Jessica Sturmberg: Viele Landwirte sind frustriert darüber, welche Vorgaben sie jetzt mit den schärferen Auflagen für den Einsatz von Düngemitteln und höheren Ansprüchen an das Tierwohl erfüllen sollen. So frustriert, dass sie diesen großen Protest heute organisiert haben. Auf der anderen Seite stehen Konsumenten, die nicht mehr mitbekommen, wie Lebensmittel hergestellt werden, und oftmals der Wunsch nach oder auch die Gewöhnung an geringe Lebensmittelpreise. Wie lässt sich das lösen? Geht das nicht anders als die jetzt beschlossenen Vorschriften wieder zu lockern? Darüber habe ich vor der Sendung mit der Agrarwissenschaftlerin Maria Finckh von der Uni Kassel gesprochen, die im Bereich ökologischer Pflanzenschutz forscht. Ich wollte von ihr wissen: Geht es nicht ohne?
Maria Finckh: So, wie die Landwirtschaft derzeit aufgestellt ist im konventionellen Bereich, können wir nicht einfach hingehen und sagen, alle Pestizide weg und alle Antibiotika weg. Antibiotika werden in der Tierhaltung auch eingesetzt, um das Tierwohl zu fördern, man kann nicht einfach sagen, gar keine Antibiotika. Aber es gibt viele Bedingungen, die man ändern könnte, dass es weniger Antibiotika braucht, das ist sicher. Und das eine hat natürlich auch mit der Frage zu tun, wo und wie werden Tiere gehalten – und würde es nicht anders gehen. Und das hängt dann wiederum auch mit der Stickstoffproblematik zusammen.
Mehr Kreislaufwirtschaft gefordert
Sturmberg: Welche Bedingungen wären das dann, die man ändern müsste?
Finckh: Grundsätzlich ist es so, dass … Die Stickstoffproblematik kommt zu einem hohen Anteil von einer hochkonzentrierten Tierhaltung, aber auch von zu hohen Einträgen an mineralischen Stickstoffdüngern, die eben auch ausgewaschen werden aus den Böden. Und wenn wir insgesamt darauf abzielen würden, eine bessere Kreislaufwirtschaft zu machen – das heißt nicht unbedingt eine Umstellung auf den Ökolandbau, aber es heißt, dass wir das, was aus dem System produziert werden kann, produzieren müssen.Das heißt: Erstens müssen die Tiere besser in die Landwirtschaft integriert werden und damit auch besser verteilt werden. Die tierischen Dünger müssen eingesetzt werden, aber nicht alle an einem Ort. Würden wir heimisches Futter für die Tiere produzieren, würden wir automatisch mehr Leguminosen produzieren, das sind die Pflanzen, die eben fähig sind, auch aus der Luft Stickstoff zu fixieren und damit auch die Bodenfruchtbarkeit fördern. Und wir würden damit deutlich weniger auf Importe, die weitgehend auf der Abholzung des tropischen Regenwald basieren, angewiesen sein. Dazu kommt: Wenn die Tiere Weidegang haben und insgesamt weniger konzentriert gehalten werden, dann sinkt auch der Bedarf für Antibiotika und die Fleischqualität verbessert sich. Das kommt aber mit einem Preisschild dran. Und dieses Preisschild muss beachtet werden und es muss möglich gemacht werden, dass so produziert wird.
Förderung stärker an Umweltschutz orientieren
Sturmberg: Lässt sich das denn durchsetzen? Die Frage ist ja, wir haben jetzt dieses geringe Preisniveau, lässt sich dieses noch mal zurückdrehen?
