Als das Africa Museum in Tervuren bei Brüssel 2013 mit der Neukonzeption seiner Sammlung begann, wurde die Diskussion um koloniale Objekte in europäischen Museen noch in einem kleinen, wissenschaftlichen Kreis geführt. Jetzt, zur Eröffnung sieht sich Direktor Guido Gryseels mit einer großen internationalen Debatte konfrontiert. Gerade erst hat der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt, den Empfehlungen des Restitutionsreports von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr zu folgen, die sagen: Alles muss zurückgegeben werden.
Dazu sagt Guido Gryseels: "Ich stimme Präsident Macron komplett zu, wenn er sagt, es sei nicht normal, dass sich 80 Prozent des afrikanischen Kulturerbes in Europa befinden. Es ist ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre Identität, es sollte in Afrika sein. Wir sind offen für eine konstruktive Debatte und für Restitutionsansprüche - aber ganz offensichtlich muss hier noch viel besprochen werden."
"Zeit für eine grundlegende Wende"
Das also ist der Ausgangssituation für ein Museum, das sich als Inkarnation kolonialer Herrlichkeit zu einem Haus mit kritischem Blick auf die eigene Geschichte zu erneuern versucht. Zeit für eine grundlegende Wende, so Guido Gryseels. Es soll also gesprochen werden über die Zwangsarbeit, die abgehackten Hände der Kongolesen, die nicht genug Kautschuk sammelten, das brutale Vorgehen der Armee Force Publique, den Mord am ersten frei gewählten Premier Lumumba.
Der Museumspalast und viele seiner Tafeln, Inschriften und Statuen stehen allerdings unter Denkmalschutz, nichts davon durfte entfernt werden. Wie also umgehen mit den Initialen des Königs, dem doppelten L für Leopold den II? Oder den riesigen Tafeln, auf denen die Namen von 1.500 Belgiern stehen, die im Kongo starben? Nur Männer übrigens, keine Frauen oder Kinder. Und erst recht keiner der Millionen Kongolesen, die bis zum Tod misshandelt wurden. Das Museum bezog die afrikanische Gemeinde und Diaspora ein, aber auch Künstler wie Freddy Tsimba aus Kinshasa, wie Geschäftsführer Bruno Verbergt erzählt.
Neudeutung nur zum Teil geglückt
"Eines Tages kam er zu mir und meinte, er sei bei den Gräbern der sieben Menschen aus dem Kongo gewesen, die hier gestorben sind." Freddy Tsimba wollte an die rund 300 Kongolesen erinnern, die Leopold II dort, wo heute das Museum steht, als Menschenzoo ausstellte, inklusive Dorfhütten, alle nahezu nackt. Sieben von Ihnen starben an Lungenentzündung durch die Kälte. Bruno Verbergt: "'Warum schreiben wir ihre Namen nicht auf die Glaswand in dieser Halle?', fragte Freddy. Nun, hier sind sie jetzt. Man kann ihnen nicht entkommen."
Scheint die Sonne, werfen die Namen der toten Kongolesen große, scharfe Schatten auf die Wand unter den Tafeln. Hier ist die Neudeutung geglückt - vieles aber erinnert immer noch an eine europäische Überlegenheitshaltung. Das beginnt bei dem Problem, den Kongo aus Brüssel heraus erklären zu wollen. Aber auch die Präsentation mutet stellenweise immer noch an längst überholte Folklore-Klischees an. Musikinstrumente, ausgestopfte Tiere, Töpfe, bunte Stoffe – alles hübsch anzusehen.
Aufarbeitung hat gerade erst angefangen
Ärgerlich ist aber vor allem, dass der brutalen Kolonialherrschaft und der Unabhängigkeit nur etwa ein Achtel des Museums gewidmet ist. Andererseits: Wer aus Deutschland heraus kritisiert, darf nicht vergessen, dass wir in Sachen Erinnerungskultur durch die Aufarbeitung des Nationalsozialismus besonders geschult sind. In Belgien fängt man gerade erst damit an.
Die Besucher werden hoffentlich außer sich sein, sagt Kuratorin Bambi Ceuppens, die, das muss hier dazugesagt werden, schwarz ist. Und das wäre ja auch ein Erfolg: Wenn sich im Streit um eine zu wenig kritisch präsentierte Sammlung die Debatte weiter entwickelt.