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Afrika in der Kinder- und Jugendbuchliteratur

Die geschriebene afrikanische Literatur ist sehr jung. Es ist kaum 100 Jahre her, da hat Thomas Mofolo aus Südafrika den ersten Roman geschrieben. Erst in den 30er und 40er Jahren begannen afrikanische Intellektuelle, die meist in den Salons von London und Paris verkehrten, zu schreiben. Einen speziellen Markt für Kinder- und Jugendliteratur gibt es schon gar nicht. So kommen die wenigen Kinder- und Jugendbücher, die das Afrika zum Thema haben, fast immer aus Nordamerika, Kanada oder Europa.

Von Simone Hamm |
    Die Königin lebt auf einer Insel im Victoriasee. Um den Kopf hat sie ein Tuch geschlungen, sie trägt goldene Kreolen in den Ohren. Sie sitzt in einem Schaukelstuhl und nuckelt an einer Pfeife. Der weiße Rauch, der daraus aufsteigt, formt sich zu einem Totenkopf. Doch sie wirkt ganz entspannt und glücklich. "Die schlaue Mama Sambona" heißt Hermann Schulz Bilderbuch. Tobias Krejtschi hat es in kräftigen Farben illustriert.

    Dreimal klopft der Tod an Königin Mama Sambonas Tür.

    Der Tod hatte sich für seinen Besuch einen besonders eleganten Anzug angezogen. Mama Sambona wusste sofort, wen sie vor sich hatte.

    "Trink in Ruhe deinen Tee aus, dann machen wir uns auf den Weg zu deinen Ahnen", schlug der Tod vor.


    Und dreimal legt Mama Sambona den Tod herein. Denn wenn er drei Mal vergeblich gekommen ist, dann muss er sich für lange Zeit zurückziehen. Mama Sambona weiß, dass der Tod niemanden holen darf, der sich um ein Kind kümmert, niemanden, der gerade bei der Ernte gebraucht wird. Und sie weiß, wie gerne der Tod tanzt und dass er ihr schon kein Tänzchen abschlagen wird.

    " Das ist natürlich ein Märchen. Mit dieser Geschichte wollte ich zwei Dinge sagen: Den Tod kann man nicht überlisten. Irgendwann holt er den Menschen und man muss sterben und das weiß jedes Kind und jeder Erwachsene und jeder Alte sowieso, aber man kann ihn hinausschieben durch Lebensfreude und durch Fürsorge für den anderen. Und das sind zwei Dinge, die ich in Afrika immer wieder erlebt habe und die ich in dieser Geschichte dann festgehalten habe. "

    Es ist ein fröhliches Afrika, das Hermann Schulz da zeigt. Und oft ein anderes, als das, was in unserer Vorstellung existiert. Der Tod wird dargestellt als ein Buchhalter, der seine Liste abarbeitet.

    " Ich wollte damit ein Gegenbild von Afrika, das eigentlich unter dem Verdacht steht, dass dort alles völlig durcheinander und völlig chaotisch ist. Das stimmt einfach nicht. Es gibt eine ganze Menge Gesetzmäßigkeiten, es gibt Gesetze, es gibt Ordnung zwischen den Menschen, die tatsächlich wirksam sind. Und das hab' ich alles versucht in einer kleiner märchenhaften Geschichte von Mama Sambona darzustellen. "

    Herman Schulz wurde in Ostafrika geboren, lebte im Ruhrgebiet, leitete über dreißig Jahre den Peter Hammer Verlag, der sich auf afrikanische Literatur spezialisiert hat. Das ist kein leichtes Unterfangen gewesen. Denn in Afrika werden Geschichten erzählt, nicht aufgeschrieben. Die geschriebene afrikanische Literatur ist sehr jung. Es ist kaum 100 Jahre her, da hat Thomas Mofolo aus Südafrika den ersten Roman geschrieben. Erst in den 30er und 40er Jahren begannen afrikanische Intellektuelle, die meist in den Salons von London und Paris verkehrten, zu schreiben. Einen speziellen Markt für Kinder- und Jugendliteratur gibt es schon gar nicht.

    Bis heute werden die meisten afrikanische Romane nicht in Afrika, sondern in Europa oder den USA verlegt.

