Die Straßenbahn rattert durch Addis Abeba, die rasant wachsende Hauptstadt Äthiopiens mit seinen geschätzt mehr als vier Millionen Einwohnern. Seit 2015 ist die erhöht gebaute, 34 Kilometer lange Tramlinie in Betrieb - und für die Äthiopier eine praktische Alternative zu den Minibussen in der vom Stau geplagten Großstadt.
Die Straßenbahn ist eines von vielen Infrastruktur-Projekten, die Äthiopien in den vergangenen Jahren umgesetzt hat. Finanziert wurden die Maßnahmen überwiegend mit chinesischen Krediten.
China will mehr als 50 Milliarden investieren
China hat Äthiopien bisher etwa zwölf Milliarden Euro geliehen. Das berechnete die China-Afrika-Forschungsgruppe an der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität. Äthiopien ist damit der zweitgrößte Empfänger chinesischer Kredite in Afrika, nur Angola bekam noch mehr Geld geliehen. Insgesamt erhielten afrikanische Staaten seit 2000 mehr als 100 Milliarden Euro.
Die Kredite sind Teil der Neuen Seidenstraßen-Initiative und ein Kernstück chinesischer Außenpolitik. China will sich damit unter anderem neue Märkte erschließen, Handelsrouten und den eigenen Energiebedarf absichern. Aber es gibt auch regelmäßig Kritik: Peking würde Länder mit den Krediten in die finanzielle Abhängigkeit treiben und seinen Einfluss ausbauen.
In den kommenden Jahren will sich China in Afrika weiter engagieren und mehr als 50 Milliarden Euro investieren.Und auch der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed ist China gegenüber weiter aufgeschlossen. Er sagte im Herbst vergangenen Jahres im chinesischen Staatsfernsehen:
"China war bisher ein sehr wichtiger und strategischer Partner in unserem Entwicklungsbestreben. Es geht um die Transformation der äthiopischen Wirtschaft durch Investitionen, Handel, Stipendien zur Förderung von Wissen und Knowhow. China unterstützt uns sehr gut in dieser Transformation."
Afrika einbinden in Chinas Handelsnetz
ist seit April 2018 Regierungschef des ostafrikanischen Landes. In den ersten Monaten seiner Amtszeit schloss er Frieden mit dem benachbarten Eritrea - eine historische Entscheidung. Er besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen und verspricht, das Land schrittweise zu demokratisieren. Journalisten wurden aus dem Gefängnis entlassen, Oppositionelle kehrten aus dem Exil nach Addis Abeba zurück. Viele Äthiopier hoffen, dass Abiy Ahmed die autoritären Strukturen im Land lockert.
Doch Abiy Ahmed hat ein schweres Erbe übernommen: Äthiopien ist von ethnischen Konflikten um Macht, Land und Ressourcen gezeichnet. Frieden im Land herzustellen ist eine der größten Herausforderungen für den neuen Ministerpräsidenten.
Genauso, wie Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung zu schaffen. Chinesische Investitionen in die Industrie sollen helfen.
"Mit der Belt-and-Road-Initiative hat Präsident Xi eine gute Vision, nämlich Afrika mit Europa und Asien zu verbinden. Ich hoffe, dass Afrika dadurch eine Chance bekommt, den Warenaustausch zu steigern. Das ist die Voraussetzung, um eine Win-Win-Situation herzustellen zwischen Äthiopien und China, zwischen Afrika und China."
Die Belt-and-Road-Initiative, der offizielle Name der Neuen Seidenstraße, ist ein umfangreiches Projekt - seit 2013 maßgeblich vorangetrieben von Chinas Präsident Xi Jinping. Das geplante Handelsnetzwerk soll China mit mehr als 60 Staaten in Asien, Europa und Afrika verbinden. Dazu wird etwa in Schienenwege, Häfen und Straßen investiert. Das langfristige Investitionsvolumen liegt bei etwa 800 Milliarden Euro.
Hoffen auf den wirtschaftlichen Aufstieg der Mittelschicht
Äthiopien wird über das Rote Meer, konkret über den Hafen des Nachbarstaates Dschibuti, an China angebunden. Für Peking ist Äthiopien das Erfolgsmodell in Afrika: Chinesische Firmen lagern Jobs hierhin aus, unter anderem wegen der billigen Löhne. Äthiopien wiederum orientiert sich am chinesischen Entwicklungsweg. Was dem fernöstlichen Partner ab den 1980er-Jahren gelang - der Aufstieg einer Mittelschicht durch Industrialisierung - das soll nun auch Äthiopien gelingen.
