Es ist nachts um halb elf an einem der 5 Busbahnhöfe von Agadez. Ein Bus aus der nigrischen Hauptstadt biegt ein auf den sandigen Hof des Geländes. Junge Männer in weißen Blousons und schwarzen Jeans mischen sich unter die aussteigenden Fahrgäste. "Algerien, Algerien?", murmeln sie in die übernächtigten Gesichter der Reisenden. "Libyen, Libyen?"
Hier wird gemurmelt, nicht geschrien. Kontrollen durch Polizei oder Militär - Fehlanzeige. Berge von Taschen, Rucksäcken und Kisten fallen aus dem Bauch des Busses. Reisende schauen sich orientierungslos in der Dunkelheit um. Andere treffen ihre Schleuser hier am Busbahnhof und verschwinden mit ihnen in der Dunkelheit. Die Informationsketten über Mobiltelefon funktionieren effizient und diskret.
Auf dem Vorplatz des Busbahnhofs sitzt ein junger Mann aus Ghana im Sand. Erschöpft, das Gesicht schmerzverzerrt. Er ist an diesem Tag auf einem Pickup-Transporter aus Libyen zurückgekommen. Die Ladefläche sei vollgepackt gewesen mit Gepäck und Waren. Obendrauf saßen die Fahrgäste. Der Ghanaer erzählt, die Fahrer sei viel zu schnell gefahren. Der Pickup schleudert, mehrere Männer stürzen vom Wagen. Einer sei gestorben. Die Leiche liegt jetzt am Busbahnhof. Er selbst hat sich das Bein verdreht. Der Mann zeigt die Schürfwunden, dick geschwollenes Knie, er kann nicht mehr gehen. Am Tag darauf soll er ins Aufnahmezentrum der Internationalen Organisation für Migration in Agadez gebracht werden, zu einem Arzt. Der Migrant ist aber verschwunden. Azaoua Mahaman organisiert diese Aufnahmestelle für Migranten. Hier kommt nur hin, wer gar nicht mehr weiter weiß und zurück in sein Heimatland will:
"Das ist ein Zentrum für Migranten, die in Schwierigkeiten sind. Menschen, die aus Libyen oder Algerien zurückgekehrt sind und nichts mehr haben. Sie sind hier her gekommen, um Hilfe zu bekommen: Medizinische Hilfe, Essen und psychologische Betreuung."
Hier landen die, die aufgegeben haben
Mehr als 300 Menschen sind momentan hier. Schreiende Kinder, stille, erschöpfte Männer und Frauen. Hier landen die, die aufgegeben haben. Diejenigen, die zurück in ihr Heimatland wollen. Die Internationale Organisation für Migration hilft ihnen dabei. Natürlich wissen die Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration genau: Sie päppeln in ihrem Zentrum ein paar hundert Rückkehrwillige auf. Draussen, in den Straßen von Agadez brummt unterdessen das Geschäft mit tausenden Migranten weiter. Mit denen, die noch Träume, Kraft und – vor allem – noch Geld haben. Das machen sich Männer wie Afagag zunutze.
Afagag ist ein höflicher Mann. Das weiße Touareg-Tuch ist um den Kopf geschlungen, er trägt ein dunkelgraues Jackett über dem weit geschnittenen elfenbeinfarbenen Hosenanzug der Touareg. Afagag ist natürlich nicht sein richtiger Name. Er muss vorsichtig sein. Seit März ist das Schleuser-Geschäft in Niger offiziell strafbar. Geschadet hat das bisher nicht.
"Die Polizei nimmt Geld von den Migranten. Die Nationalgarde nimmt auch Geld von den Migranten. Die Leute vom Zoll auch. Auch wenn es per Gesetz verboten ist – sie nehmen das Geld."
Leute wie Afagag verstecken die Migranten in so genannten Ghettos. Hinter den Mauern dieser Höfe am Stadtrand von Agadez kassieren die Ghetto-Betreiber Geld für Unterkunft, Essen und Wasser. Aber das eigentliche Geschäft ist der Transport. Für die Fahrt nach Libyen nimmt Afagag 300 € pro Passagier. Auf der Ladefläche eines Pickup-Transporters drängen sich dann 25 Migranten zusammen. Macht zusammen 7.500,- Euro. Das ist eine Goldmine. Afagag versteht sich als klandestines Reisebüro. Und nicht nur er:
Bürgermeister fordert Investitionen der EU
"Viele, viele, viele machen da mit. Die Motorradtaxifahrer, die die Passagiere bringen. Ich selbst als Schleuser. Und natürlich die Chauffeure. Alle sind dabei, alle."