    " Und das ist die große Katastrophe, dass diese Literatur, die für Afrika geschrieben worden ist, immer noch am Tropf der Europäer hängen muss. Weil es in Afrika weder die finanziellen Mittel noch das Bewusstsein gegeben hat, dass diese Literatur dringend einer Förderung und einer Verbreitung bedarf. Man darf das nicht nur unter Rassismus abhaken, dass die afrikanische Literatur nicht gelesen wird. In Afrika gibt es natürlich eine Menge hausgemachter Probleme und das gehört mit dazu, dass eine Literaturförderung bis heute nicht stattfindet. Das ist eine Verarmung, nicht nur Afrikas, sondern auch unsres Weltbildes, dass man einfach diese Stimme in dem Konzert nicht wahrnehmen kann. "

    So kommen die wenigen Kinder- und Jugendbücher, die das Afrika zum Thema haben, fast immer aus Nordamerika, Kanada oder Europa.

    Darin tauchen bestimmte Topoi immer wieder auf. Seuchen, Krankheiten, Bürgerkriege, Armut.

    " Was mir ganz besonders aufgefallen ist, dass zwar immer diese Katastrophen Afrikas zur Sprache kommen, nie aber das Alltagsleben. Ich glaube, dass das eine Tradition hat, was den europäischen Blick auf Afrika angeht. Früher waren es die dummen, die etwas naiven und einfältigen Schwarzen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu regieren, denen man Kultur bringen musste in Anführungszeichen und hat dabei damals übersehen, dass es ein Kontinent ist, der eine lange Tradition, eine lange Geschichte und eine wunderbare Kultur hat. "


    Und genau dieses Afrika zeigen möchte Hermann Schulz zeigen. In seinem Bilderbuch "Die schlaue Mama Sambona" sowie auch in seinem auch als Taschenbuch erschienenen Roman: "Wenn ein Löwe Dich nach der Uhrzeit fragt". Darin erzählt er die Geschichte des Jungen Temeo. Der ist dabei Geld aufzutreiben. Sein Vater hat einen schweren Unfall gehabt. Die Mutter herrscht die Nachbarn an. Statt zu gucken, sollen sie lieber einen Arzt holen.

    Wenn nicht gerade ein Unglück passiert ist, schreit Mama die Nachbarn nicht so unfreundlich an. Auf mich hatte keiner geachtet. Ich überlegte, ob ich das Hühnchen zu Ende rupfen sollte, um Mama eine Freude zu machen. Wo sie doch jetzt eine Menge Probleme hatte. Ich setzte mich wieder auf den Hocker. Da stand sie plötzlich so lautlos wie immer hinter mir.

    "Lass das blöde Huhn. Lauf zur Apotheke!", und drückte mir ein kleines Bündel Schillinge in die Hand.


    Auch der Arzt will bezahlt werden. Und Geld ist keines da.

    Temeo zieht von der Missionsstation zum indischen Geschäftsmann und zu den weißen Schwestern. Mit Charme und manchmal auch mit List lockt er ihnen Geld aus der Tasche. Das ist kein Kinderspiel. Es geht um die Existenz der Familie.

    Wir erfahren viel vom afrikanischen Alltag: Wie die Familie lebt, wie Eltern und Kindern zueinander stehen. Vom Glauben und vom Aberglauben. Und vom Zaubern.

    Von einem Missionar bekommt Temeo einen ganz Sack voll Schweinefleisch. Aber die muslimische Mutter wird dieses Fleisch nicht zubereiten wollen. Kurzerhand läuft Temeo damit zu Papa Whoopy, einem Zauberer.

    Papa Whoopy war ein Fachmann, berühmt in ganz Afrika! Keine Frage.

    Für den Zauber, das Fleisch zu verwandeln, brauchte er ganze zwei Minuten. Er tat nichts weiter als mit dem linken Zeigefinger auf den Sack zu weisen und etwas zu murmeln. Ich hatte meine Hand auf den Sack gelegt, während er arbeitete. Ich wollte die Veränderung spüren. Aber im Sack rührte sich nichts. Ehrlich gesagt, ich verstehe auch wenig von seinem Handwerk.

