Wäre dieser Mann in seinem Leben gescheitert – niemand hätte sich darüber gewundert. Ahmad Milad Karimi stammt zwar aus der wohlhabenden Oberschicht. Sein Großvater war Vize-Ministerpräsident in Afghanistan, sein Vater Rektor der deutschen Schule in Kabul, seine Mutter Zahnärztin. In Karimis Kindheit Ende der 1980er und Anfang der Neunzigerjahre aber herrschte in der afghanischen Hauptstadt Bürgerkrieg. Eine Zeit voller Schrecken und Terror.
"Meine ganzen Erinnerungen sind übermalt oder geprägt durch den Krieg. Kabul heißt Flucht, Angst, keinen Strom haben, überleben, Bomben, Raketen, Leichen, Unmenschlichkeit, Bedrohung, Zerrissenheit. Das ist Kabul."
Ahmad Milad Karimi ist nicht gescheitert. Es kann kein Zufall sein, dass er ausgerechnet in Freiburg im Breisgau gelandet ist – dieser so grünen und friedlichen Stadt. Das komplette Gegenteil zum staubigen Kabul. Hier sitzt er nun in seinem Büro und erzählt über sein Leben, ganz in Schwarz gekleidet, die dunklen Haare ordentlich frisiert. Es lässt sich nicht genau sagen, wozu Karimi es gebracht hat. Der 33-Jährige hat viele Talente: Er ist Autor, Übersetzer, Verleger, Islamwissenschaftler, Philosoph – und einer der wenigen muslimischen Intellektuellen in Deutschland, die sich einen Namen gemacht haben. Es hätte auch anders kommen können. Als er 13 ist, flieht er mit seinen Eltern und seiner Schwester aus Kabul. Eine abenteuerliche Odyssee über Indien und Moskau führt die Familie nach Deutschland in ein Asylbewerberheim – da ist Karimi 15.
"Als wir in Deutschland angekommen sind: Unser Name bedeutete nichts. Was meine Eltern gelernt hatten, welchen Beruf sie haben, alles war nichtig. Sie hatten auch nichts mitgebracht, also finanziell null. Intellektuell zählten sie nichts. Sie hatten auch keine Familienmitglieder mehr. Sie waren einfach für sich alleinstehend. Alles war weg."
Karimi landet auf einer Hauptschule. Engagierten Lehrern ist es zu verdanken, dass er dort nicht versauert. Ein Lehrer bemerkt Karimis Interesse für Philosophie. Er schenkt ihm ein Buch mit abendländischen Weisheiten. Der jetzt 16-Jährige liest das Werk mit großer Begeisterung. Er schafft den Sprung aufs Gymnasium und später an die Uni – sich selbst nennt Karimi einen Streber. Sein Weg führte ihn auch deswegen nach Freiburg, weil er hier über Hegel und Heidegger promoviert. Eine Biografie wie aus einem Märchen. Vor drei Jahren sorgte Karimi für Aufsehen, weil er den Koran ins Deutsche übersetzt hatte – eine Mammutaufgabe, für die es Courage braucht. Mit dem Koran verbindet er eine der wenigen schönen Erinnerungen an Kabul.
"Ich kann mich erinnern, dass ich mit einer Gruppe von anderen Kindern in einer Moschee war. Und zwar auf einer Wiese sitzend. Und wir haben dem Koranrezitator zugehört, wie er uns das Singen beibrachte, muss man fast sagen. Und immer dann, wenn ich darüber nachdenke, zum Beispiel, was Heimat ist, was ich verloren habe, weil ich nicht mehr in Kabul lebe, ist diese ursprüngliche, tiefe Geborgenheit genau diese Szene. Auf einer Wiese zu sitzen und Koran zu singen."
Der Koran, das ist für ihn nicht ein Buch voller Vorschriften und Regeln. Der Koran und der Rhythmus seiner Sprache sind für ihn ein ästhetisches Erlebnis. Karimi hat die heilige Schrift der Muslime übersetzt, indem er immer wieder Rezitationen anhörte.
