Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ging zu Beginn seiner einjährigen Haft nicht davon aus, dass er so lange im Gefängnis bleiben müsse. "Je länger die Zeit dauerte, desto schwieriger wurde es", sagte er im Deutschlandfunk. Er habe aber immer mit mehreren Monaten Haft gerechnet, niemals mit zehn oder zwanzig Jahren.
Im Februar 2017 kam Yücel in der Türkei in Untersuchungshaft und löste damit damit eine Welle von Protesten und Solidaritätsbekundungen aus. Was er im Gefängnis erlebt hat, beschreibt er in seinem neuen Buch "Agentterrorist".
Yücel: Regime denkt wie "Teppichhändler und Gangster"
Im Gefängnis habe er seine Zeit vor allem mit Schreiben verbracht, aus dem Gedanken heraus: "Ich bin hier zum Spielball von internationaler Politik geworden. Aber ich will da nicht einfach untätig bleiben und ich möchte auch nicht allein auf die Bundesregierung hoffen." Deswegen habe er selbst die Initiative ergriffen.
Ziel sei es gewesen, freigelassen zu werden, indem es für die türkische Regierung zum Problem werde, ihn im Gefängnis zu behalten. "Dieses türkische Regime, das ist von der Mentalität her eine Mischung aus Teppichhändler und Gangster", sagte der Journalist.
Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Yücel als "Agentterrorist" bezeichnet. "Das ist öffentliche Vorverurteilung. Zumal in meiner Anklageschrift und auch vorher niemals das Thema Spionage auftauchte", sagte der Journalist. Auch in der Türkei sei es verfassungswidrig, dass die Führung der Exekutive in ein laufendes Verfahren eingreife.
Gleichzeitig habe Erdogans Äußerung aber auch etwas Lächerliches gehabt. Zur Kritik an autoritären Systemen gehöre es, "nicht nur anzuprangern und sachlich zu begründen, warum diese Regime nicht demokratisch sind, nicht freiheitlich sind". Es sei auch ein Weg, sie der Lächerlichkeit preiszugeben und auszulachen. "Das ist etwas, das ich im Gefängnis trotz der schwierigen Umstände immer wieder gemacht habe", berichtete Yücel.
Yücel schmuggelte Texte zwischen Briefen nach draußen
"Ich dachte, die wollen mich zum Schweigen bringen", erklärte er. "Diese Genugtuung möchte ich niemandem verschaffen. Ich will mich immer wieder zu Wort melden. Ich habe nach Lücken in diesem Überwachungssystem gesucht."
Die habe er auch gefunden. Denn bei Schreiben an Behörden und Gerichte dürfe sich die Gefängnisverwaltung zwar davor überzeugen, dass es sich tatsächlich darum handele, diese aber nicht genau studieren. So schaffte es der Journalist, Texte und Artikel aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Wenn diese Tricks klappten, sei das "jedes Mal ein Moment von persönlicher Genugtuung" gewesen, "dieses System, das größtenteils nicht auf Gewalt und Misshandlung, sondern auf eine sterile Schikane ausgerichtet war, überwunden zu haben", sagte er.
Dankbar für öffentliche Unterstützung
Yücel bedankte sich auch für die Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit und vieler Kollegen, Freunde und Bürger. "Ohne die hätte ich diesen Kampf in der Form auch gar nicht führen können und deswegen bin ich allen sehr, sehr dankbar, die sich für mich eingesetzt haben."
Bei seiner Freilassung schließlich verweigerte Yücel den angebotenen deutschen Regierungsflieger für die Rückreise. "Das habe ich aus Prinzip abgelehnt", betonte er, obwohl er der Bundesregierung dankbar gewesen sei. Er habe der türkischen Regierung nicht die Gelegenheit geben wollen zu sagen, dass die deutsche Regierung "ihren Agenten rausgeholt" habe.
Bedingung der türkischen Regierung an die Bundesregierung sei gewesen, dass er "schnell und geräuschlos" ausreise. "Ich habe das abgelehnt, weil ich mir dachte: So lasse ich nicht mit mir umspringen."
Weiterhin keine Pressefreiheit in der Türkei
Im Juni 2019 hat das türkische Verfassungsgericht nun entschieden, dass Yücels Inhaftierung rechtswidrig war. "Es ist wirklich ein gutes Urteil im Sinne der Pressefreiheit. Nicht nur für mich", sagte der Journalist. Gleichzeitig habe dasselbe Gericht zwei Wochen vorher im Falle eines Freundes und Kollegen völlig anders entschieden. "Deswegen interpretiere ich das so, dass die türkische Regierung in meinem Fall kein Interesse mehr an einer politischen Verfolgung hatte."
Stattdessen sei sie daran interessiert, Investoren aus Deutschland in die Türkei zu locken. Deswegen habe man dem Verfassungsgericht in seinem Fall freie Hand gegeben, sagte Yücel. Das bedeute aber noch lange nicht, "dass in der Türkei Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit wieder herrschen würden - ganz im Gegenteil".