Christine Bartlitz beschäftigt sich als Historikerin vor allem mit Fotoarchiven. Ende letzten Jahres sah sie auf einer Tagung zum ersten Mal eine Sammlung mit Aufnahmen der mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR. Vor allem Privatfotos, die sie nach Hause geschickt hatten, und die sie als stolze Arbeiter im sozialistischen Bruderland zeigen.
"Es gibt Schnappschüsse von einem Ausflug nach Werder. Es gibt einen Mann, der in ein Fotoatelier gegangen ist und dort Fotos von sich machen lassen hat. Und wir waren alle ganz begeistert von diesen Fotos, die ja für uns Historiker Quellen sind, historiographische Quellen", erzählt Bartlitz, die am Leibniz-Institut für Zeithistorische Forschung in Potsdam arbeitet.
Ethische Verantwortung für die Opfer
Bald kam unter den Wissenschaftlern der Tagung die Frage auf, ob aus der Forschung am Schicksal der sogenannten "Madgermanes" nicht auch eine ethische Verantwortung erwächst. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabel Enzenbach von der TU Berlin hat sie nun einen Offenen Brief an die Bundesregierung initiiert, in der diese aufgefordert wird, "rasche und unbürokratische Entschädigungszahlungen" an die Betroffenen zu leisten. Zu den Erstunterzeichnern gehören rund 100 Historiker, die vor allem zu DDR-Geschichte, Erinnerungskultur und Migrationsgeschichte forschen.
"Weil zum Beispiel im Einigungsvertrag ist das Thema vollkommen ausgeklammert worden. Und zum Beispiel auch die Gewerkschaften, die Reste des FDGB und auch der DGB haben das nie auf ihrer Agenda gehabt, sich für diese Menschen einzusetzen. Man muss letztlich sagen, dass das niemanden interessiert hat. Sie waren letztlich ein Opfer der Wiedervereinigung."
Löhne wurden jahrzehntelang einbehalten
"Madgermanes", die Deutschen, so werden sie in ihrer afrikanischen Heimat genannt. Seit über 30 Jahren gehen viele von ihnen dort einmal die Woche auf die Straße, um gegen das Unrecht zu protestieren, das ihnen wiederfahren ist – von ihrer eigenen und der DDR-Regierung. Viele der etwa 17.000 mosambikanischen Vertragsarbeiter erlebten Ausgrenzung und Rassimus. Statt der versprochenen Qualifikation wurden sie häufig nur als billige Fabrikarbeitskräfte eingesetzt. Und: Ein Teil ihres Lohns - zwischen 25 und 60 Prozent oberhalb eines Sockelbetrags von 350 DDR-Mark - wurde einbehalten. Mit dem Versprechen, es werde auf ein Konto eingezahlt, auf das sie nach ihrer Rückkehr in Mosambik zurückgreifen könnten. Doch als sie nach der Wende zurückgeschickt wurden, waren die meisten dieser Konten leer. Auch ihre Renten, in die sie eingezahlt hatten, erhielten sie nie.
"Die haben wirklich nichts! Die sind die Ärmsten der Armen in Mozambique. Obwohl sie mal im Ausland gewesen sind. Sie waren die Hoffnung der Nation, und jetzt sind sie vielleicht die Verlierer der Nation", sagt Joao Adelino Massuvira, der selbst im Alter von 19 Jahren als Vertragsarbeiter in die DDR kam. Lange blieb unklar, was aus dem Geld geworden war. Doch neuere Forschungen ergaben, dass die Honecker-Regierung die Löhne der Vertragsarbeiter mit den Staatsschulden der jungen Republik Mozambik bei der DDR verrechnet hatte. Es ging Berlin vor allem um Devisenbeschaffung, erklärt Hans-Joachim Döring, der sich für die Evangelische Kirche Mitteldeutschland seit langem für die Interessen der Madgermanes einsetzt.
"Und das war eine der Hauptmotivationen, weswegen die Vertragsarbeiter seit 1979 in die DDR eingeladen wurden. Dass sie dazu bestimmt waren, mit einem Teil ihres Lohnes diese Kredite abzuarbeiten. Das wurde ihnen aber nicht gesagt, und das ist eine grobe Täuschung oder auch ein Betrug, so sehen wir das heute."
Wissenschaftler fordern Hilfe
Wir waren nichts anderes als moderne Sklaven, so sieht es Joao Adelino Massuvira. In den 90er Jahren zahlte die Bundesrepublik zwar eine vergleichsweise niedrige Summe von 70 Millionen Euro aus Entwicklungshilfegeldern "als Heilung" des Unrechts an die mosambikanische Regierung – doch ohne eine Zweckbindung zu vereinbaren, der Großteil des Geldes versickerte in korrupten Kanälen in Maputo. Dennoch sieht die Bundesregierung das Thema als abgegolten an – und als "innermosambikanische Angelegenheit." Das genügt nicht, sagen die Betroffenen – und auch die rund 100 Wissenschaftler. Nächste Woche soll der Offene Brief an die Bundesregierung übergeben werden.