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Ahmad Mansour über die "Generation Allah"
"Die Salafisten warten vor den Asylbewerberheimen"

In diesem Herbst tut sich was an der muslimisch-deutschen Front: Wichtige islamische Autoren haben hochinteressante Bücher vorgelegt. Alle haben große Beachtung gefunden: etwa Navid Kermani oder Mouhanad Khorchide oder ganz anders Hamed Abdel-Samad. In diese Reihe gehört auch Ahmad Mansour. Sein Buch heißt: "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen."

Ahmad Mansour im Gespräch mit Andreas Main |
    Flüchtlinge laufen an einer Erstaufnahmeeinrichtung entlang
    Flüchtlinge - Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig in Sachsen (picture alliance / dpa/ Peter Endig)
    Andreas Main: Wie muss sich der Islam ändern, damit weniger junge Menschen extrem oder extremistisch werden?
    Ahmad Mansour: Erstmal müssen wir überhaupt ein Islamverständnis anbieten, das mit solchen radikalen Tendenzen nichts mehr gemeinsam hat. Und das existiert leider nicht. Es gibt natürlich Professoren, es gibt auch Einzelpersonen, die das auch immer wieder versuchen, aber das muss eine Bewegung werden. Das muss sichtbar werden für die Jugendlichen. Wenn ich mir die Politik anschaue und wer oder wen sie zu Partnern nehmen, dann sehe ich, wie naiv eigentlich die Politiker manchmal agieren, dass sie diejenigen verstärken, die ein sehr konservatives Islamverständnis predigen und auch verbreiten wollen. Das demokratiefähige Islamverständnis, wo Barmherzigkeit groß geschrieben wird, der Moral, Menschenrechte, Gleichberechtigung, eigene Verantwortung, Zweifel zulässt, das ist der Islam, der zu Deutschland gehört und den wir unterstützen sollten. Alles andere ist Teil des Problems.
    Main: Sie sehen die Gefahr, so schreiben Sie wörtlich, "dass unsere Gesellschaft mit ihren demokratischen Werten und Vorstellungen an der Übermacht des Phänomens der Generation Allah zerbrechen könnte." Überschätzen Sie da nicht womöglich auch ein bisschen die Wirkmacht einer Minderheit in der Minderheit?
    Mansour: Nein. "Generation Allah" sind keine Einzelfälle, sondern "Generation Allah" sind tausende von Jugendlichen, die zu dieser Gesellschaft gehören. Wir haben die Wahl. Wir können jetzt sagen: Das ist eine Minderheit; das sind Einzelfälle, wie manche Politiker gerne sagen; wir glauben, dass es irgendwann das Problem nicht mehr gibt oder dass Menschen nicht über solche Probleme berichten. Oder wir können anfangen, uns um diese Jugendlichen zu kümmern. Wenn Sie Lehrer, Sozialarbeiter fragen, dann werden Sie ganz schnell merken, dass solche Zustände fatal sind. Dass Menschen, die zu dieser Gesellschaft gehören, nicht von unserem Grundgesetz profitieren können, dass Zwangsverheiratung, dass Schwimmunterricht, dass Klassenfahrt, dass gleiche Rechte, dass Selbstbestimmung – sexuelle Selbstbestimmung bei diesen Menschen überhaupt nicht mehr angekommen sind. Das dürfen wir nicht mehr tolerieren, weil diese Menschen zu Deutschland gehören. Auch ein Mädchen, das in dieser Gesellschaft aufwächst und nicht die gleichen Chancen bekommt wie alle anderen, ist ein Fall zu viel. Und die müssen wir erreichen. Und wenn Sie dann Lehrer fragen und merken, dass sind hunderte, tausende von Jugendlichen, die Verschwörungstheorien in sich tragen, die antisemitische Einstellungen in sich tragen, dann merken Sie, wie groß das Problem ist.
    "Religionsunterricht zur Aufklärung ist unfassbar wichtig"
    Main: Deklinieren wir mal Ihre Lösungsvorschläge durch. Bleiben wir bei der Schule: Was muss sich da zentral ändern, was ist für Sie da der entscheidende Punkt, der künftig nicht mehr geht?
    Mansour: Was ich in den Schulen unbedingt, unverzüglich will und was wir brauchen, ist Räume zu schaffen, wo aktuelle politische Themen angesprochen werden. Über den Nahost-Konflikt, über die Syrien-Krise, über Flüchtlinge, über "Gehört der Islam zu Deutschland?", über Migration und alles Mögliche. Tun wir das nicht, suchen sich diese Jugendlichen die Information woanders. Und da landen sie auf Facebook und Co und holen ihre Informationen von Radikalen – ob von Pegida auf der einen Seite, wenn es die Mehrheitsgesellschaft angeht, oder von den Islamisten oder Antisemiten, die auf einmal ihre Lösungsvorschläge und ihre politische Analyse für Nahost-Krieg und Syrien-Konflikt darstellen, das dürfen wir nicht akzeptieren.
    Main: Was muss sich im Religionsunterricht ändern? Denn Ihnen ist ja die Religion an diesem Punkt sehr wichtig.
