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Aiwanger (Freie Wähler) zur Endlagersuche
"Jedes Bundesland wird sagen, ich bin ungeeignet"

„Am Ende ist auch die Wissenschaft politischen Kriterien ausgesetzt“, sagte Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident in Bayern, über die Suche nach einem Atommüll-Endlager. Mit Gorleben habe man geglaubt, fast am Ziel zu sein, "jetzt geht die ganze Soße wieder von vorne los".

Hubert Aiwanger im Gespräch mit Silvia Engels |
Drei schwarze Atommüll-Fässer, wobei eines im Vordergrund in der Mitte scharf abgebildet ist, im Hintergrund zwei weitere Fässer unscharf.
"Wir müssen alle Kapazitäten darauf konzentrieren, nicht eine Million Jahre einzulagern, sondern das Zeug weiterzuverarbeiten und zu entschärfen", sagte Hubert Aiwanger im Dlf (imago stock&people / imagebroker)
Im Jahr 2017 verständigte sich die Bundesregierung darauf, mit der Suche nach einem Endlager für Atommüll noch einmal neu zu beginnen. Nicht das vor Jahren ausgerufene und immer umstrittene Endlager Gorleben in Niedersachsen sollte um jeden Preis durchgesetzt werden, sondern alle Gebiete in Deutschland sollten neu geprüft werden. Die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung legt nun einen ersten Zwischenbericht vor.
90 Standorte geeignet – Gorleben ist raus
Der Standort Gorleben kommt nicht mehr in Frage. Insgesamt nennt der Bericht rund 90 Gebiete in Deutschland, die günstige geologische Voraussetzungen haben – in Ton-, Salz- und kristallinen Gesteinsformationen wie Granit. Andere Kriterien wie die Besiedelung oder Bebauung der Regionen kamen bei der Vorauswahl noch nicht zum Tragen. Auf der Liste der BGE stehen neben Bayern andere Salzstöcke in Niedersachsen wie auch Gebiete in Baden-Württemberg sowie große Teile Ostdeutschlands.
Luftaufnahme mit einer Drohne atomaren Zwischenlager Gorleben in Niedersachsen
Die schwierige Suche nach einem Atomendlager
Wenn 2022 die letzten deutschen Atommeiler vom Netz gehen, stellt sich die Frage: An welchen Standorten kommt ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll infrage. Eine Vorauswahl will die Bundesgesellschaft für Endlagerung nun bekannt geben. Das Problem: Eine erfolgreiche Suche scheint fast unmöglich.
Blick in die Halle des Zwischenlagers Ahaus: In verschiedenen Bereichen der aus massivem Beton errichteten Halle stehen gelbe, blaue und rote "Castoren" - die Sicherheitsbehälter mit den ausgebrannten Kernbrennstäben 
Zeitbombe Zwischenlager? - Atommüll in der Warteschleife
7.000 Kubikmeter Atommüll – irgendwo muss diese Altlast aus deutschen Kernkraftwerken hin. Bei der Suche nach einem geeigneten Endlager steht Deutschland wieder fast bei Null.

Castorenbehälter im Forschungszentrum Jülich
Die Verharmlosung des Atommülls
Wird es den Menschen in einer Million Jahren noch geben? Seinen Atommüll jedenfalls schon. Dabei könnten sich die langlebigen radioaktiven Stoffe zu harmloseren "zermahlen" lassen.


Für die bayerische Regierung steht jetzt schon fest: Bayern wird es nicht. "Das zerklüftete Granit im bayerischen Wald und andere Standorte, da wurde uns bisher gesagt, sei dem nicht gewachsen, und jetzt ist plötzlich Gorleben nicht geeignet und unser Granit sei geeignet. Das eröffnet natürlich die Debatte", sagte Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Bayern, im Dlf. Er befürchtet nun, das die Frage eines geeigneten Standorts Deutschland wieder jahrzehntlang beschäftigen wird. Auch weil "jede Bundesland sagen wird, ich bin ungeeignet für diese Hinterlassenschaft."

