Andreas Main: Der Psychologe Ahmad Mansour lässt sich nicht so leicht provozieren. Er bleibt sachlich, auch, wenn er im Internet als Kuffar, als Ungläubiger beschimpft wird. Noch schlimmere Beleidigungen zitieren wir lieber nicht an dieser Stelle. Soweit also alles wie immer. Es gibt neuerdings aber auch jene Kreise, die weniger plump vorgehen und Ahmad Mansour in eine Schublade stecken wollen, etwa in die Schublade des Islamkritikers, was von einigen zunehmend zum Schimpfwort umetikettiert wird. All das belastet ihn, hält ihn aber nicht davon ab, sich weiter zu äußern. Nach seinem Erfolg mit "Generation Allah" jetzt sein zweites Buch. Es hat den Titel "Klartext zur Integration: Gegen falsche Toleranz und Panikmache". Es erscheint übermorgen, es erscheint in dieser Woche. Was Ahmad Mansour mit falscher Toleranz meint und was mit Panikmache, darüber wollen wir sprechen. Wir sitzen uns gegenüber in unserem Berliner Funkhaus, wo wir dieses Gespräch aufzeichnen beziehungsweise aufgezeichnet haben. Ahmad Mansour, schön, dass Sie hier sind, guten Morgen.
Ahmad Mansour: Guten Morgen und danke für die Einladung.
Main: Herr Mansour, um mal denen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die Sie für die eine oder für die andere Seite vereinnahmen wollen und auch, um persönlich zu beginnen, was finden Sie am Islam grandios?
Mansour: Ich finde nichts an Religion grandios. Das ist etwas, was sehr persönlich ist, was Menschen brauchen ab und zu. Ich bräuchte es auch genauso. Ich bin ein gläubiger Moslem, praktiziere meine Religion - aber sehr individuell. Ich bin mündiger Mensch. Das heißt, ich bin in der Lage, mit Gott und mit den Texten zu streiten. Das ist etwas, was entstanden ist durch die Aufklärung, durch meinen persönlichen Zugang zur Religion. Ich bin aber nicht der Meinung, dass das etwas ist, was man verallgemeinern darf. Also, grandios ist nur, wenn die Menschen das grandios finden und nicht etwas, was man an alle Menschen unbedingt weitergeben muss.
Main: Sie verstehen sich also weiter als Muslim. Sie haben einen deutschen und einen israelischen Pass. Was ist für Ihre Identität wichtiger – Ihr Deutsch-Sein oder Ihr Muslim-Sein?
Mansour: Also, ich gehe nicht durch die Straße und sage: Passen Sie auf, ich bin Moslem und ich brauche das und das und das. Ich bin vieles. Moslem-Sein ist Teil davon. Deutsch-Sein ist natürlich Teil davon. Sogar: Deutsch-Sein ist natürlich ausgeprägter im Alltag durch die Sprache, durch die Familie, durch meinen Wohnort natürlich in Deutschland. Ich bin aber dazu noch Palästinenser. Ich bin Araber. Ich bin Israeli. Das sind alles Erfahrungen, Geschichten, die ich mitgebracht habe. Die sind Teil von mir - und sie bleiben auch Teil von mir. Ich bevorzuge hier keine Einzelidentitäten und sage, das ist mir wichtiger als das andere – absolut nicht.
Main: An mehreren Stellen im Buch stellen Sie allerdings das Grundgesetz der Bundesrepublik über jede Tradition, über jede Religion und jeden Nationalismus. Warum?
Mansour: Denn das ist was Gemeinsames, was wir haben zum Zusammenleben. Wenn ich mich als Deutscher verstehe, dann muss ich Teil dieser Gesellschaft sein. Und Teil dieser Gesellschaft zu sein, bedeutet die Sprache zu beherrschen, bedeutet gemeinsame Werte und Grundgesetze zu haben. Und ich bin ein Grundgesetzpatriot. Ich musste das dazulernen, als ich nach Deutschland kam. Und das, was uns vereint, das, was ein Wir-Gefühl schafft, ist das Grundgesetz.
Und, wenn wir anfangen, jeder Minderheit Rabatte zu geben beim Thema Gleichberechtigung, beim Thema Meinungsfreiheit, beim Thema "die historische Verantwortung Deutschlands aufgrund ihrer Geschichte", dann haben wir keine Gemeinsamkeiten mehr. Und diese Gemeinsamkeit ist mir absolut wichtig. Das Grundgesetz ist viel wichtiger als alles andere, was die Menschen mitgebracht haben an Werten, an Kulturen und auch an Religionsverständnissen.
