"Wir verstecken uns. Wir wollen nicht auffallen unter den Japanern. Zu lange wurden wir gehänselt und gedemütigt als Ureinwohner. Nur in der eigenen Familie wissen wir, dass wir Ainu sind. Nur da finden wir unsere Identität."
Masahiro Nomoto ist eine Ausnahme. Er versteckt sich nicht. Als Direktor des Ainu-Museums in Shira-oi wäre es Unsinn, seine Herkunft zu verleugnen. Doch selbst er geht sehr zurückhaltend damit um. Anders als andere ethnische Minderheiten sei sein Volk schon lange marginalisiert worden. Die meisten Ainu schämten sich, Ainu zu sein.
"Meine Großeltern haben noch als Ainu gelebt. Ainu war ihre Muttersprache. Aber die wurde 1899 verboten. In der Schule wurde den Kindern erzählt, Ainu seien Wilde, ihr Leben primitiv. Japaner dagegen seien zivilisiert, sie sollten diesem Ideal nacheifern. Deshalb kann aus meiner Generation niemand mehr unsere Sprache sprechen."
Ainu ist eine ganz eigenständige Sprache, mit keiner anderen verwandt. Die junge Frau, die für die Besucher des Museums eine klassische Ainu-Legende singt, weiß, dass sie nur den Klang nachahmt. Und doch wird ein Zauber spürbar bei ihrem Vortrag im flackernden Schein des Feuers, um das sich eine Handvoll Neugieriger versammelt hat. In solch einer geräumigen Hütte aus Holz und Stroh hätten die Jäger und Sammler abends über Stunden hinweg den Geschichten gelauscht - über die Heldentaten ihrer Vorfahren im Kampf mit Dämonen.
Streit um die Herausgabe von Skeletten
Doch auch eine Gruppe lebender Ainu kämpft gegen mächtige Gegner. Drei von ihnen streiten seit 2012 mit der Hokkaido-Universität um die Herausgabe von Skeletten ihrer Vorfahren. Der Hintergrund: Bis 1972 haben sich Archäologen als Grabräuber betätigt und die Gebeine der Ainu zu sogenannten Forschungszwecken geplündert. Ein handfester Skandal, meint Uwe Makino, Autor eines gerade erschienenen Fachbuchs zum Thema. Doch paradoxerweise zugleich ein Grund, warum die Chancen der Kläger nach seiner Einschätzung gering sind:
"Die japanische Regierung hat beschlossen, alle Ainu-Gebeine an japanischen Universitäten, das sind über 1660, in der Stadt Shira-oi auf Hokkaido zentral zu lagern. Und auch ein neues Museum soll dort entstehen. Wenn also diese Klage durchkäme, würden wohl weitere Klagen der Ainu auf Rückgabe der Gebeine folgen und dieses Prestigeobjekt wäre in Gefahr - unmittelbar vor den Olympischen Spielen 2020."
Darin zeigt sich die Haltung der japanischen Regierung gegenüber der ethnischen Minderheit auf typische Weise: Die Ainu sollen als Teil der frühen Geschichte des Landes gewürdigt werden und als Folklore, aber nicht als lebendiges Volk, beklagt Masahiro Nomoto:
"Der Wert unserer Kultur und ihr sozialer Status, das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Unser Museum ist zwar voller interessanter Exponate, die das frühere Leben der Ainu als Jäger und Sammler zeigen, aber die Besucher schlagen keine Brücke von der faszinierenden Ainu-Kultur zu den Menschen, die sie in sich tragen. Es gibt viele Ainu-Museen, aber sie unterstützen nicht die Anliegen der Ainu."
Einer aktuellen Umfrage zufolge fühlen sich 72 Prozent aller Ainu benachteiligt. Sie haben die schlechtere Bildung, die mieseren Jobs und die meisten Kinder in Japan. Aber die Angaben besagen nicht viel. Sie basieren auf der offiziellen Zahl von 18.000 Menschen, die der offiziellen Ainu-Vereinigung angehören und von denen die Hälfte in Tokio lebt, die andere auf ihrer Heimatinsel Hokkaido. Nur sie erhalten staatliche Unterstützung.
Doch viele gehören dieser Vereinigung gar nicht an. Mitglied zu sein und damit unterstützungsberechtigt, das empfindet mancher schon als diskriminierend. Wer nicht als "Staats-Ainu" gebrandmarkt werden will, verzichtet lieber auf die Mitgliedschaft. Auch Masahiro Nomoto gehört der Vereinigung bewusst nicht an. So kommt es, dass niemand die tatsächliche Zahl der Ainu kennt, zumal sich viele über die Jahrhunderte mit Japanern gemischt haben.
