Aisha Usman steht in der Aula der Womanhood Foundation School in Kaduna, einer Millionenstadt im Norden Nigerias. Die große Frau trägt ein maßgeschneidertes Kleid in Lindgrün, Hellblau und Lila, ein schwarzes Kopftuch und hat roten Lippenstift aufgelegt. Wenn sie spricht, gestikuliert sie viel. Vor den 50 Schülerinnen und Schülern, die verschiedene Ausbildungen im medizinischen Bereich absolvieren, macht sie keinen Hehl daraus: Sie hat sich vor Jahrzehnten mit HIV infiziert. Doch anstatt sich deshalb zu schämen und zu verstecken, geht sie in Kirchen, Moscheen und Schulen und spricht offen über das große Tabu. Das macht bei Chinenye Muogbo großen Eindruck. Die Schülerin ist 21 Jahre alt:
"Das war gut. Ich habe einiges gelernt. Ich war aber auch überrascht: Ich stand zum ersten Mal in meinem Leben jemandem gegenüber, der HIV-positiv ist."
Ihr Mann verschwieg die Krankheit
Aisha Usman infizierte sich vor mehr als 20 Jahren nach ihrer ersten Heirat. Ihr Mann, der längst verstorben ist, sprach nie über die Krankheit; zu groß war die Sorge, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Was das bedeutet, hat Aisha Usman nach seinem Tod und dem HIV-Test selbst erlebt, erzählt sie in der Aula der Womanhood Foundation School.
"Ich weiß, dass viele von Euch vor 19 Jahren noch zu klein waren. Ansonsten würdet Ihr Euch an die Bettlerin vor der Frauen-Moschee erinnern. Dort bettelte eine große, schlaksige Frau. Ich war diese Frau. Damals konnte man niemandem sagen, dass man HIV-positiv ist."
Unterstützung und Geld für Medikamente bekam die Aktivistin schließlich in einer Kirche. So entstand auch die Idee, offen mit der Erkrankung umzugehen, das Tabu zu brechen und andere Betroffene in medizinischen Fragen zu beraten. Gerade im Fastenmonat Ramadan ist das wichtig. Aisha Usman hat im Moment fünf bis sechs Treffen pro Tag mit Selbsthilfegruppen, Fernseh-Auftritte und Informationsveranstaltungen wie diese in der Schule.
Gebot der körperlichen Unversehrtheit
"Im Ramadan beobachte ich Infizierte sehr stark. Normalerweise werden sie nach dem Ramadan immer schwächer. Im vergangenen Jahr sind nach dem Fasten sogar zwei Menschen gestorben. Als ich gestern in der Stadt unterwegs war, habe ich eine Frau getroffen, die nur vier Tage lang fasten konnte. Dadurch wurde sie sehr krank."
Dabei sind Muslime, die krank sind, nicht zum Fasten verpflichtet. Es gilt das Gebot der körperlichen Unversehrtheit. Daran erinnert die Aktivistin auch Imame gerne:
"Wir sprechen mit sehr vielen Imamen. Aktuell haben wir 150 religiöse Meinungsführer ausgebildet. Diejenigen, die teilgenommen haben, sagen in ihren Predigten: Wenn Euch das Fasten gesundheitlich beeinträchtigt, dann lasst es. Es gibt andere Möglichkeiten. Man kann stattdessen einem Armen Essen geben. Auch wenn man dafür das Geld nicht hat, ist es nicht schlimm."
Doch die Freitagsgebete und Predigten reichen bisher nicht aus, um dafür Verständnis zu wecken:
"Der Imam kann sagen, was er will. Zu Hause hat der Infizierte Angst vor seinen Nachbarn und Verwandten. Wer als Erwachsener nicht fastet, muss ständig neugierige Fragen beantworten. Dieses Stigma von der Gesellschaft ist so groß, dass man sich zum Fasten zwingt."
Neugierige Fragen von Christen
Neugierige Fragen können jedoch auch von Christen kommen. Aisha Usman geht deshalb ebenfalls in Kirchen. Wie Moscheen auch bieten sie eine gute Möglichkeit, eine große Masse an Menschen zu erreichen. Nigeria gilt schließlich als tief religiöses Land. Joseph Hayab befürwortet die Aufklärungsarbeit von der Kanzel. Er ist Vorsitzender der Christlichen Vereinigung Nigerias im Bundesstaat Kaduna. Es ist der einflussreichste Dachverband der christlichen Kirchen im Land.
"Ich plädiere dafür, dass die Kirche offen über Aids spricht. Viele junge Menschen sind wegen der Stigmatisierung gestorben. Sie sind im Stillen gestorben, weil sie nicht darüber sprechen konnten. Niemand wusste es, niemand konnte sie beraten und mit ihnen über antivirale Medikamente sprechen. Deshalb leben sie nicht mehr."
Manchmal wünscht sich Aisha Usman jedoch noch etwas anderes, wenn es zu HIV und Aids kommt: mehr Pragmatismus. Den fordert sie vor allem beim Gebrauch von Kondomen ein:
"Meine Verteidigung heißt: Ich bin HIV-positiv, mein Mann ist negativ. Soll er sich jetzt etwas von mir scheiden lassen, oder ich mich von ihm? Besonders verheiratete Paare brauchen in einem solchen Fall Kondome. Andernfalls würde man sich gegenseitig infizieren. Das ist nicht ok. Wir wählen also das kleinere Übel."