Main: Ahmad Mansour, Ihr Buch ist ein sehr politisches Buch. Das lässt sich – wie sich jetzt auch in den ersten Minuten unseres Gesprächs andeutet – nicht trennen von Religion, vor allem auch nicht vom Islam. Wenn ich Ihr Buch Revue passieren lasse, bleibt der Eindruck, der Islam oder bestimmte islamische Strömungen, aber auch die Kirchen spielen zum Teil eine kontraproduktive Rolle bei der Integration, wie sie Ihnen vorschwebt. Welche Kräfte sind aus Ihrer Sicht das Hauptproblem?
"Ein Jahrhundertfehler"
Mansour: Ich glaube, wir müssen erst mal verstehen, was Integration ist, weil ich sehr oft auch in Gesprächen mit Politikern den Eindruck bekomme, die Erwartungen an die Menschen, die zu uns kommen, lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Integration bedeutet Arbeit plus Sprache minus Kriminalität. Nach dieser Definition war Mohammed Atta super integriert in Hamburg – der Attentäter vom 11. September.
Für mich ist Integration erst möglich, wenn ich als jemand, der dazugekommen bin, verstehe, dass das Grundgesetz dieses Landes ein persönlicher Gewinn für mich ist. Das heißt, Gleichberechtigung zu leben, die Meinungsfreiheit zu akzeptieren, die Religionsfreiheit und das bedeutet auch die Freiheit von Religion als einen Gewinn für die Gesellschaft und für mich selber zu verstehen, ist etwas absolut Wichtiges.
Und ich glaube, viele in dieser Gesellschaft haben nicht verstanden, dass man eine Integrationspolitik braucht, wo wir die Menschen gewinnen. Viele Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, bringen Ängste mit. Sie bringen Traumata mit. Sie bringen andere Werte mit, andere Traditionen. Von denen zu erwarten, dass sie über Nacht anders werden, dass sie Grundgesetzpatrioten werden, ist nicht realistisch. Die Frage ist: Wie begleiten wir diese Menschen? Und vor allem, wer diese Menschen begleitet?
Und, wenn ich schaue, dass muslimische Verbände, die eigentlich verantwortlich sind für die Entstehung von Parallelgesellschaften in den letzten Jahrzehnten, dann halte ich das für einen Jahrhundertfehler, dass diese Menschen auf einmal die Aufgabe übernehmen, die Neuankommenden zu integrieren. Und das finde ich fatal. Und da machen die Kirchen mit – aus Angst natürlich auch, die Macht zu verlieren. Das heißt, sie tun sich mit Religionsgemeinschaften, mit Verbänden, im Namen von Religionsfreiheit, im Namen von Toleranz, unterstützen aber dabei Vereine und Verbände, die ganz andere Werte vermitteln als das, was in unserem Grundgesetz steht. Und das halte ich für fatal.
"Ich bin nicht euer Kuscheltier"
Main: Das ist also die falsche Toleranz, die Sie im Untertitel meinen?
Mansour: Unter anderem. Also, falsche Toleranz ist zu glauben, dass man entweder für die Flüchtlinge oder gegen die Flüchtlinge ist, dass man glaubt, Araber dürfen ihre Kinder schlagen, weil sie natürlich aus einer ganz anderen Kultur kommen. Oder, wenn wir ganz andere Maßstäbe bei der Kommunikation, bei dem Umgang mit bestimmten Minderheiten an den Tag legen, als wir das mit Deutschen tun. Und das ist für mich nichts anderes als Rassismus.
Ich bin nicht euer Kuscheltier. Ich bin ein mündiger Mensch. Die Flüchtlinge sind mündige Menschen. Die muss man nicht schützen vor Kritik, sondern wir müssen mit denen genauso umgehen, wie wir mit deutschen Nachbarn umgehen, von denen das erwarten, was sie von anderen erwarten.
Und das habe ich immer wieder beobachtet, dass bestimmte Kreise – ich will nicht verallgemeinern – mit uns so umgehen, als ob wir so schwach sind, nicht in der Lage, irgendwie Verantwortung zu übernehmen, nicht in der Lage, Kritik auszuhalten. Da muss man uns schützen. Und das ist für mich nichts anderes als ein positiver Rassismus.