    "Alles klar", sagte er", bestes, frisches Ziegenfleisch!"


    Hermann Schulz schildert ein vielschichtiges Afrika. In seinem Afrika gibt es Trauer und Krankheit und Leid und Menschen wie die schlaue Mama Sambona oder den kleinen Temeo, die all dem die Stirn bieten, die nicht verzweifeln, die eine große Portion Humor haben. Die frech sind und aufmüpfig.
    " Wie anders soll man eine solche Gesellschaft beschreiben, die ja nicht nur aus Faulheit oder Fleiß besteht, sondern in der sehr viel stattfindet, Humor, sehr viel Musik, und vor allem sehr viel Solidarität. Das ist eine der Aussagen des Buches, das die Menschen schon in Notfällen bereit sind, einander zu helfen. Davon lebt Afrika. Diese Solidargemeinschaft funktioniert tatsächlich in einer erstaunlichen Weise. "

    Letztlich wird Temeo das Leben seines Vaters nicht retten können. Und irgendwann wird sich auch Mama Sambona dem Tod beugen müssen. Herman Schulz behandelt das große Thema Tod in Afrika fast lapidar. In Afrika reißt die Verbindung von Lebenden und Toten niemals ab.
    " Das ist eine wunderbare Gelegenheit, den Lesern hier klar zu machen, dass der Tod in Afrika zwar auch traurig ist, denn man verliert einen geliebten Menschen, man sieht ihn nicht mehr. Aber für Afrikaner, ganz gleich welcher Religion sie angehören, gehen die Gestorbenen zu den Ahnen. "






    Auch Sigrid Heucks zeigt in ihrem Roman "E-Mails aus Afrika" ein Afrika in dem es Tod und Krankheiten gibt, und zugleich Hoffnung. Ihr Roman ist einfacher geschrieben als der von Hermann Schulz. Sie stellte die afrikanische Welt der deutschen gegenüber, das Leben eines kleinen Mädchens aus Gambia dem eines Mädchens aus München. Sie schreibt ein wenig betulich, gerade so, als schriebe sie für zwei kreuzbrave kleine Mädchen.

    Lillis Vater ist Forscher. Er will versuchen, eine entsetzliche Krankheit auszurotten, die Flussblindheit. Mücken übertragen diese Krankheit, die vor allem in Afrika und Südamerika vorkommt. Als er zu einer Forschungsreise nach Afrika aufbricht, verspricht er seiner Tochter, ihr so oft wie möglichst E-Mails zu schicken.

    Almesi ist an der Flussblindheit erkrankt. Ihre Mutter schneidert Puppen aus alten Stoffresten, die sie auf dem Markt verkauft: Ihre Kinder helfen dabei. Von dem, was sie damit verdient, will sie Medikamente für ihre Tochter kaufen. Kinder in Afrika werden schneller erwachsen als in Europa. Auch Hermann Schulz hat das beobachtet. Auch sein Temeo arbeitet mit:

    " Ich glaube, dass die Kinder in Afrika mehr leisten müssen und früher arbeiten müssen als die Kinder bei uns. Das mag man bedauern. Dahinter steht natürlich, dass auf die Schulbildung kein so großer Wert gelegt wird. Das ist einer der ganz großen Defizite des Kontinents. "

    Das Afrika, von dem der Vater schreibt, ist ein armes Afrika, eines in dem die meisten Menschen kein Geld haben, um ihre Kinder zur Schule zu schicken. Sie haben noch nicht einmal genug Geld, um auch nur die Fahrt zum nächsten Krankenhaus zu bezahlen.

    Sigrid Heuck beschreibt wie Herman Schulz afrikanischen Alltag.

    Alltag hält selten Einzug in Literatur oder Filme, die in Afrika spielen. All zu oft wird Afrika mit seiner wunderbaren Natur als reine Kulisse genommen für eine Story, meist eine Liebesgeschichte. Das ist das andere, große Klischee von Afrika: Die Menschen leben unter einer goldenen Sonne. sie haben keinen Strom und kein fließendes Wasser. Sie sind arm, aber glücklich. Das hat zu einem exotistischen Blick auf Afrika geführt. Einem Blick, der Hermann Schulz zornig werden lässt.