Die Strategie: Sonderwirtschaftszonen, in denen unter anderem chinesische Firmen für den Export produzieren, etwa nach Europa und in die USA. Die äthiopische Regierung gibt sich optimistisch und plant, Millionen Jobs zu schaffen und bis 2030 eine Textilindustrie-Macht in der Region zu werden.
Alemayehu Geda, der an der Universität von Addis Abeba Volkswirtschaft unterrichtet, spricht schon jetzt von einem wirtschaftlichen Erfolg, bremst aber zu hohe Erwartungen.
"Äthiopien hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr gut entwickelt, die Wirtschaft wuchs laut offiziellen Zahlen um zehn Prozent jährlich. Ich glaube den offiziellen Zahlen zwar nicht, aber es dürften zumindest sieben Prozent gewesen sein. Die äthiopische Regierung hat drei Bereiche für die Industrialisierung identifiziert. Erstens: Textilproduktion, zweitens: Lederproduktion, und drittens: die Agrarindustrie."
Doch der Anteil, den die Industrie-Produktion am Bruttoinlandsprodukt ausmache, bleibe trotz aller Bemühungen gering, sagt Alemayehu Geda. Äthiopien sei immer noch eine Agrarnation.
Chinas Interesse an Afrikas Rohstoffen
Mit chinesischen Groß-Investitionen afrikanische Volkswirtschaften in Gang bringen - das sehen vor allem westliche Beobachter kritisch. Denn China, so der Vorwurf, sei hauptsächlich an Afrikas Rohstoffreichtum interessiert. Tatsächlich wird stark in Nigeria und Angola investiert, Staaten mit großen Ölreserven, oder in Sambia, einem Staat mit Kupfervorräten.
Eisen, mineralische Brennstoffe, Holz - das sind die größten Afrika-Importe des 1,4-Milliarden-Einwohner-Staats China. Doch Äthiopien, der zweitgrößte afrikanische Kreditnehmer Pekings, ist zumindest bisher nicht für seine Rohstoff-Vorkommen bekannt. Wie passt das zusammen?
Der Ökonom Alemayehu Geda geht davon aus, dass Äthiopien als Vorzeigemodell für den Kontinent dienen soll. Und Addis Abeba, in dem etwa die Afrikanische Union ihren Sitz hat, sei eine Diplomatenstadt.
"Die man vielleicht mit Genf oder New York vergleichen kann. Wenn man also hier was Gutes umsetzt, ist die Chance groß, dass es der Rest Afrikas mitbekommt. Botschafter und Politiker reisen für Treffen an, sehen etwa die Straßenbahn in der Stadt und wollen dann auch eine in ihrem Land."
Äthiopien sei aber auch interessant für chinesische Firmen, weil das Land als relativ sicher und stabil gelte. Das sagt Yunnan Chen, die Teil einer Forschungsgruppe zu den chinesisch-afrikanischen Beziehungen ist, an der Johns-Hopkins-Universität in Washington D.C. Hinzu kommt:
"Äthiopien ist ein spannendes Beispiel für eine afrikanische Regierung, die sehr bewusst ihre Entwicklungsstrategie verfolgt. Und dabei die wachsenden Möglichkeiten chinesischer Finanzierung strategisch nutzt, um ihre Ziele zu erreichen, das bedeutet vor allem den massiven Ausbau der heimischen Energie- und Transport-Infrastruktur."
Diplomatie der Schuldenfalle?
Denn Afrika braucht Infrastruktur: Noch immer sind die meisten Straßen nicht asphaltiert und Millionen Menschen haben keinen Stromanschluss. Vor allem chinesische Stimmen würden daher von einem "Marshall-Plan für Afrika" sprechen, sagt Yunnan Chen. Trotzdem werde das Engagement Pekings kontrovers diskutiert - hauptsächlich im Westen.
"Die eine Seite des Diskurses ist, dass China öffentliche Güter bereitstellt. Die andere Seite, dass China Kredite an Länder vergibt, die schon mal unter einer Schuldenkrise gelitten haben - und nun verschulden sie sich wieder, und China nutzt das strategisch aus. Das wird meiner Meinung nach übertrieben. Aber es passt in diese Erzählung von China als globaler Bedrohung."
US-Vizepräsident Mike Pence warf China im Oktober letzten Jahres vor, eine Diplomatie der Schuldenfalle zu betreiben. Im Dezember kündigte die US-Regierung eine eigene Afrika-Strategie an, jedoch ohne Zahlen zu nennen. Die New York Times kommentierte, dabei gehe es eigentlich um China.