"Die Rezitation des Korans zeigt die Gegenwart Gottes, denn es ist Gott, der spricht. Aber zugleich wird man ja wohl sagen, dass es eigentlich das Wort von Muhammad ist. Und es ist auch mein Wort, meine Stimme, mein Gehör. Das heißt, im Akt der Koranrezitation hat man die ursprüngliche Verbundenheit mit dem Gott und dem Gesandten. Sie sind, als würden sie sozusagen schweben. Das ist so, als wenn sie in einem Opernhaus sitzen. Sie sind dort und sie sind von Emotionen überwältigt."
Karimi, der Denker und Intellektuelle, hat einen sehr sinnlichen Zugang zur Religion. Zugleich gehört er zu denjenigen, die gleichermaßen über islamische Theologie wie auch über abendländische Philosophie reden können. Für ihn sind beide kein Gegensatz. Schon im Mittelalter hätten muslimische Geistliche rational argumentiert, geschult durch die antike Philosophie von Aristoteles und Platon, sagt Karimi.
"So zu tun, als hätten wir im Abendland eine Aufklärung. Und auf der anderen Seite sind diese noch ein bisschen im Mittelalter gebliebenen Muslime, verkennt jene Realität. Die heißt eben, dass wir eine Welt teilen. Also, Muslime sind, wenn sie so wollen, mittendrin."
Karimi zählt zu einer jungen muslimischen Elite, die langsam in Deutschland heranwächst. Sie fühlt sich im Islam genauso zu Hause wie in der westlichen Kultur dieses Landes. Viele jener Intellektuellen sind an den neu gegründeten Fakultäten für Islamische Theologie zu finden. In Freiburg leitet Karimi seit einiger Zeit den Verlag Kalam, der Bücher dieser jungen Denker publiziert. In einem zweiten Verlag gibt er islamische Kinderbücher heraus. Bücher sind für ihn, der einmal alles verloren hat, das Wichtigste Gut im Leben:
"Ich habe in der Tat ziemlich gar nicht viel. Das Einzige, was ich besitze, sind Bücher. Und wenn man die mir wegnehmen würde, wäre es auch nicht so schlimm. Die meisten habe ich sowieso gelesen."
Die Serie im Überblick:
Prägende Köpfe des Islams - Nahaufnahmen aus Deutschland
"Meine ganzen Erinnerungen sind übermalt oder geprägt durch den Krieg. Kabul heißt Flucht, Angst, keinen Strom haben, überleben, Bomben, Raketen, Leichen, Unmenschlichkeit, Bedrohung, Zerrissenheit. Das ist Kabul."
Ahmad Milad Karimi ist nicht gescheitert. Es kann kein Zufall sein, dass er ausgerechnet in Freiburg im Breisgau gelandet ist – dieser so grünen und friedlichen Stadt. Das komplette Gegenteil zum staubigen Kabul. Hier sitzt er nun in seinem Büro und erzählt über sein Leben, ganz in Schwarz gekleidet, die dunklen Haare ordentlich frisiert. Es lässt sich nicht genau sagen, wozu Karimi es gebracht hat. Der 33-Jährige hat viele Talente: Er ist Autor, Übersetzer, Verleger, Islamwissenschaftler, Philosoph – und einer der wenigen muslimischen Intellektuellen in Deutschland, die sich einen Namen gemacht haben. Es hätte auch anders kommen können. Als er 13 ist, flieht er mit seinen Eltern und seiner Schwester aus Kabul. Eine abenteuerliche Odyssee über Indien und Moskau führt die Familie nach Deutschland in ein Asylbewerberheim – da ist Karimi 15.
"Als wir in Deutschland angekommen sind: Unser Name bedeutete nichts. Was meine Eltern gelernt hatten, welchen Beruf sie haben, alles war nichtig. Sie hatten auch nichts mitgebracht, also finanziell null. Intellektuell zählten sie nichts. Sie hatten auch keine Familienmitglieder mehr. Sie waren einfach für sich alleinstehend. Alles war weg."