"Für Panikmacher bin ich ein potenzieller Terrorist"
Main: 'Kuscheltiere' – als Kuscheltier fühlen Sie sich missbraucht. Wer sind auf der anderen Seite diejenigen, die Panik machen?
Mansour: Na ja, das sind diejenigen, die uns für wilde Tiere halten. Das heißt, egal, was ich sage, egal, wie ich lebe, egal, welche Werte ich an den Tag lege - für die bin ich ein potenzieller Terrorist, ein nicht zu integrierender Araber, der eigentlich sowieso nur hier diese Gesellschaft unterwandern will. Das ist Panikmache.
"Positiver und negativer Rassismus"
Main: Erleben Sie das auch oft, dass Sie wie ein wildes Tier behandelt werden – um bei diesem Begriff zu bleiben?
Mansour: Im Alltag natürlich. Also, ich will das jetzt auch nicht so verallgemeinern. Ich habe sehr gute Kontakte zu vielen Menschen, aber ich merke ganz schnell, wenn die Menschen kein Interesse an meiner Meinung haben, sondern eigentlich warten, bis ich irgendwas sage, was ihr Weltbild bestätigt. Und dieses Weltbild ist sehr schwarz/weiß.
Also, bei diesem Weltbild kann kein Moslem Demokrat sein, sondern das ist jemand, der irgendwann sein wahres Gesicht zeigt. Und dieses wahre Gesicht ist: Schläfer. Höre ich sehr oft. Ich bin Moslem, ich kann es nicht anders. Ich komme aus einer anderen Kultur und am Ende des Tages, egal, was passiert, werde ich zu meinen Wurzeln zurückkehren und das tun, was eigentlich die Community, die Religion von mir erwartet. Und das ist natürlich sehr rassistisch.
Main: Das ist der negative Rassismus, im Gegensatz zum positiven.
Mansour: Beide sind Rassismus. Beide nehmen mich nicht als Individuum wahr. Beide habe kein Interesse, mir als einem gleichberechtigten Teil dieser Gesellschaft zu begegnen, sondern entweder bevormunden wollen oder auf der anderen Seite rausdrängen wollen.
"Mündige Menschen - für bestimmte Mullahs hochgefährlich"
Main: Aus Ihrer Sicht gibt es diverse Ursachen, die zu Extremismus führen. Das wird immer wieder deutlich in Ihrem Buch. Zwei Punkte möchte ich ansprechen. Ein starres Islamverständnis und bestimmte Gottesbilder. Wie wirken die sich aus? Auch aufgrund Ihrer Erfahrung in der Präventionsarbeit. Sie erleben das ja ständig.
Mansour: Für mich ist Religion problematisch, wenn sie die Menschen dazu bewegt, nicht Teil dieser Gesellschaft zu sein, wenn sie die Menschen dazu bewegt, auf Distanz zu den Werten dieser Gesellschaft zu gehen. Das ist auch ein Teil von Religionsverständnissen, die weit verbreitet sind.
Wenn ich nicht mündig mit meiner Religion umgehe, das heißt, wenn ich die Menschen dazu bewege, nicht zu hinterfragen, nicht kritisch nachzudenken, sondern die Texte so zu leben, so zu verstehen, wie sie manche vor 1.500 Jahren interpretiert haben, dann laufen wir Gefahr, dass diese Menschen die Aufklärungsprozesse, die Europa gemacht hat, nicht verstehen, dass sie an einen Gott glauben, der sehr patriarchalisch ist, der nur bestraft, genau, wie der Vater, der patriarchalische Vater in vielen patriarchalischen Familien. Das sind alles Risikofaktoren, die dazu führen, dass Menschen sich radikalisieren. Sie sind aber gefährlich, weil sie die Menschen dazu bewegen, Distanz zu dieser Gesellschaft zu nehmen, denn diese Gesellschaft stellt infrage. Diese Gesellschaft will mündige Menschen schaffen. Und mündige Menschen sind für dieses Religionsverständnis natürlich hochgefährlich. Denn wer denkt, wer infrage stellt, der praktiziert es nicht so, wie irgendwelche Mullahs und irgendwelche politischen Organisationen es wollen, sondern er wird zum Individuum. Und das ist für die sehr gefährlich und unerwünscht.