Finckh: Das ist also eine ganz grundsätzliche Frage. Wenn wir Klimawandel denken, wenn wir denken, was eigentlich derzeit die Problematiken sind, die auf uns zukommen, die Preise werden sowieso steigen, denn wir werden in Knappheiten reinlaufen, wenn wir nichts ändern und nicht dafür sorgen, dass unser Klima und unsere natürlichen Ressourcen geschützt werden. Und das hängt auch mit der Art der Landwirtschaft zusammen. Wenn wir aber dafür sorgen, dass das Grundwasser weniger verseucht ist, dann heißt das, dass wir auch weniger bezahlen müssen für die Aufreinigung des Grundwassers. Wenn wir dafür sorgen, dass es weniger Antibiotika in der Umwelt gibt, dann heißt das, dass wir weniger Probleme mit multiresistenten Keimen haben. Das zahlt sich eigentlich alles in Heller und Pfennig aus. Es braucht eine Umstrukturierung der Kosten. Es muss klar sein, dass die Lebensmittel den Preis wert sein müssen, den man dafür bezahlt. Derzeit ist es so, dass viele Lebensmittel sehr, sehr billig auf dem Markt sind. Und das hat damit zu tun, dass da auf eine Art gefördert und gefordert wird von den Landwirten, dass sie keine andere Wahl haben. Wenn man aber das verändern würde, dass das gefördert wird, was unsere Umwelt schützt, und von den Landwirten auch gefordert wird, aber gemeinsam mit den Landwirten überlegt wird, wie machen wir es, und das sich dann auch auswirkt auf die Preisstruktur, dann muss man einfach auch auf der anderen Seite sehen, es geht um die Frage, was ist eigentlich ein angemessener Mindestlohn zu Beispiel. Da kommt alles zusammen. Aber wir können kein "Weiter so" wie bisher machen.
"Es braucht ein gegenseitiges Zuhören"
Sturmberg: Wenn Sie sagen, das ist so komplex, dann muss man natürlich sehen, wo setzt man dann den Hebel an? Auf der einen Seite bei den Vorschriften, die sind ja jetzt bereits verschärft worden, aber was muss damit einhergehen? Oder anders gefragt: Wofür müssten die Landwirte nach Ihrer Erkenntnis eigentlich auf die Straße gehen?
Finckh: Ich wundere mich wirklich, warum die Landwirte jetzt nur protestieren, anstatt zu sagen – was ja viele Landwirte wissen –, ja, die Problematik mit Antibiotika-, Nitrat- und Pestizideinsatz hängt ursächlich mit der Landwirtschaft zusammen. Und wir tragen gerne unseren Teil bei, diese zu verändern, aber dazu muss man auch anschauen, wie es dazu kam, dass es jetzt so ist, wie es ist. Und das sind nicht alleine die Landwirte gewesen, sondern es muss überlegt werden, wie wird denn gefördert und gefordert. Was wird wirklich gefördert? Das sind meistens diese Methoden, die eben genau diese Problematiken verursachen. Hier braucht es ganz dringend eine Zusammenarbeit und ein gegenseitiges Zuhören, um zusammenzukommen und zu schauen, was kann man wie verändern, dass es für alle Seiten stimmig ist. Wenn unser Wasser nicht mehr so verseucht wird, verdreckt wird mit Nitraten und anderem, dann gibt es weniger öffentliche Ausgaben, die notwendig sind, um das Wasser aufzureinigen. Das heißt, letztendlich können die Preise für das Wasser, für ein Allgemeingut, sinken, für die Wasserbereitstellung. Das muss sich doch irgendwie auszahlen.
Hoher Düngereinsatz fördert auch Unkräuter
Sturmberg: An welcher Stelle sollte anders gefördert werden?