Ainu verehrten den Braunbären
Historische Quellen belegen, dass sie ein auffällig friedfertiges Volk waren, das Lachse und Landtiere fing und essbare Pflanzen sammelte. Und dass der Braunbär - ein Tier von bis zu 800 Kilogramm Gewicht - in ihrer Kultur eine überragende Rolle spielt.
"Im Winter wird - sagen wir mal - eine Bärin getötet, und wenn sie Junge hat, werden die mitgenommen und aufgezogen. Wenn sie größer und gefährlicher werden, die Fangzähne und die Klauen, kommen sie in einen Käfig. Und da werden sie bis zu einem Jahr, manchmal bis zum zweiten Jahr, aufgepäppelt und verwöhnt. Und werden dann, während dieses Bärenrituals getötet."
Iomante heißt das Fest, dessen Ablauf man heute nur noch auf alten Filmen sehen kann. Die Bedeutung liegt im Aufstieg der Seele des als Gottheit verehrten Bären in den Himmel. Dort kann sie erzählen, wie sie behandelt worden ist, damit wieder Bären zu den Menschen herabsteigen. Auch Hunde, Füchse und Eulen, die den Ainu als Schutzgeister gelten, gehören zum Pandämonium der ursprünglichen Bewohner Hokkaidos.
Ihre Insel, gelegen zwischen Japan und Sibirien, verfügte über kein Metall, ihre wunderschön ornamentieren Kleidungsstücke waren aus Baumrinden gewonnen und aus Tierfellen. Sie trieben Handel mit Kaufleuten, die aus Russland oder Japan kamen, und lebten ansonsten im Schatten der Weltgeschichte. Zwar drangen schon seit dem 15. Jahrhundert immer wieder Japaner nach Ezo, wie die Insel hieß, vor. Aber erst im Zeitalter des Nationalismus, als sich Staaten gegeneinander abgrenzen wollten, wurde die dicht bewaldete Insel von Japan annektiert. Aus Handelspartnern wurden Besatzer, aus Ezo Hokkaido. Erst seit 1869 gehört die Insel, immerhin so groß wie Österreich, zu Japan, und bildet fast ein Viertel von dessen Landfläche. Für die Ainu hieß das:
"Sie haben unsere Sprache verboten, unser Land gerodet und an ihre Bauern verteilt und unsere Nahrungsgrundlagen zerstört, in dem sie uns das Fischen und Jagen untersagten. Sie haben einfach unser ganzes Leben verneint."
Ethnozid an den Ainu in Japan
Die Ainu wurden nicht systematisch ausgerottet, aber assimiliert - also unter Zwang zu Japanern gemacht, Japanern zweiter Klasse. Uwe Makino spricht von Ethnozid statt Genozid. Zugleich aber wurden sie zu Studienobjekten erklärt, für eine frühe Rasse der Arier gehalten, deren Gebeine man - so wörtlich - für die Forschung retten müsse. So kommt es, dass Ainu-Skelette nicht nur in japanischen Sammlungen auftauchen, man findet sie auch in London, Sankt Petersburg und Berlin:
"Ich war in Berlin und konnte mich persönlich davon überzeugen. Im Depot in Friedrichshagen gibt es etwa ein Dutzend Ainu-Gebeine, darunter ein vollständiges Skelett, in Einzelfällen gibt es auch Aktenstücke dazu. Die wichtigste Quelle waren japanische Mediziner, die in Berlin studierten, und dann auf Bitte ihrer akademischen Lehrer Gebeine nach Berlin schickten."
Wer weiß schon, dass eine Koryphäe wie Rudolf Virchow, der Gründer der modernen Pathologie, zum Grabraub aufforderte. Die Wissenschaftler hätten die Naivität der Ainu ausgenutzt, sagt Masahiro Nomoto:
"Wir Ainu kennzeichnen die Gräber unserer Toten nicht. Es gibt keine Friedhöfe oder Grabsteine. Nur wer dabei war, weiß, wo die Gräber liegen. Die Knochen haben für uns auch keine große Bedeutung. Bei unsere Ritualen ist es viel wichtiger, unsere Ahnen namentlich anrufen zu können über möglichst viele Generationen. Denn die ältesten unserer Vorfahren sind bereits zu Göttern geworden und können uns beschützen."
Wieder so ein Missverständnis. Auch, wenn es empörend ist, dass man die Knochen ihrer Vorfahren gestohlen hat. Sie nun in einem Skelettspeicher zu sammeln, zeugt auch nicht von tiefer Kenntnis. Ein Beinhaus, sagt Masahiro Nomoto, gehört nicht zu unserer Kultur. Aber wir Ainu werden ja nicht gefragt.