Das weiß auch der Bürgermeister von Agadez, Rhissa Feltou. Und er weiß auch, dass die Europäische Union gerne etwas dagegen unternehmen würde. Aber aus seiner Sicht liegen die Dinge so: Der Tourismus in Agadez ist wegen der Sicherheitslage zusammengebrochen. Er wurde ersetzt durch das Geschäft mit den Migranten. Das gebe es seit Jahrhunderten in Agadez. Viele Menschen verdienen damit ihr Essen, sagt der Bürgermeister. Deshalb sei es mit Aufnahmezentren nicht getan. Das habe man auch der EU-Außenbeauftragten so gesagt, als sie im September Agadez besuchte:
Das weiß auch der Bürgermeister von Agadez, Rhissa Feltou. Und er weiß auch, dass die Europäische Union gerne etwas dagegen unternehmen würde. Aber aus seiner Sicht liegen die Dinge so: Der Tourismus in Agadez ist wegen der Sicherheitslage zusammengebrochen. Er wurde ersetzt durch das Geschäft mit den Migranten. Das gebe es seit Jahrhunderten in Agadez. Viele Menschen verdienen damit ihr Essen, sagt der Bürgermeister. Deshalb sei es mit Aufnahmezentren nicht getan. Das habe man auch der EU-Außenbeauftragten so gesagt, als sie im September Agadez besuchte:
"Die ganze Europäische Union war ja hier in Agadez. Wir haben das den EU-Botschaftern gesagt, auch den Sicherheitsleuten. Sie haben das zur Kenntnis genommen und ich gehe davon aus, das unsere Botschaft angekommen ist."
Bürgermeister Feltou will, dass die EU investiert. In Hilfsprojekte in den Heimatländern der Migranten. Auch hier in Niger selbst. Und zwar massiv. Es müsse Arbeit geschaffen werden. Nur damit lasse sich verhindern, dass die Menschen auf die gefährliche Reise gehen. Der Flüchtlingsgipfel der EU von Malta sei da nur ein Anfang gewesen.
Der Migrantenstrom in Agadez fließt unterdessen ungehindert weiter.
Pickup-Laster vollgepackt mit Migranten
Montagnachmittag am Rande der Stadt. Der Schleuser Afagag hat sich nach langem Hin und Her entschieden uns zu zeigen, wo er die Migranten versteckt bevor der Transport losgeht. Wir betreten einen Lebensmittel-Laden. Kurzes Palaver, dann führt Afagag uns in den Hinterhof. Ein Sandfläche, ein Dach – das war's. So sieht ein Migranten-Versteck aus, ein Ghetto. Migranten sind keine da, die hat er schon auf einen Pickup-Transporter verfrachtet. Ob es es für ihn nicht gefährlich sei, nur ein Ghetto zu haben?
Afagag lächelt überlegen. Auf den Hof hinter dem Lebensmittel-Laden komme keiner, sagt der Schleuser. Hier kämen auch Polizisten einkaufen – die merken nichts, meint er.
Wir fahren raus aus der Stadt, auf eine weite Fläche hinter dem kleinen Flugplatz von Agadez. Hier fahren die Pickup-Laster vollgepackt mit Migranten vorbei. Sie fahren Richtung Nordosten. Etwa 90 Kilometer hinter Agadez formieren sich jeden Montag etwa 100 Pickups zu einem Konvoi, sagt der Schleuser Afagag. Die Rechnung ist schnell gemacht: Jeder Pickup ist mit etwa 25 Migranten besetzt. Das addiert sich auf 2.500 Migranten. Jeder von ihnen zahlt 300 Euro für den Schleuser. Das macht pro Konvoi etwa 750.000 Euro. Eine dreiviertel Million. Das ist der Umfang des Geschäftes mit dem Migranten-Transport in Agadez. Jede Woche.
Die Migranten hocken dicht gedrängt auf den Pickups. Jeder hat einen Wasser-Kanister, um in der Wüste nicht zu verdursten. Jeder hat einen Holz-Stock zwischen Beinen, um sich daran festzuklammern auf der Fahrt. Wer dennoch runterfällt in der Wüste, hat keine Chance zu überleben. Aber den Schleuser hat er ja schon bezahlt.