Am Anfang scheint die Welt noch in Ordnung. Wie in seinen früheren Büchern klettert Paul Theroux stellvertretend für seine Leser in der brüllend heißen Buschebene Nord-Namibias auf einen Termitenhügel und beschreibt, dass sich die majestätische Landschaft vor ihm auffächert "wie die knisternden Seiten eines noch ungelesenen Buches".
Theroux ist wieder eine Straße bis zu ihrem Ende entlang gefahren, auf der Suche nach Ursprünglichkeit.
"Die Menschen, denen ich folgte, lachten. Sie sprachen Khoisan und gehörten zur Volksgruppe der Kung, die sich selbst Juhoansi nennen. Der Name ist durch Klicklaute schwer auszusprechen und bedeutet "Wahre Menschen" oder "Harmlose Menschen". Sie lebten traditionell als Jäger und Sammler und hatten nie Geld verwendet."
Keine verbitterte Abrechnung
Es ist nicht zu viel verraten, dass die von Theroux verklärten "wahren Menschen" sich als Täuscher herausstellen. Nachdem sie den Reisenden in Tierfellen gekleidet durch den Busch geführt haben, werfen sie sich in Second Hand-Klamotten, hören Rap und trinken Cola. Dass Theroux das beklagt, nimmt man ihm anfangs übel: Da jammert der berühmte Reiseschriftsteller, dass Afrika sich nicht nach seinen Wunschvorstellungen richtet. Doch das ist ein vorschnelles Urteil.
"Ein letztes Mal in Afrika" ist keine verbitterte Abrechnung mit dem Kontinent, auf dem vor mehr als einem halben Jahrhundert Therouxs Schriftstellerkarriere begann. Ja, in diesem Buch geht es um Theroux selber, aber auch um Afrika und ein gutes Stück um den Zustand der Welt.
"Ich war immer der Ansicht, dass der Wert eines Reiseberichts, besonders wenn der Reisende die Hauptrouten meidet, darin besteht, dass er detailliert schildert, wie die Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort leben: Wie sie sprechen, was sie sagen, was sie essen, wie sie sich verhalten. [...] Das Leben auf vielen Pazifik-Inseln, um die ich in den 1990er Jahren herumgepaddelt bin, hat sich verändert, und wie ich jetzt auf dieser Reise erlebte, hatte auch das Afrika von 2001 beträchtliche Veränderungen erfahren – ein paar Verbesserungen, viele Verschlechterungen."
Angola in Trümmern
2001 war Theroux von Kairo durch den Osten Afrikas bis zum Kap der guten Hoffnung gereist. Schon in dem dabei entstandenen Buch "Dark Star Safari" geht er nicht zimperlich mit Afrika um. Diesmal, mit 72 Jahren, will Theroux Afrika in die andere Richtung durchqueren: vom Kap bis nach Timbuktu, die Westküste des Kontinents entlang. Er kehrt in Slums zurück, die er von früher kennt, er reitet im Luxuscamp auf Elefanten.
Zwischendrin unterrichtet er Englisch und unterhält den Leser gewohnt präzise mit Details zu Geschichte, Politik, Volkskunde und Sagenwelt. Doch all das ist nur das Vorspiel für den Grenzübertritt nach Angola, ein Land, das nach fast drei Jahrzehnten Bürgerkrieg in Trümmern liegt, wo die Regierung täglich Millionen aus der Ölförderung einnimmt und die meisten Menschen dennoch hungern und im Dreck leben, zumeist in den Slums, die in Angola musseques heißen.
"In den musseques von Lubango, die sich kilometerweit hinzogen, fand sich kein Strauch und kein Grashalm, aber sie wimmelten von Menschen. Hier bin ich schon einmal gewesen, dachte ich. Eine weitere afrikanische Stadt, ein weiteres Grauen, noch mehr Chaos - gleißendes Licht, von Menschen wimmelnde Straßen, stinkende Staubwolken und Dieselabgase, kaputte Zäune, mutwillig beschädigte Ladenfronten, Eisengitter an allen Schaufenstern, streitende Kinder, schwere Lasten schleppende Frauen – und keine Besserung in Sicht.
