Ralf Krauter: Um bahnbrechende Technologien, 'Made in Germany' zu fördern, hat die Bundesregierung dieses Jahr eine neue Institution ins Leben gerufen – mit dem klingenden Namen "Agentur für Sprunginnovationen". Mitte Juli wurde ein erfahrener Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu ihrem Gründungsdirektor ernannt. Er heißt Rafael Laguna de la Vera, hat erfolgreich mehrere Unternehmen gegründet und ist seit 2008 Chef eines Softwareunternehmens mit 270 Mitarbeitern. Wie man aus guten Ideen marktreife Produkte macht, weiß er also definitiv, der Mann, der jetzt Deutschlands offizieller Geburtshelfer für bahnbrechende Technologien und Geschäftsmodelle ist. Ich habe Rafael Laguna de la Vera vorhin gefragt: Was genau verstehen Sie unter einer Sprunginnovation?
Rafael Laguna de la Vera: Ich muss ehrlich sagen, das Wort Sprunginnovation hat auch nicht zu meinem aktiven Wortschatz gehört, bevor ich diese Rolle übernommen habe. Aber ich denke, man hat versucht, ein deutsches Wort zu finden, was das beschreibt - und das tut es eigentlich ganz gut. Eine Sprunginnovation ist eine, die unser Leben verändert, wo die Welt danach nicht mehr so ist, wie die Welt vorher war – sowohl unsere persönliche Welt als auch die Wirtschaft. Gute Beispiele sind Auto, Penicillin, Internet, Smartphone. Man kann sich nur noch schwer vorstellen, wie man eigentlich vor diesen Erfindungen gelebt hat.
"Wirtschaft und Wissenschaft voneinander abgetrennt"
Krauter: Der Grund für die Gründung der Agentur für Sprunginnovation war ja ein bemerktes Defizit in Deutschland zwischen der Erzeugung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Umwandlung in marktreife Produkte. Woran liegt es denn aus Ihrer Sicht, dass wir in Deutschland zwar so viele exzellente Forscher haben, aber nur so wenige, die sich trauen, dann letztlich auch eine eigene Firma zu gründen, um ihre Ideen weltweit zu vermarkten?
Laguna de la Vera: Ich glaube, das ist systembedingt. Wir haben sowohl die Wirtschaft als auch die Wissenschaft systembedingt voneinander abgetrennt – ich glaube, noch nicht mal unbedingt absichtlich. Aber es ist kein Aufstieg, wenn jemand aus der Wirtschaft in die Wissenschaft geht, und es ist kein Aufstieg, wenn jemand von der Wissenschaft in die Wirtschaft geht, sondern eher das Gegenteil davon. Zum anderen sind die Systeme so gestaltet, dass sie relativ in sich geschlossen sind. Das Wissenschaftssystem sorgt ja vor allen Dingen dafür, dass man forscht und dann die Forschungsergebnisse publiziert, und daran wird man gemessen. Das heißt, der Rang eines Professors oder eines Doktoranden oder Postdocs misst sich schlicht an einem internen Bewertungssystem und nicht etwa an dem wirtschaftlichen Einschlag, den diese Erfindung gemacht hat.
Es fehlt an Anreizen, wirklich Neuland zu betreten
Und auch in der Wirtschaft ist es ja so, dass man in relativ kurzen Zyklen denken muss. Eine Investition muss sich schnell zurückzahlen, sodass man motiviert eigentlich nur inkrementelle Verbesserungen, die die Margen erhöhen, die mehr Gewinn erzeugen und die das Produkt so weit verbessern, dass es weiterhin marktfähig ist. Aber eine wirkliche Sprunginnovation wird eigentlich nicht incentiviert. Die findet, wenn überhaupt, dann nur in Start-up-Firmen statt, die aber bei uns auch Schwierigkeiten haben, Geld zu bekommen. Auch das Venture Capital für solche Start-up-Firmen ist bei uns ja, selbst wenn man es auf per capita oder den Debt umrechnet, nur ein Zehntel von dem, was es in den USA gibt. Und wenn man die drei Dinge zusammenzählt, denke ich, wird relativ klar, dass man hier einfach kein System hat, was solche Sprunginnovationen und deren Umsetzung in Wirtschaftskreisläufe intensiviert. Und das zu ändern, ist die Aufgabe der Agentur.