Die EU wiederum versprach bei ihrem EU-Afrika-Gipfel 2017, "nachhaltige Investitionen" auf dem afrikanischen Kontinent in Höhe von 44 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 - man will, so scheint es, Afrika nicht den Chinesen überlassen.
Seite an Seite: äthiopische und chinesische Arbeiter
Wer durch Äthiopien fährt, hört die Kinder fröhlich "China" rufen. Sie haben sich längst an die Tausenden chinesischen Arbeiter gewöhnt, von denen viele schon mehrere Jahre in Äthiopien wohnen. Auf dem ganzen Kontinent sollen bereits rund eine Million Chinesen leben.
Viele von ihnen arbeiten in der Bauindustrie. Denn chinesische Unternehmen setzen die Bauprojekte, die Äthiopien mit chinesischem Geld finanziert, meist selbst um. Heimische und ausländische Firmen sollen sich wiederum vermehrt in "Industrieparks" ansiedeln, heißt es etwa von der staatlichen äthiopischen Investitions-Kommission. Dabei lockt die äthiopische Regierung mit Steuerbefreiungen.
Einer dieser Industrieparks steht in Dire Dawa, eine Großstadt im Osten Äthiopiens. Im Herbst letzten Jahres bohren Arbeiter letzte Rohre an, schleifen an Konstruktionen. Die Fabrikhallen stehen schon, sind aber noch leer. Hier sollen sich unter anderem Textilfirmen niederlassen.
Rund 300 chinesische Fachkräfte arbeiten hier laut Auskunft eines Arbeiters, Seite an Seite mit mehr als Tausend äthiopischen Arbeitskräften.
"Wir arbeiten sehr gut mit den Äthiopiern zusammen. Sie lernen die chinesischen Fachausdrücke, wir lernen die Fachausdrücke in der amharischen Sprache. 'Phero' zum Beispiel, das heißt Stahlstange. Wir verstehen uns also, da gibt’s keine Probleme."
Sagt einer der chinesischen Arbeiter im Dire-Dawa-Industriepark. Er ist Anfang 30, lebt bereits ein paar Jahre in Äthiopien und bittet, weil er das Interview spontan und ohne offizielle Genehmigung gibt, namentlich nicht genannt zu werden.
"Wir Chinesen möchten, dass sich die Äthiopier entwickeln - ich sage das nicht nur so, ich meine das aus vollem Herzen. Wir kommen nicht hierher, um was zu nehmen, wir wollen helfen. Wir wollen, dass Äthiopien seine Industrie entwickelt. Das ist wichtig, weil die meisten arbeitenden Menschen von der Landwirtschaft abhängig sind. Aber die Landwirtschaft bleibt immer wetterabhängig. Also brauchen die Äthiopier mehr Jobs- und Einkommensmöglichkeiten. Damit ihre Kinder ein anderes Leben führen können."
Einsam und riesig: Bahnhof in der Einöde
Helfen sollen dabei die neu entstehenden Jobs in den Industrieparks. Das chinesische Prestigeprojekt in Äthiopien ist aber der Addis Abeba-Djibouti-Railway. Die Zugverbindung ist die erste grenzüberschreitende, elektrifizierte Eisenbahn Afrikas. Drei Milliarden Euro kostete es, gut 750 Kilometer Gleis von der äthiopischen Hauptstadt bis in den Zwergstaat am Roten Meer zu verlegen. Mitfinanziert von einer chinesischen Bank und gebaut von chinesischen Firmen.
Der Hafen von Dschibuti dient dabei als zentrales Handelsdrehkreuz, über das fast alle äthiopischen Importe laufen. Künftig sollen Waren, die in äthiopischen Industrieparks produziert werden und per Zug hier anlanden, aber auch von Dschibuti exportiert werden.
Der Staat neben Äthiopien ist zudem ein wichtiger geostrategischer Punkt, gelegen an der Meerenge zwischen dem Golf von Aden und dem Roten Meer. Nicht nur das amerikanische Militär ist in Dschibuti stationiert, auch China zeigt hier - als eines von vielen Ländern - Präsenz und eröffnete 2017 eine Militärbasis - die erste permanente chinesische Basis im Ausland.
Dire Dawa, das zwischen der äthiopischen Hauptstadt und Dschibuti liegt, wurde ebenfalls an die Trasse angebunden. Der neue Bahnhof von Dire Dawa liegt weit außerhalb des Stadtzentrums. Ein riesiges Gebäude, hineingepflanzt in eine dürre Landschaft. Exportorientierte Firmen nutzen diesen und andere Bahnhöfe bisher nur spärlich, sagt die Wissenschaftlerin Yunnan Chen - bisher gebe es nur wenige Zugverbindungen. Ob sich die teuren Investitionen lohnen und dem Land zum Aufschwung verhelfen, muss sich erst zeigen.