    Mansour: Religionsunterricht als Aufklärung, als Wissensvermittler ist unfassbar wichtig. Es ist auch nicht das Allheilmittel für alle möglichen Probleme, aber wir brauchen einen Religionsunterricht, wo alle alles über alle möglichen Religionen erfahren können. Im Hamburg gibt es ein wunderbares Modell, wo alle Schüler zusammenbleiben, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, und jede Woche wird eine andere Religion erläutert und dargestellt. Ich will, dass christliche Kinder oder atheistische Kinder mehr vom Islam erfahren, weil das hilft einfach, Vorurteile abzubauen. Und ich will, dass muslimische Jugendliche in der Schule über ihre eigene Religion mehr erfahren, weil das hilft und immunisiert – gegen religiösen Extremismus. Natürlich nur, wenn der Islamunterricht auch demokratiefähig wäre. Und auf der anderen Seite, dass sie auch über Judentum und Christentum mehr erfahren und auch ihre Vorurteile abgebaut werden können.
    "Diese Menschen müssen begleitet werden"
    Main: Wenn wir jetzt auf die große Zahl derer schauen, die als Muslime zu uns kommen, als Flüchtlinge. Was gilt es jetzt nicht noch mal falsch zu machen?
    Mansour: Diese Menschen müssen begleitet werden. Diese Menschen müssen von Anfang an als Teil dieser Gesellschaft angesehen werden. Die werden nicht nach Syrien zurückkehren. Sie werden hier Jahre bleiben, ihre Kinder werden hier groß werden und sie werden Teil dieser Gesellschaft sein. Und das ist gut so. Aber wir brauchen Programme, um diese Menschen zu begleiten, um ihnen Zugänge zu der Mehrheitsgesellschaft zu ermöglichen und Berührungspunkte mit diesen Fremden zu ermöglichen. Das ist Gold wert. Wenn Parallelgesellschaften entstehen, wenn Ängste im Stich gelassen werden und diese Menschen im Stich gelassen werden, dann werden sie nach anderen Identitäten suchen. Und die Salafisten warten vor den Asylheimen. Da müssen wir alles Mögliche tun, um diesen Menschen Perspektiven zu geben, um sie zu erreichen, bevor das die Islamisten tun.
    Main: Ich stelle mir mal vor, wahrscheinlich ist es so, dass ein sehr traditionalistisch islamischer junger Mann mit mir gar nicht reden würde. Aber wenn ich versuchen würde, in ein Gespräch mit ihm zu kommen – und das ist ja Ihr Appell, dass wir miteinander reden: Wie rede ich richtig mit einem knallharten islamistischen jungen Mann, wenn er denn mit mir reden wollte? Welche Tipps haben Sie da? Wie gehen wir miteinander um?
    Mansour: Es ist sehr wichtig, nicht mit der Motivation hinzugehen, dass Gespräch gewinnen zu wollen. Weil das tun Fanatiker, die wollen immer gewinnen. Deshalb ist es nicht so leicht, mit denen zu diskutieren. Ich versuche das Gespräch einfach auf ganz anderer Ebene zu führen. Auf emotionaler Ebene, auf biografischer Ebene. Ich zeige Interesse. Pädagogik bedeutet auch vor allem, aushalten zu können, Räume zu schaffen, wo diese Jugendlichen ihre Meinung sagen können. Sie haben ein unfassbares Mitteilungsbedürfnis. Und das müssen wir stillen. Wir müssen die Räume schaffen, wo sie ihre Meinung sagen, ohne mit unserer Mimik und unserer Reaktion sie irgendwie abzuwerten. Sondern wir müssen aushalten, was sie da sagen. Und auf der Basis, was sie dann sagen, müssen wir alles in Frage stellen – mit kleinen Hinterfragungen, mit kleinen Anekdoten, Beispielen einfach diesen Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Einstellung, ihre eigenen Aussagen in Frage zu stellen und darüber nachzudenken. Viele, viele, viele von diesen Einstellungen sind automatisch übernommen worden – von den Elternhäusern, von den Peergroups, von den Moscheen von nebenan. Sie haben nicht viel darüber nachgedacht. Und wenn man anfängt diese Jugendlichen erst einmal ernst zu nehmen, auf Augenhöhe solche Diskussionen zu führen und vor allem dann ihre Aussagen in Frage zu stellen, dann erreicht man unglaublich viel.
    Main: Abschließend – wenn der Zweifel nicht entsteht und Sie in Ihrer De-Radikalisierungsarbeit scheitern, wie gehen Sie mit diesem Misserfolg um?
    Mansour: Das gehört dazu. Das passiert tagtäglich. Das ist nicht so einfach, Jugendliche davor zu retten, besonders wenn die Eltern auch sehr, sehr spät anrufen. Wir haben Eltern, die angerufen haben und gesagt haben: Unsere Kinder sind weg in Syrien und Irak. Wir haben versucht, mit WhatsApp, mit Nachrichten, mit SMS irgendwie Einfluss zu nehmen. Aber manchmal kommt auch eine Todesnachricht: Das Kind ist tot. Und dann geht es darum, diese Eltern psychologisch zu begleiten, da zu sein, sie zu unterstützen in dieser sehr schwierigen Zeit. Aber einfach ist das nicht.
    Main: Ahmad Mansour, vielen Dank für dieses Gespräch.
    Mansour: Sehr gerne, danke schön.