"Innovationen umsetzen - in den Wirtschaftskreislauf"
Krauter: Wie wollen Sie da vorgehen? Sie haben ja jetzt in den nächsten zehn Jahren ein Budget von rund einer Milliarde Euro zur Verfügung, können jährlich also Pi mal Daumen 100 Millionen Euro in die Entwicklung bahnbrechender Technologien stecken. Wie wollen Sie dieses Geld an die richtigen Leute bringen?
Laguna de la Vera: An Erfindungen, das sagten Sie ja schon, mangelt es uns ja nicht. Wenn Sie mal schauen: Wir sind Patentweltmeister. Wir sind, was unsere Forschungs- und Entwicklungs-Budgets angeht, mit drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auch mit in der Weltspitze unterwegs. Jetzt gilt es eigentlich nur noch, die Innovatorinnen und Innovatoren zu finden, die solche Ideen mit potenziell bahnbrechender Wirkungskraft haben, und zu kombinieren. Also so frei nach Schumpeter: Es ist ja häufig so, dass bahnbrechende Innovationen eine Kombination aus mehreren Komponenten sind, die in sich vielleicht nur einfache Innovationen sind, aber dann kombiniert bahnbrechend – wie das Smartphone oder das Internet selber oder das Auto ja auch waren.
Die Herausforderung: Kluge Köpfe zusammen bringen
Das heißt, wir müssen diese Innovatorinnen und Innovatoren finden, wir müssen sie zusammenbringen mit dem Wissenschaftsnetzwerk, dem Wirtschaftsnetzwerk, mit anderen Innovatorinnen, die in einem Bereich arbeiten, die man reinkombinieren kann, um dann diese eigentliche Sprunginnovation zu erzeugen. Das wollen wir tun mit sogenannten Innovationsmanagern oder Innovations- Entrepreneuren, die schon etwas seniorer unterwegs sind und in ihren Fachbereichen Visionen, Ideen und Netzwerke haben, Innovatorinnen und Innovatoren kennen, die wir so zusammenbringen können. Und die wir dann, in die Agentur locken, um ihnen dort eine Umgebung zu geben, wo diese Innovationen umgesetzt und kombiniert werden können und dann schließlich in dem Wirtschaftskreislauf umgesetzt werden können.
Da ist Geld nur eine Komponente, Geld braucht man dafür, aber ich glaube noch nicht mal, dass das die wichtigste ist. Das Wichtigste ist, und das ist das Schöne daran, wenn man eine Bundesagentur ist, das Netzwerk, das wir in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, dass wir dieses nutzen können, um eben der Innovation letztlich zum auch wirtschaftlichen Umsetzungserfolg zu verhelfen.
"Leute finden, die wirklich Potenzial haben"
Krauter: Die Bundesforschungsministerin Karliczek hat gesagt, ihre Aufgabe wird es sein, das Gras wachsen zu hören. Woran machen Ihre Innovationsmanager letztlich fest, auf welches Pferd sich zu setzen lohnt?
Laguna de la Vera: Ich setze sehr stark erst mal auf Persönlichkeit – sowohl die der Innovationsmanager als auch die der Innovatorinnen und Innovatoren. Ich glaube, das hat eigentlich immer den Unterschied gemacht, ob eine Innovation erfolgreich war oder nicht. Und wenn Sie mal zurückblicken, also wenn wir übers Smartphone reden, dann kommt einem relativ schnell ein Steve Jobs in den Sinn, ein Carl Benz, wenn wir übers Auto reden, oder Röntgen oder wie sie alle heißen. Also diese Leute zu suchen und zu finden und zu identifizieren und zu unterscheiden, wer da wirklich Potenzial hat und wer nicht, das wird der eigentliche Punkt sein, den wir zu leisten haben.
Das Zweite ist dann natürlich die Kombinatorik, das heißt, so weit blicken zu können, dass man sagt, wenn wir jetzt A plus B plus C nehmen, dann kommt wirklich was Großes dabei raus. Das wird aber wiederum auf der Erfahrung der Innovationsmanager beruhen und der Flexibilität der Innovatorinnen und Innovatoren selber. Und das Dritte ist natürlich, dass wir die Umsetzung hinbekommen als Agentur des Bundes, genügend Flexibilität bereitzustellen, dass diese Dinge sich dann auch schnell entwickeln können - was jetzt für mich als Agenturdirektor fast die größte Herausforderung ist.
"Gibt es eine Industrie, die es vorher nicht gab?"