    " Das halte ich für eine unmögliche Sichtweise, weil man damit die Afrikaner reduziert auf Zootiere, die man so erhalten muss, wie sie mal gewesen sind, weil sie ja so glücklich sind. Das ist ein großer Irrtum. Denn wenn man genauer hinsieht in den Dorfgemeinschaften, dann sieht man, dass es dort genauso viel Leid und Krankheit gibt wie in den städtischen Gemeinden und das manchmal die Menschen dort sehr, sehr allein gelassen sind, weil es keine ärztliche Behandlung gibt, keine Krankenhäuser, keine Schulen, keine Fürsorge. Und diese Schuld jetzt einfach auf die Kolonialzeit zu schieben, würde zu kurz greifen, denn viele Probleme Afrikas sind einfach hausgemacht. "

    Sigrid Heuck schildert das Elend in den Armenvierteln, den Dreck, die Verzweiflung einer Mutter, die schon drei Kinder beerdigt hat, die an der Flusskrankheit starben und die um das Leben ihres letzten, jüngsten Kindes, der Tochter Almesi kämpft.

    Ich bin schon früher flussblinden Menschen begegnet, aber der Schmerz dieser Frau berührte mich ganz besonders. Sie jammerte nicht. Sie beklagte sich nicht. Sie stand nur da und zeigte uns ihr krankes Kind, das leise weinte.

    Aber die Autorin lässt die jungen Leser nicht allein mit der trauernden Mutter, der schrecklichen Krankheit. Sie zeigt, dass man etwas tun kann. Im Großen: der Vater, der forscht. Und im Kleinen: Das Mädchen aus Deutschland, das eine Sammlung von Kleiderresten organisiert. Es hilft Kindern, wenn sie nicht ohnmächtig zuschauen müssen, wenn sie etwas tun können.
    Und Sigrid Heuck zeichnet einen Vater, der Afrika liebt:

    Für mich sind in Afrika die Geräusche der Nacht die schönste
    Musik, die ich kenne. Die Rufe der Vögel am nahem Ufer, das Quaken der
    Frösche und das Zetern und Keckern der Affen in den Bäumen.


    Denn in Gambia, der Senegal und Mali, wo der Roman spielt, gibt es natürlich nicht nur Leid und Elend. Die Kinder haben Spaß und Freude. Sie sind phantasievoll. Aus einfachsten Mitteln bauen sie sich Spielzeuge. Aus wenig machen sie viel.
    Einmal beobachtet Lillis Vater zwei Jungen, die Coladosen zurechtschneiden.

    Erst als sie die Schachtel über den Stäben mit den Dosendeckeln befestigten, wurde mir klar, dass sie einen Wagen bauten. So ein Spielzeuggefährt, das man mit allerlei beladen und an einer Schnur hinter sich herziehen kann. Du wirst es mir nicht glauben, Lilli, aber es wurde das abenteuerlichste und fantastischste Gefährt, das ich jemals gesehen habe, so ein Mittelding zwischen einem Lastauto, einer Lokomotive und einer Mondrakete, mindestens so aufregend wie das Auto von James Bond. .. Als der kleine das Gefährt probeweise ein Stück vorwärts zerrte, strahlte sein Gesicht vor Glück...der ältere Junge schlug sich auf die Schenkel vor Lachen.

    Lilli, die Tochter des Forschers lebt bei ihrer Großmutter in München. Sie kommt aus Gymnasium. Lernt römische Zahlen, geht zum ersten Mal in die Oper und freundet sich mit Aki an, einem Jungen, dessen Vater aus Mali kommt und der es deswegen nicht leicht hat in der Klasse. Seine Mitschüler raunen hinter seinem Rücken "Neger", einmal wird er sogar verprügelt. Gemeinsam arbeiten sie an einem Referat über die Flussblindheit. Gemeinsam veranstalten sie eine Sammlung von Stoffresten, die sie zum Vater bringen lassen, damit die Frauen weiter Puppen nähen können.

    Sigrid Heuck schildert auch Europa nicht als eine Idylle. In deutschen Schulklassen gibt es latenten Rassismus. Und Lilly ist alles andere als glücklich darüber, dass der Vater sie allein lässt und für Monate nach Afrika fliegt. Sollen sich doch andere um diese tückische Krankheit kümmern, denkt sie anfangs.

