"Teufel, geh fort!", rufen ein paar Männer und Frauen in weißen Gewändern, als sie durch eine kleine Kirche schreiten. In der einen Hand halten sie eine Bibel, mit der anderen Hand deuten sie Schläge an. Die Menschen, die vor dem Altar sitzen, warten regelrecht auf die Drohgebärden. Diese Menschen leben hier im Centre Toby Nenilava in der Stadt Fort Dauphin im Südosten Madagaskars. Ein Toby ist eine Einrichtung, die an die madagassische Luther-Kirche angeschlossen ist und Kranke aufnimmt. Exorzismus ist die Therapie – jeden Vormittag und Nachmittag versammeln sich die Toby-Bewohner in der Kirche, sagt Pastor Idealy.
"Hier in Fort-Dauphin gibt es viele Krankheiten, die von den Ärzten nicht behandelt werden können. Und Jesus kann hier im Toby behandeln, nämlich Leute heilen, die vom Teufel besessen sind. Unsere Mitarbeiter haben nicht Medizin studiert, sondern zwei Jahre Bibelstunden besucht."
Vor der Exorzismus-Veranstaltung hatte der Pastor noch über das Gelände geführt. Auf einem Hof kochen Frauen Reis. Kinder und Hühner rennen herum. – Und eine Frau hat eine schwere Gliederkette zwischen beiden Fußgelenken.
"Sie hat Anfälle. Und sie rennt in den Wald, weil sie meint, der Teufel rennt hinter ihr her. Sie ist seit ein paar Monaten hier. Jetzt geht es ihr schon besser."
Die Teufelsaustreibung war erfolgreich, glaubt Pastor Idealy. Wer komisch zuckt, Stimmen hört oder tieftraurig ist, der sei wohl vom Teufel besessen. Dass das eine oder andere eine seelische oder neurologische Erkrankung – eben ein mentales Problem – sein kann, , das ist hier so schwierig zu diagnostizieren wie zu vermitteln. Denn die Zusammenarbeit mit der Gesundheitsstation in der Stadt ist gerade etwas schwierig; und wenn die Ärztin die Diagnose stellt: "Dein Kopf ist krank. Das ist kein Teufel", dann glaubt man ihr oft nicht.
"In vielen afrikanischen Ländern werden mentale Erkrankungen kaum behandelt – gerade im Vergleich zu Programmen gegen Krankheiten wie Malaria und Aids, die viel bekannter sind."
Der Mehrzahl psychisch Kranker wird nicht geholfen
Malala Raminosoa arbeitet in Madagaskar für die Weltgesundheitsorganisation. Die WHO schätzt: In strukturschwachen Ländern wie Madagaskar wird mindestens drei Vierteln aller ernsthaft psychisch Kranken nicht geholfen – die sogenannte Behandlungslücke beträgt bis zu 85 Prozent, in industrialisierten Ländern hingegen zwischen 35 bis 50 Prozent. Warum Alkoholsucht und Depression, Epilepsie und Schizophrenie dermaßen vernachlässigt werden in Entwicklungsländern – das hat verschiedene Gründe: Einheimische wissen oder glauben nicht, dass mentale Probleme medizinisch behandelt werden können. Afrikanische Gesundheitsministerien investieren im Durchschnitt 0,6 Prozent ihres Budgets in die mentale Gesundheit. Nichtregierungsorganisationen engagieren sich eher für Infektionskrankheiten oder für Wasser- und Hygieneprogramme. Und Fachärzte werden kaum ausgebildet.
"Momentan gibt es 13 Psychiater auf ganz Madagaskar. Für 22 Millionen Menschen."
Lanto Ratsifandrihamanana leitet das einzige psychiatrische Krankenhaus in ganz Madagaskar. Dabei ist das Land größer als Frankreich.
"Am Anfang war das hier kein Krankenhaus, sondern eine Irrenanstalt: für Schwachsinnige, Idioten, geistig Behinderte, Verrückte, Prostituierte. 1905 wurde die Irrenanstalt hier gegründet. Man hatte entschieden, die Anstalt ein bisschen außerhalb der Hauptstadt zu bauen, wo die Patienten abgeschottet werden können."
Gartenarbeit und Schlafmittel
Auf den ersten Blick sieht es hier aufgeräumt und sauber aus; es wirkt regelrecht friedlich. Aber wenn man zwei Tage hier ist, dann gewinnt man den Eindruck, dass eigentlich so gut wie jeder Patient einfach nur mit altmodischen Neuroleptika und Schlafmitteln ruhig gestellt wird. Nachts werden die Patienten in ihrem Zimmer eingeschlossen. Und es gibt auch kaum Betreuung, geschweige denn eine Psychotherapie.
"Wir machen hier Gruppentherapie: Die Patienten arbeiten zusammen und sie helfen sich gegenseitig. Das wird von den verantwortlichen Ärzten kontrolliert. Die führen auch Gespräche mit den Patienten."
Das sieht dann so aus, dass die Patienten jeden Tag ihren Trakt putzen, gemeinsam den Garten jäten, und dass ein Arzt mit einem Patienten spricht, wenn der vorlaut war. Die Patienten zahlen rund 7,50 Euro pro Tag für Unterkunft, Verpflegung und die Standard-Medikamente. Und das in einem Land, wo fast jeder von nicht mal 1,50 Euro pro Tag lebt.
Nebenan im "kostenlosen" Trakt – Kost und Logis sind hier frei, die Medikamente nicht – sitzt ein Mann auf einem Bett: José. Er ist Cannabis-süchtig.
"Ich habe mich immer mit vier, fünf Freunden getroffen. Wir haben dann den ganzen Tag lang Cannabis geraucht. Der Joint war so groß wie das Mikrofon. Wir fühlen uns nicht gut, wenn wir nicht rauchen."
José war schon einmal hier, für zehn Tage. Einen Monat später kiffte er wieder zu viel. Welche Medikamente er bekommt und wie die ihm helfen sollen, das weiß er nicht. Es bespricht auch niemand mit ihm, woher seine Sucht kommt oder wie er zu Hause dem Drang nach einem Joint widerstehen könnte.
"Es gibt keine andere Therapie. Nur Spritze und Tablette."