen werden. Auch unsere Projekte ruhen im Moment noch, aber wir haben die Genehmigung von den Taliban erhalten, dass wir unsere Projekte wieder starten sollen sogar. Sie erwarten das jetzt auch, dass wir das tun.

"Haben sagen müssen, dass sie sich freuen, dass die Taliban gekommen sind"

Jeske: In Andkhoi, da sind die Taliban schon seit Ende Juni an der Macht. Sie haben mir im Vorgespräch erzählt, dass es dort in dieser Stadt Andkhoi jetzt eine schriftliche Vereinbarung mit den Taliban sogar darüber gibt, dass der Schulbetrieb aufrechterhalten werden soll. Wie müssen wir, wir müssen unsere Hörerinnen und Hörer sich das vorstellen – wie führt man solche Verhandlungen, wie trifft man so eine Vereinbarung?
Flader: Unser Landesdirektor hat als Verantwortlicher für unsere eigenen Projekte mit den Taliban verhandelt. Wir haben vier Bildungseinrichtungen – Ausbildungszentren, an denen die Schülerinnen ab Klasse 7 auf die Universität vorbereitet werden, und Ausbildungsprojekte für Analphabetinnen in den drei Frauenzentren. Nur für diese Projekte hat unser Direktor verhandelt mit den Taliban. Auf die Verhandlungen musste er sich erst wirklich einige Tage vorbereiten und Kontakte knüpfen, weil er sehr viel Angst hatte vor diesen Verantwortlichen der Taliban. Ja, dann hat er mit all seiner Erfahrung aus der Vergangenheit – er hat schon die Taliban-Zeit in den 90er-Jahren erlebt – verhandelt mit denen. Es gehört schon dazu, dass man eben klarmacht, dass man kein Unterstützer der Regierung war. Also die haben sagen müssen, dass sie sich freuen, dass die Taliban gekommen sind, dass sie dankbar sind, dass sie jetzt für Sicherheit und Ordnung sorgen – also Ihre eigene Meinung dürfen Sie schon einmal nicht sagen.
Jeske: Ein Sprecher der Taliban, Suhail Shaheen, der hat in CNN am Sonntag schon gesagt, auf die Frage hin, ob denn die Schulen weiterhin geöffnet werden dürften, dass die Taliban auf jeden Fall ein Interesse daran haben, dass die Schulen weiter geöffnet sind und dass auch Mädchen, egal welchen Alters, weiter diese Schulbildung genießen können sollen. Wie ist denn dort jetzt Ihre Erfahrung, unter welchen Bedingungen läuft denn der Schulbetrieb weiter?
Flader: Es wurden sofort Regelungen aufgestellt. Mazar-e-Sharif zum Beispiel ist ja erst am Samstag, glaube ich, an die Taliban gegangen, und gestern waren schon die Regeln festgelegt: Absolute Geschlechtertrennung ist eine Entscheidung, also Schulleiterinnen, die auch Jungen an ihrer Schule unterrichtet hatten, sind nur noch für die Mädchen zuständig, und davon gibt es sehr viele. Es sind unheimliche viele Frauen in Bildungssystemen angestellt gewesen. Und ab Klasse zehn müssen die Mädchen eine Burka tragen – das sicherlich nicht im Unterricht, aber auf dem Weg zur Schule –, und Frauen dürften nur noch Jungen bis zur höchstens vierten Klasse unterrichten.
USA-Experte über Afghanistan - "Nation-Building hat nicht funktioniert"
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Jeske: Wie sehr verlassen Sie sich denn jetzt auf diese Aussagen, dass der Schulbetrieb weitergehen soll? Glauben Sie daran, oder haben Sie den Eindruck, das könnte sich auch in einiger Zeit durchaus noch ändern?
Flader: Ich glaube, niemand hat Vertrauen in die Taliban. Wir vermuten eher, dass sie im Moment diese Aussagen machen und ihre Meinung aber später wieder ändern, wie sie es auch in der Vergangenheit gemacht haben. Sie haben bisher nicht den Anschein gegeben, als ob sie eine andere Organisation geworden wären. Diese Aussagen werden eigentlich heute nur gesagt in der Hoffnung, dass vielleicht internationale finanzielle Unterstützung weiterlaufen könnte.

"Ich gehe davon aus, dass unsere Gelder eingefrorgen werden"

Jeske: Sie selbst hatten jetzt gestern auch ein Gespräch mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, was bedeutet das jetzt für Ihre Arbeit an den Schulen? Können Sie die überhaupt künftig noch finanzieren?
Flader: Ganz eindeutig war die Aussage noch nicht. Es hieß erst mal nur, die Projekte der staatlichen Agenturen wie GIZ und KfW, dass deren Projekte on hold sind, aber ich gehe auch davon aus, dass unsere Gelder eingefroren werden und wir eventuell unsere Schulbauprojekte nicht abschließen können. Sie sind zu 80 Prozent fertig, und es fehlen noch Fortbildungsmaßnahmen, Lehrerfortbildungen und so weiter konnten noch nicht durchgeführt werden, auch wegen Corona. Was uns sehr wichtig ist, ist, dass wir unser Ausbildungszentrum und die drei Frauenzentren – das sind unsere eigenen Projekte, die wir mit sehr viel Herzblut aufgebaut haben –, dass wir die fortführen können. Sicherlich nicht in der Weise, wie sie bisher gelaufen sind für 1.500 Schülerinnen und Schüler, aber wenn die Entwicklungshilfe Gelder, die wir auch für diese Projekte verwendet haben, nicht mehr laufen, hoffen wir, dass wir sie mit privaten Spenden fortführen können. Darum bitten wir eigentlich immer unseren Unterstützerkreis, dass sie uns jetzt helfen, diese wichtigen Projekte fortzuführen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.