Juliane Reil: Die Ausstellung präsentiert Afrika als Kontinent technologischer Innovation, konnte ich da in der Ankündigung lesen - und da habe ich persönlich etwas gestutzt: Afrika hat ja sonst immer das Image eines "Dritte-Welt-Landes".
Fabian Saavedra-Lara: Es ist nicht ein Land, es sind ganz viele Länder mit ganz unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten und ganz unterschiedlichen Ideen, die dort auch gerade entstehen. Gemeinsam mit einem Kooperationspartner unseres Projekts - es ist der Dortmunder Verein Africa Positive teilen wir das Interesse, eben ein differenzierteres Bild vom Kontinent und den unterschiedlichen und vielfältigen Realitäten zu zeichnen, was eben nicht bei dem oftmals in den Medien tradiertem Bild bleibt von Kriegen, Krankheiten, Hungerkatastrophen, die oftmals real sind - alle Exponate haben eben ihre eigene Geschichte, aber es gibt viel mehr als das, es gibt viel mehr als das Klischee und das Bild, das gemeinhin transportiert wird.
Eine Partnerin, mit der wir zusammenarbeiten - die Leiterin des Vereins - Veye Tatah, die Computerwissenschaftlerin ist, - hat einmal so treffend gesagt: Wenn eine dieser Erfindungen, die wir unter anderem in der Ausstellung zeigen, aus Kalifornien, aus dem Silicon Valley stammen würde, dann würden die Medien im Westen ständig darüber berichten. So ähnlich wie das bei Google oder Facebook der Fall ist, wenn es da irgendeine neue Idee gibt, da wär irgendein Bericht und es gäbe irgendeine Faszination und es würde ständig davon zu hören sein, aber dadurch, dass diese Erfindungen aus einem anderen Teil der Welt stammen, gibt es eben diesen blinden Fleck und so werden diese Dinge oftmals nicht wahrgenommen.
Universale Technologie, lokale Verknüpfung
Juliane Reil: Und was sind das für Erfindungen? Vielleicht können Sie uns ja da ein Beispiel nennen?
Saavedra-Lara: Ein Beispiel: Wir haben drei Erfinder zu Gast aus Ruanda, Nigeria und Kenia. Einer davon ist Jeff Muthondu aus Nairobi in Kenia, er ist Teil eines Kollektivs von Entwicklern und Entwicklerinnen, das heißt Software-Ingenieure, Programmierer, Leute, die Hardware zusammenbasteln, die sich gefragt haben: Warum benutzen - oder müssen wir eigentlich - Produkte, Geräte, Software aus dem Westen benutzen, die eigentlich für unsere Ansprüche und unsere Bedürfnisse hier vor Ort gar nicht gemacht sind? Denn wir haben - sozusagen aus der Perspektive gesprochen - infrastrukturelle Probleme, es gibt oftmals keine stabile Stromversorgung, es gibt keine stabile Internetverbindung. Das sind ganz andere Realitäten, als die, mit denen wir hier umgehen. Also war die Idee von BRCK, wir bauen uns unsere eigenen Geräte, also zum Beispiel einen Server, der eine zeitlang ohne Strom auskommt, einen Computerserver, der diese Stromausfälle überbrücken kann und trotzdem auch dauerhaft funktionieren kann.
Juliane Reil: Und wie läuft dann wieder der Rückbezug zur Kunst? Wenn sie jetzt so eine Erfindung dort haben, wie wird das in Beziehung gesetzt?
