"Ich frage mich ständig: Woher habe ich das? Von anderen Menschen? Oder ist das in mir entstanden? Warum habe ich diese Tuberkulose? Ich habe es nicht herausgefunden."
Der Mann mit dem blauen Hemd und braunen Sakko nennt sich Oteng'e - und er hat eine multiresistente Tuberkulose. Kaum noch ein Antibiotikum kommt gegen die Mycobakterien in seiner Lunge an. Die ausgeatmete Luft ist hochinfektiös. Deswegen ist der Mann mit einem Mundschutz unterwegs. Und deswegen erlaubt eine Ärztin das Interview auch nur, wenn es unter freiem Himmel stattfindet. Also setzt sich Oteng'e auf einen weißen Plastikstuhl hinter dem Gebäude des Nationalen Tuberkulose-Referenzlabors in Nairobi. Dann nimmt der 48 Jahre alte Mann die Maske doch ab: um besser erzählen zu können.
"Jeden Tag nehme ich 17 Tabletten gegen die Tuberkulose: 14 am Morgen, drei am Abend. Dazu noch eine Spritze. Und zwei Pillen gegen HIV. Erst habe ich die Pillen mit etwas zu trinken genommen, aber da musste ich brechen. Dann bin ich auf Porridge umgestiegen. Aber schon nach ein, zwei Wochen konnte ich den Brei nicht mehr sehen. Weil mir dann klar ist: Es ist Zeit für die Medikamente."
Resistenzen nehmen zu
Oteng'e ist ein Einzelfall - momentan jedenfalls noch. Denn eine Studie in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia, hat ergeben: Von fast 300 untersuchten Patienten mit einer Lungen-Tuberkulose war ein Drittel zumindest gegen ein Antibiotikum resistent - und zwar ausgerechnet eines, das zur Standardbehandlung bei Tuberkulose gehört. Zwei der 300 untersuchten Patienten waren sogar gegen fast alle Antibiotika resistent - so wie Oteng'e.
"In der Theorie kennen wir das Problem, aber das ist so vernachlässigt, dass wir das Problem in der Praxis noch nicht in den Griff bekommen."
Celestino Obua ist Pharmakologie-Professor an der Makerere-Universität in Ugandas Hauptstadt Kampala. Antibiotika seien einmal die Wunderwaffe der Medizin gewesen, sagt Obua, aber mittlerweile wirkten Antibiotika immer seltener - weil Bakterien gegen sie resistent werden.
Häufig unprofessioneller Umgang mit Antibiotika
In Industrieländern wie Deutschland sind es vor allem die multiresistenten Krankenhaus-Keime und Antibiotika in der Tierhaltung, die Sorgen bereiten. In Entwicklungsländern gibt es andere Ursachen dafür, dass Antibiotika-Resistenzen entstehen und sich verbreiten. Obua:
"Der erste Grund ist, dass in Entwicklungsländern mehr Menschen Infektionskrankheiten haben und deswegen viele Antibiotika gebraucht werden. Zweitens fehlt das Wissen, was gut und was schlecht ist, wenn man Antibiotika verwendet. Und drittens sind der Zugang und die Verfügbarkeit von Antibiotika nicht reguliert; es kommen Antibiotika in unser Land und werden hier verkauft, obwohl sie nicht einmal registriert sind."
Der Pharmakologe kritisiert außerdem, dass zu viele "Unprofessionelle" im Geschäft mit Medikamenten mitmischen - nämlich Menschen, die nicht dafür ausgebildet sind, Patienten zu behandeln oder Medikamente zu verteilen:
"Wir haben sogar ein Gesetz in Uganda, demzufolge Antibiotika und andere Medikamente nur auf Rezept erhältlich sind. Aber dieses Gesetz wird überhaupt nicht durchgesetzt."
Dorf-Apotheken verkaufen Antibiotika ohne Rezept
Studien und Schätzungen im Nachbarland Kenia haben zum Beispiel ergeben: Bevor die Kranken zum Arzt kommen, war gut jeder zweite von ihnen schon einmal in einer Dorf-Apotheke. Und mehr als zwei Drittel aller Apotheken verkaufen Antibiotika ohne Rezept.
Auch in anderen Entwicklungsländern ist das üblich. Es ist auch normal, dass man nicht eine ganze Packung Antibiotika kauft, sondern nur ein, zwei, drei Tabletten - je nachdem, wie viel Geld man gerade übrig hat. Und dann kommt man wieder, wenn man die nächste Dosis bezahlen kann. Ganz zu schweigen davon, ob das eine oder andere Antibiotikum ohne Rezept überhaupt das richtige ist, ja, ob man die Medikamente überhaupt bräuchte. Oteng'e:
"Wann immer ich dann einen Husten hatte, bin ich nicht zum Tuberkulose-Test gegangen. Ich habe einfach irgendwo ein paar Antibiotika gekauft und sie geschluckt."
Oteng'e hatte 1997 das erste Mal eine akute Tuberkulose. Die war auch gut behandelt worden. Zunächst. Aus Sorge schluckte er dann alle paar Monate eine ganze Packung Antibiotika - vielleicht die falschen, vielleicht sogar unnötigerweise. So ging das jahrelang. 2013 brach die Tuberkulose erneut aus - und jetzt halfen die Antibiotika nicht mehr.
Celestino Obua, der Pharmazie-Professor aus Uganda, kennt solche Geschichten zu Genüge - und warnt:
"Wenn der Trend, Antibiotika zu missbrauchen, so weitergeht, dann wird es keine zehn Jahre dauern, bis die Bakterienstämme gegen die meisten nützlichen Antibiotika vollständig resistent geworden sein werden."
Post-antibiotische Ära
Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt mittlerweile so deutlich wie noch nie: Die Gefahr der Antibiotika-Resistenzen ist keine Prophezeiung mehr, sondern sie entstehe genau jetzt, und zwar überall in der Welt! Im April hatte die WHO einen fast 300 Seiten langen Bericht veröffentlicht - mit Zahlen und Eindrücken aus der ganzen Welt. Oteng'e ist eben doch kein Einzelfall.
Experten befürchten schon länger: Noch in diesem 21. Jahrhundert werde der Zeitpunkt kommen, ab dem bakterielle Infektionen wieder so behandelt werden müssen wie im 19. Jahrhundert - nämlich ohne Antibiotika. Deswegen fordert die Weltgesundheitsorganisation nun ihre Mitgliedsländer auf, dafür zu sorgen, dass Antibiotika vernünftiger eingesetzt werden - und sie somit doch noch länger wirksam sind.