Richard fühlt sich schlecht. Manchmal ist ihm schwindelig und alles dreht sich; dann wird er bewusstlos. Momentan sitzt der Mann in seiner Lehmhütte in einem Dorf in Tansania. In einem kleinen Raum stehen zwei Sessel, an der Wand hängt ein Bild von Jesus. In den zweiten Raum passt gerade mal ein Bett. Richard ist Anfang 50 und kann nicht so gut sprechen. Deswegen hilft ihm sein Onkel Evarist:
"Es ging 1971 los. Da war er etwa zehn Jahre alt. Er fiel ständig hin, wurde steif und machte komische Geräusche. Er brach zusammen, verlor das Bewusstsein und fiel in einen tiefen Schlaf."
Solche Anfälle hatte Richard damals dreimal am Tag oder sogar noch öfter. Ein traditioneller Heiler konnte nicht helfen. In einem Krankenhaus fiel dann das Wort "kifafa": Das ist Suaheli und bedeutet so viel wie "kleiner Tod" – eine Umschreibung für die Diagnose Epilepsie.
Betroffene werden ausgegrenzt
Epilepsie ist in Entwicklungsländern ein verkanntes Problem: Wer Anfälle hat, gilt als verhext oder vom Teufel besessen – und wird deswegen oft von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt. Dabei ist Epilepsie eine neurologische Krankheit. Aber in Tansania zum Beispiel kann man die Neurologen an einer Hand abzählen. Auch wenn das ostafrikanische Land knapp zwei Drittel so viele Einwohner hat wie Deutschland.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt: Weltweit leben etwa 50 Millionen Menschen mit Epilepsie; 40 Millionen von ihnen in Entwicklungsländern. Und dort wird fast niemand behandelt. Richard schon: Er nimmt täglich eine Tablette, sagt sein Onkel.
"Im Moment hat Richard nur alle zwei drei Monate einen Anfall, und der ist nicht unbedingt heftig. Er fällt nicht auf den Boden. Es reicht, ihn auf einen Stuhl zu setzen und seine Hand zu halten."
Die Gefahr lauert in zu wenig gekochtem Fleisch
Trotz der Behandlung hat Richard nie die Schule beendet, nie gearbeitet, nie eine eigene Familie gegründet. Warum Richard Epileptiker geworden ist, das weiß niemand. Hirnschäden, die bei der Geburt entstehen oder bei einem Unfall, können eine Ursache für Epilepsie sein. Oder eine Infektion mit Masern oder Meningokokken. In Entwicklungsländern entsteht eine Epilepsie aber oft aus einem anderen Grund: weil sich Menschen mit dem Schweinebandwurm infizieren.
"Das ist, wenn man rohes oder schlecht gekochtes Schweine- oder auch Rindfleisch isst, das mit Finnen, mit der Larve des Schweinebandwurms befallen ist. Dann entwickelt sich der große, lange Bandwurm im Darm des Menschen. Und dann schlüpfen die Larven. Und die verkapseln sich im Körper. Und leider, leider vor allem im Gehirn. Das mögen die ganz besonders gern. Und das kann dann symptomatisch werden: Da kann sich die klassische lokale – "fokal" sagen wir – ausgelöste Epilepsie herausbilden."
Andrea Winkler ist Neurologin an der Technischen Universität München und leitet eine Forschungsgruppe zu globaler Neurologie. Vor einer Weile hat sie zwei Jahre lang im Norden von Tansania gearbeitet. In dem Krankenhaus gab es sogar einen Computertomografen. Mit den Hirnscans konnte die Neurologin prüfen, ob die Epilepsie-Patienten im Gehirn Larven des Schweinebandwurms hatten und diese Parasiten dort Blasen gebildet hatten, sogenannte Zysten. Daher stammt auch der Fachbegriff Neurozystizerkose.
Andrea Winkler:
Andrea Winkler:
"20 Prozent meiner damals betreuten Epilepsie-Patienten – wir haben über 200 untersucht – hatten entweder die Zysten selbst im Gehirn oder ältere Zysten, die sich schon verkapselt hatten. So 20 Prozent."
Dabei war der Schweinebandwurm dort nicht einmal sonderlich weit verbreitet bei den Schweinen und Menschen. Anders in Sambia. Auch da hat Andrea Winkler untersucht, wie häufig Epilepsien von den Larven-Zysten im Gehirn ausgelöst werden.
"Das waren nur 60 Patienten, aber davon hatten 50 Prozent den Schweinebandwurm im Gehirn. Und das sind hoch-endemische Gebiete: Da weiß man, dass die ganzen Schweine-Populationen verseucht sind. Das war eine kleine Studie, aber 50 Prozent ist unglaublich viel."
Immerhin: Solche Epilepsien lassen sich behandeln. Dazu muss man den Schweinebandwurm und die Zysten loswerden – mit Wurmmitteln, abschwellenden Medikamenten, gegebenenfalls auch mit Bestrahlung.
"Man behandelt die Zysten und die heilen dann oft ohne Folgeschäden ab und der Patient wäre anfallsfrei."
Mit ein paar Vorsichtsmaßnahmen könne man auch neuen Fällen vorbeugen. Das sagt der Mann, der 20 Jahre lang der einzige Neurologe in ganz Tansania war: William Matuja.
"Haltet Schweine in abgegrenzten Gebieten! Lasst sie nicht herumstreunen! Benutzt richtige Latrinen! Wascht euch die Hände vor dem Essen! Das klingt logisch, aber manchmal muss man die Leute echt überzeugen."
So soll der Kreislauf des Parasiten unterbrochen werden: Die Menschen sollen kein verseuchtes Schweinefleisch mehr essen und die Schweine sollen nicht mehr durch die Exkremente der Menschen laufen und davon fressen.
So schwierig die Überzeugungsarbeit manchmal ist: Sie lohnt sich tatsächlich, hat William Matuja beobachtet.
"In dem Distrikt, wo wir unsere erste Studie zu Neurozystizerkose durchgeführt haben, haben wir die Menschen geschult. Und zehn Jahre später haben wir gesehen: Weniger Menschen hatten Zysten vom Schweinebandwurm im Gehirn. Anfangs hatten 14 Prozent der Menschen mit Epilepsie diese Neurozystizerkose. Es ist zwar nicht auf null Prozent runtergegangen, aber immerhin auf acht Prozent. Das ist doch was."
Allerdings gibt es solch eine Präventionskampagne nicht in ganz Tansania, geschweige denn in ganz Afrika oder allen Entwicklungsländern. Zumal noch ein neues Problem auftaucht, warnt die Neurologin Andrea Winkler: In Entwicklungsländern essen die Menschen immer mehr Fleisch – und damit würden sich wohl mehr Menschen mit dem Schweinebandwurm infizieren und somit noch mehr Epilepsie bekommen.