Saavedra-Lara: Das ist dieser Sprung, den wir versuchen. Das sind ganz unterschiedliche Entwürfe: Es gibt natürlich die Methode der alternativen Geschichtsschreibung. Es gibt zum Beispiel eine aus Ghana stammende in New York lebende Filmregisseurin, Frances Bodomo, die in ihrem Film "Afronauts", eine alternative Geschichte des Wettlaufs zum Mond erzählt. In den 60er Jahren gab's in Sambia einen Lehrer und auch Offizier namens Edwuard Makuka Nkoloso, der - in einer Zeit, in der in vielen Ländern in Afrika die Befreiungsbewegung sehr sehr stark war und man auch an die eigene Zukunft glaubte, an diese Utopie, - der hatte die Idee, wir brauchen ein eigenes Weltraumprogramm in Sambia und wir möchten gerne - in den 60er Jahren wohlgemerkt - in das Wettrennen um den Mond, was ja damals zwischen der Sowjetunion und den USA sich abspielte, einsteigen und wir möchten die dabei schlagen. Und das ist ein historischer Fakt, es ist nie dazu gekommen, leider, wir wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist, aber Frances Bodomo imaginiert in ihrem Kurzfilm, was wäre gewesen, wenn sie wirklich die Rakete gebaut hätten. Die Idee von Edwuard Nkoloso war, ein 17-jähriges Mädchen, Matha Mwamba, und zwei Katzen zum Mond zu schicken und er hatte noch viel weiter gehende Pläne - und da sehen wir sozusagen, es ist so eine Überspitzung: Er wollte zum Mars fliegen und dort eine Kolonie gründen und ein christliches Missionswerk, um die Marsianer zu christianisieren, es ist natürlich sehr spielerisch, aber es hat auch einen sehr politischen und auch sehr, sehr ernsten Kern.
"Es gibt nicht nur unseren Diskurs über Medienkultur"
Juliane Reil: Trotzdem erscheint es mir schwierig, auch solche Kunst nach Deutschland zu holen, weil kürzlich ist ja das MOCAA in Kapstadt eröffnet worden und Jochen Zeitz, der es gegründet hat, der hat die Aussage getätigt: Oft wurde Afrika von außen definiert, ein großes Unverständnis hat das Bild dieses Kontinents geprägt und jetzt kommen Sie mit der Ausstellung, holen die Künstler hierher, haben Sie da auch Sorge, dass es wieder die europäische Sicht auf Afrika ist, die Sie da präsentieren?
Saavedra-Lara: Ich glaube, dass man aus bestimmten Widersprüchen, das sag ich ganz offen, nicht richtig herauskommt. Aber ich glaube, was wir daraus lernen können - und ich glaube, das ist auch hier wichtig, in einer vielfältigen Gesellschaft vor Ort, in Deutschland - uns in Zukunft, auch in anderen Projekten immer wieder zu fragen, was für eine Geschichte erzählen wir eigentlich, aus welcher Perspektive, an wen richtet sich das auch. Und ich glaube, wenn wir uns immer wieder diese Fragen stellen, dann hat das Projekt auch gefruchtet, auch diese Art von Kooperation, hier lokal vor Ort, quer durch die Stadtgesellschaft zu machen, wie mit Africa Positive zum Beispiel, da geht es ja auch sehr, sehr stark darum zu fragen, was für eine Relevanz kann so ein Projekt für die diasporische Community hier vor Ort haben. Hat das irgendeine Bedeutung, was wir machen? Hat das irgendeinen Impact oder gibt es ein Interesse oder ist das einfach internationaler Kunstzirkus und es bedeutet eigentlich nichts.
Und ich glaube, gerade in der heutigen Zeit, und da geht es ja nicht nur um Deutschland, da geht es ja wirklich um eine globale Erfahrung und in der wir die Ausbreitung von wahnsinnig bedrückenden, toxischen Homogenitätsphantasien erleben, Homogenität, die es so nie gab, brauchen wir, glaub ich, diese vielfältigen Zukunftsentwürfe, ohne sie instrumentalisieren oder in irgendeine Verwertungskette einspeisen oder irgendwie benutzen zu wollen. Aber ich glaube, es ist sozusagen wichtig, in einer wertschätzenden Geste, einen Raum aufzumachen und den Blick auch zu weiten und zu schauem: hey, es gibt nicht nur unsere Kunstgeschichte, unsere Idee von Moderne, es gibt nicht nur unseren Diskurs über Medienkultur.
Juliane Reil: Waren Sie eigentlich mal in Afrika?
Saavedra-Lara: Ich persönlich noch nicht, nee. Meine Kollegin Inke Arns hat die Reise gemacht durch Südafrika, durch Nigeria und durch Kenia. Aber ich würde da wahnsinnig gern mal hinfahren, vielleicht bekomme ich ja mal eine Einladung, das wäre schön.
Juliane Reil: Fabian Saavedra-Lara über die Ausstellung "Afro-Tech and the Future of Re-Invention" in Dortmund. Eröffnung ist am 20. Oktober und wird dann auch von Workshops, Konferenzen und einem Festival begleitet, danke Ihnen für das Gespräch.
Saavedra-Lara: Sehr gerne, vielen Dank.
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