Und auch die Diskussion um die Schulden, die mit den chinesischen Krediten entstehen, hält an. Dschibuti, der Kleinstaat am Roten Meer, dient Kritikern als abschreckendes Beispiel: Denn das Land ist mit mehr als 85 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verschuldet, vor allem bei China.
Und auch Äthiopien hat viel Geld von China geliehen. Der Internationale Währungsfonds schätzt die Gefahr einer Schuldenkrise als "hoch" ein; Äthiopien ist mittlerweile mit 59 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verschuldet. Peking verlängerte deshalb den Zeitraum, in dem die Schulden für den Eisenbahnbau zurückgezahlt werden müssen - von zehn auf dreißig Jahre.
Aber ist die fundamentale Kritik, dass China afrikanische Staaten in die Schuldenfalle treibt, gerechtfertigt? Verfechter dieser These zeigen nach Sri Lanka, das seine Kredite nicht mehr bedienen konnte, woraufhin China einen mitfinanzierten Hafen für 99 Jahre pachtete.
In Zukunft nach Westen oder Osten?
Die Wissenschaftlerin Yunnan Chen sagt, das sei bisher ein Einzelfall. Es gebe zu wenige Hinweise für die Theorie, dass China Schulden strategisch-politisch einsetze. Chen betont, China sei kein einzelner, großer Akteur, der alles zentral plane. Vielmehr werde die Dynamik durch viele staatliche Unternehmen auf der Suche nach Geschäftsmöglichkeiten getrieben.
"Natürlich sind diese Firmen direkt oder indirekt und in unterschiedlichem Ausmaß in staatlichem Besitz, sie agieren jedoch auch als politische und vor allem kommerzielle Akteure. Letztendlich versuchen sie auch, sich neue Märkte zu erschließen und wirtschaftliche Möglichkeiten zu eröffnen. Die Unterstützung durch den Staat bedeutet, dass sie bereit sind, größere Risiken einzugehen und geringere Gewinnmargen zu akzeptieren als westliche Konkurrenten. Und das hat sie in afrikanischen Volkswirtschaften sehr wettbewerbsfähig und sehr, sehr erfolgreich gemacht. Aber diese Firmen unterliegen nicht dem Willen des Staates."
Hinzu kommt: Neben China schuldet Äthiopien zum Beispiel auch Ländern des Nahen Ostens und der Weltbank Geld. Und derzeit gebe es einen Mangel an Devisen, umtauschbaren Fremdwährungen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Alemayehu Geda. Das werfe die Frage auf, wie sich Äthiopien in Zukunft positionieren wolle, Richtung Osten oder Richtung Westen?
"Sollen wir uns der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds zuwenden, das Land liberalisieren und dadurch unser Devisenproblem lösen? Oder sollen wir bei China bleiben, unserem traditionellen strategischen Partner - und auf die Liberalisierung und den Einfluss der USA, Großbritanniens, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds verzichten? Das ist das derzeitige Dilemma der Regierung."
Der neue Ministerpräsident Abiy Ahmed sei erstens klug genug, sich nicht nur nach Westen zu orientieren, sondern vom Westen und von China zu profitieren, ergänzt Alemayehu Geda. Und zweitens sei Abiy Ahmed klug genug, dankbar dafür zu sein, was China in den vergangenen 20 Jahren im Land geleistet hat.
Aber nicht immer sind die Chinesen in Afrika willkommen, mancherorts kommt es zu Protesten. Kenianer werfen den Chinesen Rassismus und Diskriminierung vor. In Sambia kritisiert die Opposition Korruption im Zusammenhang mit chinesischen Firmen und den wachsenden Einfluss Chinas.
Dennoch entstehen auch Jobs in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Consulting-Firma Mc Kinsey veröffentlichte 2017 eine Studie, die auf Interviews mit mehr als eintausend Firmen in acht afrikanischen Ländern basiert. Die Studie zeigt: 89 Prozent der Jobs, die die befragten chinesischen Unternehmen schufen, gingen an Afrikaner. 300.000 neue Arbeitsplätze entstanden so. Hochgerechnet auf Afrika wären das einige Millionen. Auch der Ökonom Alemayehu Geda sieht hier Potential.
"Es liegt an uns, das auszuschöpfen. Keine Firma kommt hierher, um Wohlfahrt zu betreiben. Wenn man klug ist, nutzen wir diese Chancen und profitieren. Wenn man aber nicht klug ist, wird man ausgenutzt."