"Ich will für die Aufklärung arbeiten"
Main: Was Sie da beschreiben, ist ja keine Theorie, sondern das ist Erfahrung aus der Praxis. Das beschreiben Sie ja auch in Ihrem Buch. Das macht es eben auch so packend und so authentisch, weil sie dort hingehen, wo es wehtut: in die Gefängnisse. Mit welcher Haltung gehen Sie ran, vielleicht auch im Gegensatz zu uns aus der Mehrheitsgesellschaft, die wir diese Erfahrung gar nicht machen?
Mansour: Also, ich vermeide dieses "Wir" und "Ihr". Ich will den Menschen als Menschen begegnen. Das genau, was andere mir vorwerfen, dass ich keine Ahnung von der Realität habe, dass ich nur Islamkritik für die Deutschen betreibe, dass ich nur Vorurteile bestätigen will, das tue ich nicht. Ich tue meine Arbeit als Moslem, als Bürger dieses Landes; und ich will für die Aufklärung arbeiten.
Und, wenn ich in ein Gefängnis gehe, dann begegne ich den Menschen da nicht als Verbrecher, sondern erst mal für drei Stunden als Menschen – auf Augenhöhe, in einer vertrauensvollen Atmosphäre. Die Tatsache, dass ich mit einem Team arbeite, die alle mit Migrationshintergrund sind, die genauso aussehen wie diese Menschen, dass wir den Menschen zeigen, dass wir Interesse an ihrer Meinung haben, dass wir Themen mitbringen, die diese Menschen auch tagtäglich beschäftigen, schafft eine Atmosphäre, die einmalig ist. Wir merken innerhalb von fünf bis zehn Minuten, wie die Menschen sich öffnen, wie sie mit uns streiten, ihre Meinung äußern, aber die Bereitschaft mitbringen, nachzudenken und sich mit unseren Einstellungen, mit unserer Meinung zu beschäftigen.
"Wir haben Probleme mit der Integration"
Main: Herr Mansour, nun ist ja wirklich jeder Burkini, jedes Kopftuch, jeder Ehrenmord, jede umstrittene Koransure ungefähr 340.000 Mal durchdiskutiert worden. Das hat zu nichts geführt. Vielleicht müssen wir einfach auch mal die Strategie ändern. Vielleicht sollten wir mehr über positive Seiten des Islams reden?
Mansour: Das wäre für mich nur Propaganda. Es gab diesen Vorschlag vor Kurzem, dass man in Talkshows nicht so viel über Integration und Islam redet, denn das schafft ein negatives Bild über den Islam. Man vergisst aber dabei, dass dieses negative Bild entstanden ist, weil wir Probleme mit der Integration haben, weil wir Vereine und Verbände haben, die im Namen dieser Religion sprechen, die nur Forderungen stellen, die sich eigentlich am Ausland orientieren, die eigentlich auch ein Islamverständnis verbreiten, das mit dem Grundgesetz nicht immer vereinbar ist.
Wir dürfen nicht vergessen, wie viele Anschläge, wie viele Menschen gestorben sind. Wie dürfen nicht vergessen, dass wir Hamas haben, Al-Kaida haben, dass wir IS haben, dass wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt haben, wie manche Islamverständnisse eigentlich im Kampf mit unseren Werten, mit unseren Gesellschaften sind. Und das dürfen wir nicht unter den Teppich kehren.
"Wie konnte so ein Ungeheuer im Namen unserer Religion entstehen?"
Main: Ja, aber vergessen hat das ja überhaupt niemand und unter den Teppich gekehrt haben es nur einige.
Mansour: Na ja, aber, wenn sie meinen, wir dürfen jetzt nicht darüber reden und irgendwelche positiven Beispiele suchen – natürlich gibt es diese positiven Beispiele. Sie reden jetzt mit mir. Ich bin auch ein positives Beispiel. Es gibt Nachbarschaften. Es gibt Kollegen. Es gibt Mitschüler. Jeder von uns hat solche Beispiele.
Wir reden aber über eine politische Bewegung von Verbänden, die eigentlich kein Interesse haben, Teil dieser Gesellschaft zu sein, sondern sie wollen ihr Islamverständnis so leben, dass sie Sachen durchsetzen wollen, die gegen unser Grundgesetz sind. Wenn es um Burkini geht, wenn es um Kopftuch geht, wenn es um Radikalisierung geht.