Krauter: Mit welcher Erfolgsquote rechnen Sie denn bei Ihren Wetten auf die Zukunft? Wie viele Pferde müssen Sie ins Rennen schicken, damit eins dann idealerweise irgendwann als Erstes ins Ziel kommt und eben Weltmarktführer für eine neue, bahnbrechende Technologie wird?
Laguna de la Vera: Ach, wissen Sie: Wenn wir eins von der Dimension des Autos schaffen, brauchen wir eigentlich nur eins. Immerhin 20 Prozent der Wirtschaftsleistung von Deutschland kommt aus der Automobilindustrie. Und wenn Sie sich überlegen, was das Internet veranstaltet hat in den verschiedenen Branchen, wenn Sie sich überlegen, dass eine einzige dieser Internet- oder IT-Firmen aus den USA so viel Wert ist wie der ganze Dax30 zusammen, dann kann man sagen, okay, wenn wir eine Sprunginnovation dieser Dimension schaffen, brauchen wir eigentlich nur eine.
Nun gibt es aber auch welche, die nicht ganz so krass sind wie die vorgenannten. Davon braucht man sicherlich ein paar mehr, um wirklich den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa abzusichern – dann braucht man eben nicht nur eine, sondern vielleicht fünf. Aber ich sag mal so: Mit den 100 Millionen über zehn Jahre werden wir sicherlich irgendwas in der Größenordnung von 30 bis 50 Sprunginnovationsprojekte fördern. Und wenn davon auch nur zehn Prozent funktionieren, dann bleiben ja drei bis fünf übrig. Und das ist eigentlich eine kritische Masse, die man braucht.
"Um Erfolg zu haben, müssen wir uns das Scheitern trauen."
Und da wird es eine ganze Menge geben, die scheitern – was übrigens etwas ist, dem wir uns stellen müssen. Denn Scheitern passiert üblicherweise schneller als der Erfolg. Das ist eigentlich eine gute Nachricht, wenn man nicht mehr Geld hinterherschmeißt. Aber es ist auch eine schlechte Nachricht, weil in zwei Jahren, wenn wir uns dann zum wiederholten Male sprechen, dann werden Sie vielleicht sagen: Herr Laguna, jetzt haben Sie zehn Projekte gefördert, aber vier davon sind schon gescheitert, wie finden Sie das denn? Aber so ist das. Ich meine, das ist die gute Nachricht: Wir schmeißen kein gutes Geld Schlechtem hinterher. Wir sind gescheitert, das können wir uns auch erlauben. Aber natürlich ist das Ziel, Erfolg zu haben und nicht etwa zu scheitern. Aber um Erfolg zu haben, müssen wir uns das Scheitern auch trauen.
Krauter: Sie nennen schon das Stichwort, das ich gern aufgreifen würde: Wenn wir uns in sagen wir zehn Jahren wieder sprechen, woran werden Sie dann festmachen, ob Ihre Mission als offizieller Geburtshelfer für disruptive Technologien Made in Germany gelungen ist oder gescheitert?
Laguna de la Vera: Ich glaube, dass wir das gesamtwirtschaftlich merken. Entweder sind da Industriezweige gewachsen, explodiert oder neu entstanden, die es einfach heute noch nicht gibt oder die eben noch sehr klein sind.
Ein Ziel: Die Stärkung der Digitalwirtschaft in Europa
Nur ein Beispiel ist ja die gesamte Digitalisierung. Wenn wir es nicht schaffen, einen europäischen Weg der Digitalisierung zu erzeugen und auch einer Digitalwirtschaft in Deutschland zu schaffen, die es mit den Amerikanern und den Chinesen aufnehmen kann, dann haben wir gesamtwirtschaftlich oder sogar gesellschaftlich ein Problem.
Und daran würde ich mich schon messen lassen: Haben wir da mit dran gearbeitet, einen solchen europäischen Weg zu finden und die Industrie zu stärken. Und das kann man auch messen. Wie gesagt, wir wollen ja Sprunginnovationen machen, da ist eine Verdoppelung von irgendwas nicht unbedingt das Ziel. Sondern da redet man über eine Verzehnfachung oder eine Verhundertfachung von irgendwas. Aber wie gesagt, die eine Frage, die, glaube ich, entscheidend ist: Gibt es eine Industrie, die es vorher nicht gab, die jetzt volkswirtschaftlich Bedeutung hat?
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