Schlussspurt für Hubert Aiwanger beim Gillamoos, dem ältesten Jahrmarkt in Bayern. Der Chef der Freien Wähler steht vorne auf der Tribüne im Bierzelt und wettert gegen die Ampelregierung, gegen Kritik an Winnetou und gegen „Insektenbeimischungen beim Bäcker“. Kurz: gegen all das, was aus seiner Sicht in Deutschland alles schief und falsch läuft.
Schweiß läuft in den Kragen seines weißen Hemdes nach einer Rede, in der der Chef der Freien Wähler immer wieder Pause macht für die „Hubert“-Rufe und den Applaus seiner Anhänger. Über seine Flugblatt-Affäre, die vor neun Tagen mit Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) begonnen hat, verliert der 52-Jährige kein Wort bei diesem politischen Frühschoppen.
Aiwanger sieht „Schmutzkampagne“ gegen sich
Die Botschaft der Rede: Dieses, sein persönliches Thema ist für ihn beendet. Die 25 Fragen, die Markus Söder ihm gestellt hat, sind beantwortet, er darf bayerischer Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef bleiben.
Und nicht nur das: Auch Söder holt im Sommerinterview mit dem ZDF zur Kritik an der SZ im Speziellen und Medien im Allgemeinen auf – und greift so Aiwangers Vorwurf einer „Schmutzkampagne“ gegen seine Person auf.
Er glaube, so Söder in diesem Gespräch, „dass es auch viele Bürger gibt, die ein bisschen kritisch sind, wie der Umgang des Journalismus mit vielen Themen ist“. Er würde das sogar als „einen Teil der gesamten Debatte hier betrachten“.
Politikberater Hillje: Held eines angeblichen Konflikts
Ist Hubert Aiwanger Opfer einer Medienkampagne? Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje zweifelt an dieser Erzählung. Man könne die SZ für die Stilistik ihres ersten Seite-Drei-Artikels berichten. „Aber das halte ich für die Gesamtbewertung des Themas und auch der Vorwürfe für nebensächlich“, zieht Hillje im Deutschlandfunk Bilanz.
Hubert Aiwanger verschiebe den Fokus der Debatte von den Inhalten der Berichterstattung auf eine Diskreditierung der Berichterstattenden und führe so „im Grunde eine Medienkampagne-Kampagne“.
Darüber hinaus mache sich der Politiker „zum Helden eines angeblichen Konflikts und im Grunde Wettstreits zwischen den normalen Bürgern und den elitären Medien“, so Hillje. Das sei eine neue Form einer „Medienopfer-Erzählung“.
DJV: Aufgabe von Journalismus, kritisch zu berichten
Nach der SZ haben die meisten deutschen Nachrichtenmedien über den Fall von Aiwanger berichtet. Das Festhalten Söders an Aiwanger kommentieren die Redaktionen mehrheitlich negativ. „Sich als geerdeten und von den Medien gehetzten Menschenfreund hinzustellen, ist keine richtige Idee gewesen“, heißt es etwa in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Es sei Aufgabe von Journalismus, kritisch über das politische Spitzenpersonal zu berichten, „auch wenn das den Damen und Herren Politikern nicht gefällt“, betont Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes.
Medienethiker Schicha: Parallelen zu Trump
Parallelen zu Donald Trump erkennt im aktuellen Fall Christian Schicha, der in Nürnberg zu Medienethik und Politischer Kommunikation forscht. Denn wie schon bei Trump würde wohl auch bei Aiwanger dessen pauschale Medienkritik bei bestimmten Teilen der Bevölkerung verfangen. „Das ist ein Muster, das strategisch genutzt werden kann und das Aiwanger jetzt auch nutzt“, erklärt Schicha gegenüber dem Deutschlandfunk. „Polemik, Propaganda und Populismus sind eben Öffentlichkeitsträger.“
Tatsächlich gebe es Kampagnen. Der Medienwissenschaftler erinnert an die Berichterstattung im Fall des Prozesses gegen Jörg Kachelmann oder beim früheren Bundespräsidenten Christian Wulff – und hier an die Rolle der „Bild“. Vor allem diese Redaktion fahre seit Jahrzehnten „Kampagnen, gegen unterschiedliche Politiker, im Moment wieder gegen Habeck“. Und dieser Eindruck transportiere sich inzwischen eben auch auf Qualitätsmedien wie die SZ, so Schicha.
Wenn Medienzynismus Geschäftsmodell wird
„Ich glaube, es gibt mittlerweile mediale, aber auch politische Akteure, die den Medienzynismus zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben“, ergänzt Johannes Hillje. Als politischen Akteur sei da „zuvorderst die AfD“, die sich sowohl ihre Präsenz in Medien als auch ihre Abwesenheit von Medien zunutze machen kann. Unter den medialen Akteuren nennt der Politikberater sogenannte alternative Medien wie NIUS rund um den früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt.
Ob Hubert Aiwanger am Ende von seiner Strategie politisch profitieren werde? Diese Frage werde sich am Wahlabend entscheiden, sagt Johannes Hillje. Dann werde sich zeigen, ob die Mischung des Politikers aus Opfer- und Heldenerzählung sowie unglaubwürdiger Krisenkommunikation funktionieren kann. Und das werde sich dann auch auf die politische Kultur in ganz Deutschland auswirken, ist er überzeugt.