Schauen Sie mal, was haben wir eigentlich in den letzten Jahren immer wieder gehört? Das hat mit dem Islam nichts zu tun. Köln, Silvesternacht – hat mit dem Islam nichts zu tun. Die Anschläge - haben mit dem Islam nichts zu tun. Antisemitismus - hat mit dem Islam nichts zu tun.
Ich sage es als Moslem: Wir haben Probleme. Wir haben Herausforderungen. Und die will ich ändern. Und wir können die nur ändern, wenn wir bereit sind, die Frage zu stellen: Wie konnte so ein Ungeheuer im Namen unserer Religion entstehen? Wie können wir Faktoren der Radikalisierung präventiv erreichen und versuchen, ein Islamverständnis zu schaffen, das ohne Wenn und Aber hinter Demokratie und Menschenrechten steht? Das ist unsere Aufgabe. Dazu müssen wir über Probleme reden, offen reden, differenzierter reden.
Wer das tabuisieren will, bedient Rechtsradikale, bedient Panikmacher, die dann alleine über solche Themen reden und Ängste aktivieren bei vielen Menschen in dieser Gesellschaft. Und die Ergebnisse haben wir vor einem Jahr bei der Bundestagswahl gesehen. Und das darf nicht der Fall sein.
Ich erwarte von SPD, ich erwarte von CDU, von den Grünen, von den Linken, von allen demokratischen Parteien, dass sie anfangen, die Themen, die die Menschen beschäftigen, in der Mitte der Gesellschaft differenzierter anzusprechen und vor allem Lösungen anzubieten. Tun wir das nicht, bedienen wir Rechtsradikale, die solche Themen für sich beanspruchen.
Main: Zur Lösungssuche könnte ja auch beitragen, wenn wir islamische Strömungen identifizieren – ich bleibe bei meinem positiven Ansatz –, Strömungen suchen, die vereinbar sind mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik. Welche wären das?
Mansour: Also, erst mal müssen wir aufhören, dem Islam kirchliche Strukturen aufzuzwingen. Sie werden nie zwei islamische Kirchen haben, die im Namen dieser Religion sprechen und die Mehrheit der Muslime vertreten. Sondern der Islam ist ganz anders strukturiert und das ist auch gut so.
Wenn wir weiterhin nur diesen politischen Islam, der vom Ausland gesteuert ist, als Ansprechpartner nehmen, werden wir weiter Probleme haben. Wenn wir und vor allem die Politik es schafft, die Mehrheit der Muslime, die nicht in einem Verband organisiert sind, die unsere Nachbarn sind, die Ingenieure sind, die am Bau arbeiten, die Lehrer sind, die nicht jeden Tag nach außen gehen und zeigen, dass sie Muslime sind und nur Muslime sind, sondern Bürger und Bürgerinnen in diesem Land. Wenn wir schaffen, diese Gruppe zu aktivieren und auch eine Stimme zu geben, dann werden wir dieses positive Beispiel auf jeden Fall haben.
"Ich bin mehr als nur meine Religionszugehörigkeit"
Main: Und wir müssen vielleicht dann auch einsehen, dass wir Religionsfreiheit – wie Sie es vorhin schon angedeutet haben – auch verstehen als Freiheit von Religion, dass wir nicht jedem, der als Moslem geboren ist, per se den Stempel aufpappen: Du bist Moslem. Er ist nämlich vielleicht primär Kollege – oder was auch immer. Aber er ist nicht per se Moslem.
Mansour: Na ja, dazu gehören zwei Seiten natürlich. Also, ich muss als Moslem nicht überall gehen und sagen: "Ich bin Moslem, ich bin Moslem, machen Sie Platz. Und ich muss jetzt beten und ich muss jetzt meine Frau mit Kopftuch unbedingt als Lehrerin beschäftigen - und ich will das und dies und das!" Und auf der anderen Seite brauche ich Menschen in der Mehrheitsgesellschafft, also Nicht-Muslime, die mich als Mensch treffen, die mir begegnen als Ahmad und nicht nur als Moslem. Denn ich bin viel mehr als nur meine Religionszugehörigkeit. Und das müssen die Leute auch verstehen. Das müssen beide Seiten verstehen.
Main: Und im Übrigen habe ich gerade wieder den Fehler gemacht, sage ich selbstkritisch, dass ich von "wir" und "ihr" gesprochen habe.