Das Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Im Koalitionsvertrag steht bei Ihnen in Bayern, man sei überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager sei. Auf der anderen Seite gibt es aber Granitarten in Bayern, wie sie nach Meinung der Wissenschaft möglicherweise durchaus in Frage kommen. Sind Sie der bessere Geologe?
Hubert Aiwanger: Ich glaube, dass am Ende natürlich auch die Wissenschaft wieder politischen Kriterien ausgesetzt ist – siehe die aktuelle Corona-Debatte. Dort meint man auch, die Wissenschaft müsste im Detail die Dinge wissen, und weiß es eben nicht. Und jetzt geht es darum: Wir haben zerklüftetes Granit im bayerischen Wald. Der eine sagt, das könnte geeignet sein; der andere sagt, das ist ungeeignet. Ich glaube auch, dass die Wissenschaft hier wieder nicht frei von politischer Beeinflussung am Ende agieren wird.
"Jedes Bundesland wird sagen, ich bin ungeeignet"
Engels: Das heißt, man kann sich eigentlich diese angebliche Ergebnisoffenheit und den Wissenschaftsbezug sparen. Für Sie steht sowieso schon fest: Bayern wird es nicht. Das heißt, jetzt geht das Hauen und Stechen ohnehin wieder los?
Aiwanger: Das ist leider zu befürchten, dass jedes Bundesland sagen wird, ich bin ungeeignet für diese Hinterlassenschaft. Und mir graut schon ein bisschen davor, dass jetzt wieder jahrzehntelange Debatten beginnen, Bürgerinitiativen gegründet werden, Stellungnahmen der Politik abgegeben werden, Versammlungen mit Trillerpfeifen und so weiter. Leider Gottes meinte man, mit Gorleben fast am Ziel zu sein, und jetzt geht die ganze Soße wieder von vorne los und wird uns jahrzehntelang jetzt beschäftigen.
Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler Bayern
Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler Bayern (imago / Sven Simon )
Engels: "Spiegel Online" berichtet heute Früh unter Bezug auf diesen Expertenbericht, diesen Zwischenbericht, dass durchaus bayerische Standorte in diesem Zwischenbericht noch ins Auge gefasst werden. Wenn ich Sie richtig verstehe, bleiben Sie trotzdem bei Ihrem Nein?
Aiwanger: Es wird kein Politiker dieser Welt sagen, Hurra, zu mir. Ich höre, in Japan ist die Suche ja genauso, aber da haben sich schon ein paar Bürgermeister beworben, die finanziell klamm sind und sagen, wir hätten gerne den Standort, weil wir Finanzprobleme haben. Und so war es wohl auch in der Vergangenheit, dass man dann versucht, Regionen mit guten Arbeitsplätzen zu ködern und mit guten Einnahmesituationen, wie auch bei den Atomkraftwerken. Dort haben teilweise ja die Standortkommunen profitiert. Am Ende wird es auch den Versuch geben, gewisse Regionen finanziell zu ermutigen, sich doch zu bewerben, und das sei alles sicher. Und eines muss man ja sagen: Die jetzigen Zwischenlager überirdisch, die ja auch noch de facto jahrzehntelang Endlager quasi sind, darum müssen wir uns auch kümmern, dass die wirklich sicher sind. Die blenden wir derzeit in der Debatte aus. Wir haben Standorte, wenn da ein Flugzeug draufknallt, dann ist sich keiner so sicher, was da hinten passiert. Das muss man jetzt schnellstens in den Griff kriegen.
Standortsuche hat knapp zwei Milliarden Euro verschlungen
Engels: Aber andere Ministerpräsidenten anderer Bundesländer haben sich viel offener gegeben, zumindest noch einmal zu prüfen – vorneweg Winfried Kretschmann von den Grünen, der natürlich sagt, irgendwo muss der Müll ja hin, und der auch einer Prüfung in Baden-Württemberg zumindest nicht so ablehnend gegenüberstünde wie Sie. Warum sind Sie so unsollidarisch?
Aiwanger: Ob man das als Unsolidarität bezeichnen kann? – Es war schlichtweg jahrzehntelang jetzt die politische Erwartung, wir arbeiten ohnehin an einem Endlager, das schon knapp zwei Milliarden Euro verschlungen hat. Und jetzt heißt es plötzlich, dieser Standort sei ungeeignet. Das eröffnet die Debatte natürlich auch wieder ganz neu nach dem Motto, wofür haben wir hier so viel Geld reingesteckt, um dann wieder zu sagen, das passt nicht. Das macht eben Angst, dass es bei der nächsten Standortsuche genauso geht. Wir suchen jetzt bis zum Jahr 2031 nach einem Standort und dann beginnen wir zu bauen für viele Milliarden Euro, und im Jahr 2049 sagen wir dann plötzlich, nach heutigen Kriterien ist das doch wieder nicht geeignet, um 2050 dort einlagern zu können. Hier ist die Sorge, dass sich dieses Spiel wiederholt und die Wissenschaftler in 20 Jahren wieder was anderes sagen wie heute.
Engels: Der Ministerpräsident von Niedersachsen, Stephan Weil von der SPD, verweist bei der Verweigerungshaltung Bayerns darauf, dass Bayern ja wie kaum ein anderes Bundesland von der Atomkraft profitiert habe, und jetzt verweigere es umgekehrt die Verantwortungsübernahme. Wo er recht hat, hat er recht, oder?