Zu essen gibt es fliegenbedeckte Hühnerteile
Das Provinznest Lubango unterscheidet sich nur im Maßstab von Angolas Hauptstadt Luanda, wo Theroux einen Reisegefährten mit den Worten zitiert: "So wird die Welt aussehen, wenn sie untergeht." Es gibt eine andere Stelle im Buch, wo Theroux mitten im angolanischen Busch strandet - in einem Dorf, das umgeben ist von Landminen und Panzerwracks, das einzige Essen ein schmutziger Eimer mit fliegenbedeckten Hühnerteilen - die Theroux verspeisen wird.
Trotz der Not findet er dort mehr Afrika als in den Städten, die Theroux zum Verzweifeln bringen, das "in den letzten Zuckungen liegende urbane Afrika", wie er schreibt. In Luanda bricht er seine Reise ab, in der Erwartung, in den folgenden Städten nichts als das ewig gleiche zu sehen. Man nimmt ihm ab, dass ihn selbst das am meisten entsetzt, doch er fühlt sich für diese Art Reisen nicht mehr zuständig.
"Es erfordert den Einsatz eines Spezialisten ganz besonderer Art, durch verwahrloste Städte und stinkende Slums zu reisen, zwischen völlig abhängigen Armen, die nahezu alle ihre Traditionen und einen Großteil ihres Lebensraums verloren haben. Vor allen Dingen braucht man die Kompetenz und das Gemüt eines Proktologen. Ein solcher Mensch, der sich auf Rektaluntersuchungen versteht, ist für die Medizin so wichtig wie jeder andere Facharzt, doch sind es nur wenige Entschlossene, die sich dafür entscheiden, den Zustand des menschlichen Körpers zu untersuchen, indem sie [...] in seinen Allerwertesten schauen, sein Innenleben und sein Gedärm erkunden. [...] Ich bin keiner von ihnen."
Die Fremde gibt es nicht mehr
Man kann Paul Theroux in seinem vierten Buch über Afrika einiges vorwerfen: Dass er vom Einzelnen auf ganz "Afrika" schließt, als wäre der Kontinent ein homogenes Land; dass er an einigen Stellen kolonial und paternalistisch auftritt, und vor allem, dass er viel zu billige Schlüsse zieht: Etwa wenn er schreibt, ohne Entwicklungshilfe würden Revolutionen die Verhältnisse verbessern - eine Behauptung, die er mit seinen Betrachtungen über das siechende Ex-Bürgerkriegsland Angola selbst widerlegt.
Doch all das ändert nichts daran, dass Theroux ein großes Buch gelungen ist. Diesen Frust, den man herausschreien möchte, kennt nahezu jeder, der länger in Afrika war. Die Betrachtungen des Autors darüber sind nicht nur klug, sondern auch spannend zu lesen.
Noch spannender ist aber, wie einem wie Theroux die Liebe zur Fremde abhandenkommen konnte: weil es sie gar nicht mehr gibt, die Fremde. Theroux gehört als Reiseautor einer aussterbenden Art an. Heute reisen Autoren vor allem zu sich selbst, sei es im inneren Zwiegespräch in einer Blockhütte am Baikalsee oder in der Inszenierung als Tier im Wald. Theroux dagegen geht zu den Menschen, spricht mit ihnen, will sie kennen lernen. Man kann, darf, muss mit ihm gedanklich über das streiten, was er danach aufschreibt. Aber dass er mit uns nach Afrika geht, ein letztes Mal, ist sein großes Verdienst.
Paul Theroux: "Ein letztes Mal in Afrika"
Verlag Hoffmann und Campe, 416 Seiten, 26 Euro.
Verlag Hoffmann und Campe, 416 Seiten, 26 Euro.