    Lilly kennt Afrika nur aus den Mails des Vaters und es bleibt geheimnisvoll und widersprüchlich für sie. Sie erfährt, dass die meisten Kinder dort nicht zur Schule gehen, sondern arbeiten. Sie müssen Geld verdienen. Sie haben Angst vor Krokodilen, Skorpionen und der Flussblindheit. Lilly begreift, wie wichtig die Arbeit des Vaters ist. Das ist sehr reif für ein elfjähriges Mädchen. Sigrid Heucks Afrika ist keines der Safaritouristen.

    Kannst Du verstehen, Lilly, dass mir die Lust vergangen ist, in Tarzans Urwald spazieren zu gehen und Affen zu beobachten?

    Schreibt der Vater einmal an Lilly. Aber da hat sie es längst verstanden.





    Der Kanadier Allan Stratton arbeitete fürs Theater, wurde als Dramatiker bekannt. Seine Stücke sind vielfach ausgezeichnet worden. Vor einigen Jahren begann er, Romane für junge Erwachsene zu schreiben. Zuletzt hat er zwei Romane veröffentlicht die in einem fiktiven afrikanischen Land spielen. Dafür hat er lange in verschiedenen Ländern im südlichen Afrika recherchiert. Hauptfigur seiner beiden Romane ist ein starkes Mädchen: die 15 -jährige Chanda. In "Worüber keiner spricht" geht es um das Thema AIDS. Stratton räumt gründlich auf mit dem Mythos vom edlen, wilden Afrika, wo man sorglos lacht und tanzt und die Familienmitglieder einander unterstützen, wenn jemand in Not geraten ist.

    Denn über AIDS spricht man nicht. Die Mütter sind an Lungenentzündung oder Tuberkulose gestorben und die Nachbarssöhne hatten einen Jagdunfall. Wer AIDS hatte, dessen Familie wird ausgegrenzt, dessen Kinder werden verstoßen.

    Lange verschweigt Chanda, dass ihre Mutter AIDS hat, wagt es nicht, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Erst als ihre kleine Schwester an AIDS stirbt, bricht sie ihr Schweigen.

    " Ich glaube Chanda ist die Person, die wir alle gern wären. Sie ist eine, die zweifelt, eine die Ängste hat aber am Ende hat sie den Mut ihren Ängsten ins Auge zu sehen und ehrlich, offen und mutig zu leben. "

    Aber nicht nur um die Krankheit AIDS geht es in Strattons Büchern. AIDS ist auch ein Bild für Angst, Stigma, Unwissenheit. Für all' das, wovor wird uns ängstigen, für das, was wir niemandem preisgeben wollen, für das eben "worüber keiner spricht". Allan Stratton weiß genau warum sein Roman auch deutsche Jugendliche ansprechen wird:

    " Das Buch behandelt natürlich die AIDS Pandemie im südlichen Subsahara Afrika. Aber AIDS ist eine Metapher für alles, was wir fürchten in unserem Leben, alles, von dem wir glauben, es mache uns einsam und von allen verlassen. Wenn Menschen unsere tiefsten Geheimnisse wissen, werden sie uns dann noch lieben? "

    Auch in seinem neuen Roman "Chandas Krieg" behandelt Stratton ein Tabu: Die Kindersoldaten. Wird die Familie ein Kind wiederaufnehmen, das ein Kindersoldat gewesen ist? Ein Kind, das Entsetzliches erlebt hat? Ein Kind, das gemordet hat? Wird man drüber sprechen können?

    Wieder ist Chanda die Heldin. Es ist gerade sechs Monate her, dass ihre Mutter gestorben ist. Chanda will ihren Verwandten verzeihen, dass sie die Mutter im Stich gelassen haben. Sie macht sich mit ihren kleinen Geschwistern auf zu einer Fahrt in den Busch, nahe der Grenze, wo die Verwandten leben.

    Jenseits der Grenze tobt ein blutiger Bürgerkrieg. Was niemand weiß: Rebellenführer Mandiki hat die Grenze schon überschritten.