Finckh: Es muss ganz klar geschaut werden, was braucht es, um das Grundwasser zu schützen, und das ist eine Reduktion des Stickstoffeinsatzes. Wenn wir den Stickstoffeinsatz reduzieren, brauchen wir weniger Pestizide, das ist automatisch, denn der Stickstoffeinsatz fördert die Beikräuter, der Stickstoffeinsatz fördert sehr häufig auch die Schadorganismen. Und alleine eine Reduktion auf dieser Seite würde ganz viel entschärfen. Wenn das dann mit weniger Erträgen zusammenhängt, was es nur bedingt tut, das hat auch eine große Studie aus Frankreich gezeigt, dass man locker auf einen Großteil der Pestizide verzichten kann – 40 Prozent –, ohne dass es massive Ertragseinbrüche geben wird. Man muss schauen, wo man darauf verzichtet, das hat ganz viel natürlich mit Herbiziden zu tun. Aber wenn wir den Stickstoffeinsatz reduzieren, reduzieren sich die Problematiken mit den Unkräutern, wenn wir mehr Zwischenfrüchte einsetzen, reduziert sich auch die Problematik mit der Auswaschung von Nährstoffen. Damit wird automatisch aber auch der Herbizideinsatz reduziert und dann hat man eine ganz andere Art des Wirtschaftens. Dazu kommt die Frage: Wo sind die tierischen Dünger und wie werden sie eingesetzt. Das ist aber eine strukturelle Sache und wir können jetzt nicht einfach sagen, ja gut, alle Tiere raus aus dem Emsland und über die ganze Republik verteilen. Das geht nicht einfach mal so, sondern da muss dann wirklich auch strukturell überlegt werden und gefördert werden.
Familienbetriebe düngen weniger
Sturmberg: Wie hängen denn der Einsatz von Pestiziden und Produktivität sowie Profitabilität zusammen, Sie haben die Studie in Frankreich angesprochen.
Finckh: Es hat leider sehr viel auch mit Betriebsstrukturen zu tun. Es hat sich gezeigt, dass mittelgroße Betriebe, die tendenziell noch als Familienbetriebe laufen, deutlich vorsichtiger und weniger Pestizideinsatz fahren als die ganz großen Betriebe. Das hat was damit zu tun, wenn man alles nur noch praktisch von einem Manager machen lässt, der nach Kalender arbeitet, dann wird eher das Maximum eingesetzt. Die Erträge der mittelgroßen Betriebe sind nicht geringer als die Erträge der ganz großen Betriebe. Das hängt damit zusammen, dass es besser und vernünftiger eingesetzt wird. An dieser Stellschraube kann man ganz viel machen, das ist jetzt aus der Studie in Frankreich. Wenn dann auch die Preise, die bezahlt werden müssen für die Pestizide und für die Dünger, die wahren Kosten beinhalten würden, die sie auch in der Umwelt verursachen, dann wäre ein massiver Anreiz geschaffen, diese Inputs zu reduzieren, denn dann lohnt es sich. Wir sehen das aus den USA und aus anderen Ländern, wo die Subventionsstrukturen anders sind, wo viele Landwirte sagen, weniger Ertrag, wenn ich so viel weniger Input habe, dann habe ich einen besseren Profit. Das ist eine Frage, wie internalisieren wir die Kosten, die durch unsere Pestizide und mineralischen Dünger verursacht werden in der Umwelt.
Externe Kosten von Dünger und Pestiziden einpreisen
Sturmberg: Im Grunde müsste also der Schaden, der dadurch angerichtet wird, den Pestiziden auferlegt werden.
Finckh: Das müsste den Pestiziden und den Düngemitteln auferlegt werden. Und dann wird es plötzlich wahnsinnig attraktiv, mehr Zwischenfrüchte anzubauen, mehr Leguminosen anzubauen und so die Bodenfruchtbarkeit zu fördern, weil man dann automatisch weniger Düngemittel braucht und automatisch weniger Pestizide braucht. Dann gibt es eine Win-Win-Situation, aber das wird garantiert mit Geschrei begleitet, dass jetzt alle untergehen, weil die Preise für die Pestizide und die Düngemittel sich erhöht haben. Trotzdem kann es letztendlich nur über vernünftige Regelmechanismen gelöst werden. Und es wird dazu führen, dass die Nahrungsmittel, vor allem das Fleisch, teurer wird. Es muss seinen Preis wert sein – und nicht billig.
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