Karimi landet auf einer Hauptschule. Engagierten Lehrern ist es zu verdanken, dass er dort nicht versauert. Ein Lehrer bemerkt Karimis Interesse für Philosophie. Er schenkt ihm ein Buch mit abendländischen Weisheiten. Der jetzt 16-Jährige liest das Werk mit großer Begeisterung. Er schafft den Sprung aufs Gymnasium und später an die Uni – sich selbst nennt Karimi einen Streber. Sein Weg führte ihn auch deswegen nach Freiburg, weil er hier über Hegel und Heidegger promoviert. Eine Biografie wie aus einem Märchen. Vor drei Jahren sorgte Karimi für Aufsehen, weil er den Koran ins Deutsche übersetzt hatte – eine Mammutaufgabe, für die es Courage braucht. Mit dem Koran verbindet er eine der wenigen schönen Erinnerungen an Kabul.
"Ich kann mich erinnern, dass ich mit einer Gruppe von anderen Kindern in einer Moschee war. Und zwar auf einer Wiese sitzend. Und wir haben dem Koranrezitator zugehört, wie er uns das Singen beibrachte, muss man fast sagen. Und immer dann, wenn ich darüber nachdenke, zum Beispiel, was Heimat ist, was ich verloren habe, weil ich nicht mehr in Kabul lebe, ist diese ursprüngliche, tiefe Geborgenheit genau diese Szene. Auf einer Wiese zu sitzen und Koran zu singen."
Der Koran, das ist für ihn nicht ein Buch voller Vorschriften und Regeln. Der Koran und der Rhythmus seiner Sprache sind für ihn ein ästhetisches Erlebnis. Karimi hat die heilige Schrift der Muslime übersetzt, indem er immer wieder Rezitationen anhörte.
"Die Rezitation des Korans zeigt die Gegenwart Gottes, denn es ist Gott, der spricht. Aber zugleich wird man ja wohl sagen, dass es eigentlich das Wort von Muhammad ist. Und es ist auch mein Wort, meine Stimme, mein Gehör. Das heißt, im Akt der Koranrezitation hat man die ursprüngliche Verbundenheit mit dem Gott und dem Gesandten. Sie sind, als würden sie sozusagen schweben. Das ist so, als wenn sie in einem Opernhaus sitzen. Sie sind dort und sie sind von Emotionen überwältigt."
Karimi, der Denker und Intellektuelle, hat einen sehr sinnlichen Zugang zur Religion. Zugleich gehört er zu denjenigen, die gleichermaßen über islamische Theologie wie auch über abendländische Philosophie reden können. Für ihn sind beide kein Gegensatz. Schon im Mittelalter hätten muslimische Geistliche rational argumentiert, geschult durch die antike Philosophie von Aristoteles und Platon, sagt Karimi.
"So zu tun, als hätten wir im Abendland eine Aufklärung. Und auf der anderen Seite sind diese noch ein bisschen im Mittelalter gebliebenen Muslime, verkennt jene Realität. Die heißt eben, dass wir eine Welt teilen. Also, Muslime sind, wenn sie so wollen, mittendrin."
Karimi zählt zu einer jungen muslimischen Elite, die langsam in Deutschland heranwächst. Sie fühlt sich im Islam genauso zu Hause wie in der westlichen Kultur dieses Landes. Viele jener Intellektuellen sind an den neu gegründeten Fakultäten für Islamische Theologie zu finden. In Freiburg leitet Karimi seit einiger Zeit den Verlag Kalam, der Bücher dieser jungen Denker publiziert. In einem zweiten Verlag gibt er islamische Kinderbücher heraus. Bücher sind für ihn, der einmal alles verloren hat, das Wichtigste Gut im Leben:
"Ich habe in der Tat ziemlich gar nicht viel. Das Einzige, was ich besitze, sind Bücher. Und wenn man die mir wegnehmen würde, wäre es auch nicht so schlimm. Die meisten habe ich sowieso gelesen."
Die Serie im Überblick:
Prägende Köpfe des Islams - Nahaufnahmen aus Deutschland