    Zunächst lässt Stratton die Geschichte langsam angehen. Es geht um das große Themen Verzeihen und Vergeben.

    Aber gerade, als Chanda soweit ist, dass sie sich mit der Familie aussöhnen will, gerade, als sie die Vergangenheit in der Gegenwart begraben will, überfallen die Rebellen das kleine Dorf, in dem die Verwandten leben und rauben die Dorfkinder, die Hütejungen und auch Iris und Soly, Chandas kleine Geschwister.

    Jetzt entwickelt der Roman eine unglaubliche Dynamik. Chanda will ihre Geschwister zurückholen. Zusammen mit dem Nachbarsjungen Nelson verfolgt Chanda die Rebellen. Ein schier aussichtsloses Unterfangen. Aber Chanda will sich nicht unterkriegen lassen. Sie hat den Traum, die Familie wieder zu vereinen. Sie wird ihn nicht aufgeben.

    " Im Leben gibt es Rückschläge. Und wir gelangen nicht immer geradewegs dorthin, wohin wir wollen. Aber...Träume dauern ein Leben lang. Solange wir leben, können wir uns ändern und - wir können Dinge tun und in unsrer kleinen Welt auch ändern. Und das ist Chandas Geheimnis. Was auch immer geschieht, wie schlecht auch immer die Umstände sind, wir können uns und die Dinge um uns herum ändern. Wo Liebe ist, ist Leben. Und wo Leben ist, ist Hoffnung. "

    Stratton schreibt ungeheuer spannend. Mehr als einmal ist Chanda nur einen Steinwurf entfernt vom grausamen Rebelleführer und seinen Leuten, getrennt nur durch ein paar Büsche. Lange weiß sie nicht, was sie tun soll. Sie muss miterleben, wie Mandiki die Kinder peinigt, wie er sie willenlos macht. Wie er sie glauben macht, ihre Familien hätten sie verstoßen, ER sei ihre Familie. Wie Hütejungen die Pläne ihrer Dörfer aufzeichnen, die er am nächsten Tag angreifen und niederbrennen wird.

    Mandiki ergötzt sich an der Angst der Jungen. Er reckt sein Kinn und winkt seiner Truppe zu. Sofort lassen sich die älteren Kindersoldaten hinter die Hütejungen fallen, reißen ihnen die Hemden auf und drücken sie fest zu Boden. Mandiki tritt zu dem ersten in der Reihe. Er hält das glühende Eisen hoch. Dieses Zeichen sagt der Welt, dass ihr mir gehört - niemand, nicht einmal eure Mama oder Papa - wird euch zurücknehmen. Wer es versucht, wird sterben." Das Kind wimmert. "Meine Soldaten weinen nicht", warnt Mandiki. "Wenn Du schreist, brenne ich Dir ein Loch in die Kehle." Er hebt das Eisen. Ich wende den Kopf ab. Ich höre das Zischen, als er ins Fleisch dringt, das Geräusch von Füssen, die auf den Boden trommeln. Aber keinen Schrei.

    Stratton Sprache ist klar. Niemals wird er sentimental. Anders wären der Schrecken, die Gewalt, die völlige Verrohung auch nicht zu ertragen. Dennoch rührt Strattons Roman die Leser zu Tränen. Denn, nachdem sie endlich befreit worden sind, wird nicht jedes Kind mit seiner Vergangenheit fertig. Erdrückt von Schuldgefühlen, wollen, können manche nicht mehr weiterleben. Stratton schont seine jungen Leser wahrlich nicht:

    " Ich respektiere meine Leser. Der einzige Unterscheid zwischen jungen Erwachsenen und Erwachsenen ist das Alter. Als Erwachsene haben wir Ebenen von Erfahrung und Gewandtheit. Wir sind ein paar Mal durch die Mühle gedreht worden. Aber eigentlich sind wir genau wie die Jugendlichen. Und die Jugendlichen sind wie wir. Wir wollen die Wahrheit. Sie möchten sich ihre Urteile bilden auf guter Information, die beruht auf der Wahrheit über menschliche Beziehungen. Und das ist es, was ich ihnen gebe. Ich möchte nichts mit Zuckerguss überziehen. Ich respektiere die Jugendliche viel zu sehr... Sie lesen weiter, weil die Charaktere und die Geschichte echt. Sie fühlen das Echte. Und sie kümmern sich darum...Wir wollen wissen, was mit Chanda passiert und das ist der Drive, die Motivation auch dann weiterzulesen, wenn es hart wird. "