Mansour: Das mache ich aber auch, denn für mich sind "wir" die Muslime und "wir" die Mehrheitsgesellschaft. Deshalb bin ich auch für eine "Wir-Wende", wo alle dazugehören.
"Religionsfreiheit ist keine Einbahnstraße"
Main: Ahmad Mansour, wer sich religionskritisch äußert in diesen Tagen oder sagen wir genauer, islamkritisch, der kann erleben, dass es plötzlich um einen herum recht einsam wird. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Mansour: Das macht mich sehr traurig, weil ich auch persönlich davon betroffen bin. Ich beschäftige mich sehr, sehr oft mit den Nachrichten, die ich bekomme, mit den Drohungen, die ich bekomme, mit der Kritik, die ich teilweise auch für legitim und sehr notwendig halte, aber teilweise sehr heftig, sehr diffamierend erlebe.
Viele Menschen, die zu uns kommen, kommen nach Europa, kommen nach Deutschland, weil sie unbedingt Wohlstand genießen wollen, Sicherheit für ihre Kinder, bessere Bildungssysteme haben wollen. Sie vergessen aber, dass diese Eigenschaften Produkte der Aufklärung sind. Und die Aufklärung - das waren Zeiten, als die Menschen viel infrage gestellt haben – gegen Kirchen, gegen Autoritäten, gegen Religionsverständnisse auch Kritik geäußert haben, und zwar scharfe Kritik.
Was wir nicht schaffen: als Gesellschaft den Menschen, die zu uns kommen, klarzumachen: Wenn ihr diesen Wohlstand haben wolltet, dann hat das damit zu tun, dass die Menschen hier mündige Menschen sind, die infrage gestellt haben und infrage stellen. Und Religionsfreiheit ist keine Einbahnstraße, um meine Religion unbegrenzt leben zu können, auch, wenn es um Verletzung von anderen Grundgesetzen geht, sondern: Religionsfreiheit bedeutet, Kritik an der Religion zu erleben und das nicht als diffamierend und rassistisch zu bezeichnen und vor allem die Freiheit von der Religion.
Wenn meine Tochter mit 18 kommt und sagt: "Papa, es war sehr schön mit dir und mit deiner Religion, ich entscheide mich aber für was anderes", dann muss ich als Vater, wenn ich die Demokratie, das Grundgesetz verstanden habe, meiner Tochter mit Freude begegnen und sagen: "Das ist Mündigsein und ich bin sehr stolz auf deine Entscheidung, auch, wenn ich das nicht teile, aber ich stehe dahinter."
Und schauen Sie mal, wie weit wir vor allem in der migrantischen Community von diesen Einstellungen entfernt sind und wie viel Arbeit vor uns steht, damit die Menschen nicht ihre Religion verlassen, sondern damit sie nicht jede Kritik an Religion, nicht jede Debatte über Kopftuch, über Burkini als Angriff auf ihre Religion verstehen, sondern Selbstreflexion betreiben und einfach eine Sekunde lang darüber nachdenken: Stimmt das? Müssen wir darüber reden? Oder ist das jetzt ein allgemeiner Angriff auf meine Religion? Was dann natürlich sehr einfach ist, denn das schützt mich vor Selbstkritik, wenn ich dann immer wieder behaupte, die andere Seite ist rassistisch, blablabla.
Main: Auf die Gefahr hin, dass sich das jetzt onkelhaft anhört. Sie haben einen ganz schönen Durchmarsch hingelegt in den vergangenen Jahren. Vielleicht werden Sie ja in einer künftigen Bundesregierung parteiloser Minister eines noch zu schaffenden Integrationsministeriums.
Mansour: Das sagen Sie. Aber ich habe keine Angebote bekommen.
Main: Ich schlage Sie jedenfalls dafür vor und beanspruche die Urheberschaft auf diese Idee.
Mansour: Danke.
Main: Ahmad Mansour war das, Psychologe und Autor des Buches "Klartext zur Integration – gegen falsche Toleranz und Panikmache". Herr Mansour, danke, dass Sie ins Studio gekommen sind, danke für das Gespräch.
Mansour: Sehr gerne, danke schön für die Einladung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ahmad Mansour: "Klartext zur Integration - Gegen falsche Toleranz und Panikmache"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 304 Seiten, 20 Euro.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 304 Seiten, 20 Euro.