Aiwanger: Ja, das ist natürlich ein Vorwurf, den man so in den Raum stellen kann nach dem Motto, die Bayern wollten ja immer die Atomkraft. Jetzt muss ich aber sagen, die Freien Wähler wollten die Atomkraft nie, und insofern, glaube ich, kann ich auch mit einiger weißer Weste hier sagen, liebe Leute, schaut genau hin, was hier wissenschaftlich geeignet ist. Und noch mal: Das zerklüftete Granit im bayerischen Wald und andere Standorte, da wurde uns bisher gesagt, sei dem nicht gewachsen, und jetzt ist plötzlich Gorleben nicht geeignet und unser Granit sei geeignet. Das eröffnet natürlich die Debatte.
"Einlagerung des jetzigen Zwischenmülls und der Zwischenlager wäre jetzt oberste Priorität"
Engels: Na ja. Aber bayerischen Atomstrom haben Sie natürlich auch mit genutzt. Davon hat die Wirtschaft dort auch jahrzehntelang profitiert. Die Freien Wähler waren nicht dafür, das ist richtig, aber jetzt tragen Sie die Verantwortung, und ist da nicht auch ein Anteil dieser Verantwortung, offen zu bleiben für diese Endlagersuche?
Aiwanger: Natürlich ist jetzt diese weiße Karte eröffnet worden – in meinen Augen schon ein gewisser Fehler wieder der Vorgänger-Bundesregierung, weil man damit wieder völlig auf null gesetzt hat und wieder völlig von vorne beginnt und, wenn man ganz ehrlich ist, damit auch wieder nur auf Zeit gespielt hat. Weil die, die die weiße Karte beschlossen haben, wissen ja genau, sie werden politisch nicht mehr dafür verantwortlich gemacht, wenn man 30 Jahre jetzt mal sucht oder braucht, bis es zum Endlager kommt. Die schnelle, sicherere Einlagerung des jetzigen Zwischenmülls und der Zwischenlager, die besser abzusichern, ich glaube, das wäre jetzt oberste Priorität.
"Wissenschaftler werden nicht frei von politischer Einflussnahme agieren"
Engels: Sie haben mit Umweltminister Thorsten Glauber einen Parteifreund im Kabinett in Bayern. Er hatte ja vor einigen Tagen gesagt, mit Gorleben gäbe es einen gut erkundeten Standort für ein sicheres, fast schlüsselfertiges Endlager. Das scheint laut Medienberichten jetzt vom Tisch zu sein. Nehmen wir mal an, es bleibt so, bleibt ja auch die Frage, sollte man überhaupt so reden, so vorpreschen, wenn man sich am Ende doch mit den anderen Bundesländern einigen will?
Aiwanger: Ja, das ist natürlich klar. Die Niedersachsen hatten bisher das Ding an der Backe. Damals hat man die Dinge noch anders gesehen. Da hatte man gesagt, hier ist ein strukturschwaches Gebiet an der Grenze zur DDR, dort stellt das Zeug mal hin, da kriegen wir viel Geld dafür. Jetzt hat sich die innerdeutsche Situation geändert, Gott sei Dank, und jetzt sagt man, bitte eröffnet die Debatte wieder, und die Bayern sollen es nehmen. Und jeder wird jetzt reihum sagen, was er schon hat und was er nicht nehmen will. Ein Prozess, der vielleicht am Ende leider wieder nicht zielführend sein wird, weil ich überzeugt bin, dass auch die Wissenschaftler nicht frei von politischer Einflussnahme werden agieren.
"Eine Million Jahre einzulagern, das ist ja schlichtweg nicht vorstellbar"
Engels: Das Endlager soll ja eigentlich bis 2050 in Betrieb gehen. Dahin kommt es nicht?
Aiwanger: Ich bezweifele es. Wenn man sieht, dass heute schon der Bau einer Straße, einer Umgehungsstraße 50 Jahre dauert – ob wir dann in 30 Jahren schon den Atommüll einlagern, ich glaube es nicht. Ich wäre bis dorthin 80 Jahre alt. Wenn ich noch lebe, werde ich meinen Enkelkindern mal erzählen, was wir damals debattiert haben. Vielleicht findet sich bis dorthin eine technische Lösung, dass man den Atommüll als Rohstoff für die Weiterverarbeitung benutzt und der anderweitig vernünftig entsorgt werden kann. Denn wenn man sagt, für eine Million Jahre einzulagern, das ist ja schlichtweg nicht vorstellbar und auch wissenschaftlich nicht begleitbar, was bis dorthin ist. Wir müssen eigentlich auch alle Kapazitäten darauf konzentrieren, nicht eine Million Jahre einzulagern, sondern das Zeug vielleicht irgendwie weiterzuverarbeiten und zu entschärfen.
Engels: Auf der anderen Seite bleibt dann ja, wenn ich Ihnen folge, nur die Alternative, die Zwischenlager, die ja überirdisch stehen, auch in Bayern, weiter fit zu machen und immer weiterzubetreiben. Ist das denn ernsthaft eine Alternative?
Aiwanger: In keiner Weise. Natürlich wollen wir auch die Zwischenlager geräumt haben. Aber wenn man sieht, wie momentan mit der Zwischenlagerung umgegangen wird – ich habe ja selbst eins quasi vor der Haustür im Raum Landshut. Wenn die Dinge hier noch 30 Jahre liegen sollen und jeder sagt, die sind nicht mal gegen einen Flugzeugabsturz ganz sicher, dann muss man schon den Kopf schütteln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.