    Chandas Geschwister versuchen auf ihre Art, die Vergangenheit zu bewältigen. Sie können über das, was sie erlebt, was sie gesehen und getan haben, nicht sprechen. Chanda bringt ihnen Malstifte mit. Sie zeichnen Bilder von zuckenden Blitzen, Feuer, von verbrannten und erschossenen Menschen. Und dann ein Bild, auf dem die Familienmitglieder zu sehen sind,. Ein friedliches Bild. Ein Bild für die Ahnen.

    Ein Familienbild bedeutet noch lange nicht, dass alles vorbei ist. Mandiki ist noch in den Köpfen der Kinder und wird für immer dort bleiben. Aber in Momenten wie diesem weiß ich, dass da auch noch was anderes ist. Ich kann wieder atmen. Und von einer Zeit träumen, in der es ihnen wieder richtig gut geht.

    Stratton beschönigt wahrlich nichts. Sein Afrika ist ein realistisches. Seine Themen, die AIDS Epidemie und die Kindersoldaten, tragen nichts zu einem romantisierenden Afrikabild bei. Afrikas Stärke, so Stratton, sind Menschen wie Chanda, die der Gewalt und der Verrohung etwas entgegenzusetzen haben. Sind Kinder, die das Lachen nicht verlernt haben.

    Als ich in Malawi für "Chandas Krieg" recherchiert habe, lebte ich in einer kleinen Hütte in einem Dorf. Da war ein Baum, der war vielleicht hundert Meter weit weg. Es gab viele Waisenkinder in diesem Dorf und die paar Mütter, die noch da waren, waren spindeldürr und kurz vorm Sterben. Die Kinder waren vielleicht zehn elf Jahre alt, sie gingen zu diesem Baum, sprangen hoch auf einen Ast, zogen ihn für ihre kleineren Brüder und Schwestern herunter.

    Das Kinderlachen und Spielen geht weiter, auch wenn die Kinder gerade ihre Eltern verloren haben oder dabei sind, sie zu verlieren. Dieser Mut, die Idee, das dass das Leben weitergeht, in Menschlichkeit weitergehen kann, dass, solange wir leben, wir stark sind, das habe ich in all den verschiedenen Ländern gespürt.


    Romane, die in Afrika spielen, müssen keine Klischees bedienen. Weder das vom atemberaubend schönen Kontinent mit den fröhlichen, tanzenden, immer lachenden Menschen noch das vom Kontinent, auf dem es nur Hunger, Armut, AIDS und Bürgerkrieg gibt.
    Das gilt für ein gutes Bilderbuch wie Hermann Schulz "Die schlaue Mama Sambona" ebenso wie für die beiden vorgestellten Bücher, die sich an etwa zehnjährige richten. Hermann Schulz "Wenn Dich eine Löwe nach der Uhrzeit fragt" und Sigrid Heucks "E-Mails aus Afrika". Und es gilt für Allan Strattons Romane, die sich an Jugendliche wenden. Diese Autoren wollen die afrikanische Wirklichkeit abbilden. Sie sparen den Schrecken, die Krankheit, den Krieg und den Tod nicht aus. Aber sie zeigen starke junge Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen. Kämpfernaturen. Die Hoffnung des Kontinents.

    Sigrid Heuck: E-Mails aus Afrika. 145 S. Thienemann. 9.90 Euro
    Allan Stratton: Worüber keiner spricht. Aus dem Englischen von Heike Brandt. 272 S. DTV 7.50 Euro
    Allan Stratton: Chandas Krieg. Aus dem Englischen von Heike Brandt.
    336 S. DTV 7.50Euro
    Herrmann Schulz: Die schlaue Mama Sambona. 24. S. Peter Hammer Verlag. 13.90 Euro
    Hermann Schulz: Wenn Dich eine Löwe nach der Uhrzeit fragt. 128 S. Carlsen. 5.50 Euro