Burkhard Müller-Ullrich: Sie ist nicht die Royal Academy und nicht das Institut de France, sie ist weniger prächtig und weniger bedeutend, aber die Akademie der Künste zu Berlin geht auch auf königliche Ursprünge zurück. Mehr als drei Jahrhunderte ist sie alt. Während der letzten neun Jahre war Klaus Staeck ihr Präsident. Doch nach drei Amtszeiten durfte der jetzt 77-Jährige laut Satzung nicht noch mal kandidieren. So kam es gestern Abend zu einem Führungswechsel am Pariser Platz, einem Führungswechsel ohne Überraschungen, denn die beiden Favoritinnen wurden umstandslos gewählt: die deutsch-argentinische Filmemacherin Jeanine Meerapfel als Präsidentin und die österreichische Autorin Kathrin Röggla als ihre Stellvertreterin. - Frau Meerapfel, wollen Sie jetzt alles anders machen, oder soll es weiterlaufen wie bisher?
Jeanine Meerapfel: Beides. Ich will nicht alles anders machen. Ich finde eine Akademie vor, die ziemlich gut aufgestellt ist. Hier haben Staeck und Nele Hertling wirklich gute Arbeit geleistet und auch die Leute, die hier arbeiten. Das soll weiter so gehen. Es soll weiter interdisziplinäre Veranstaltungen geben. Es soll weiter so sein, dass wir unsere Stimme erheben, politisch wie künstlerisch. Und es wird vielleicht ein paar Veränderungen geben. Das muss sich aber entwickeln.
Müller-Ullrich: Kann man schon fragen, welche?
Meerapfel: Ich will ein bisschen internationaler werden. Ich möchte, dass die Akademie noch stärker sich öffnet für andere Kulturen und dass wir noch stärker an die Grenzen gehen, die problematisch sind, dass wir stärker die Stimme derer hören, die nicht das Glück haben wie wir, in einer Demokratie zu leben und Kultur und Kunst hier frönen zu können, und die Künstler von Ländern aus Asien, aus Lateinamerika, aus Afrika, aus Ländern in Europa, die nicht so viel Glück haben, auch hier zu Wort kommen lassen, stärker noch. Es ist schon geschehen, aber das möchte ich noch verstärken.
"Die Kämpfe und Auseinandersetzungen sind lange her"
Müller-Ullrich: Sagen Sie, Frau Meerapfel, haben Sie sich diesen Job gewünscht, oder haben Sie sich geopfert? Man hat ja von außen ein bisschen den Eindruck, dass viele sich drücken.
Meerapfel: Ich habe mir nicht diesen Job gewünscht, aber viele Mitglieder sind auf mich zugekommen und haben mich gebeten, diesen Job zu machen. Ich habe mich sehr gefreut über diesen Vertrauensbeweis an die Kraft meines Intellekts und meiner Führungskraft. Ich habe mich sehr gefreut. Wissen Sie, schon im Senat als stellvertretende Direktorin der Sektion Film und Medienkunst war das so, dass ich so viel gelernt habe, so viele wunderbare Menschen auch kennengelernt habe und so viele neue Dinge erfahren habe, und das gleiche erwartet mich jetzt ganz sicher in dieser Funktion, und das macht mir Freude.
Müller-Ullrich: Ein Teil der Akademiearbeit - so war es jedenfalls bisher - besteht ja immer darin, sich selbst, ich will nicht sagen, wichtig zu machen, aber die eigene Existenzberechtigung nach außen zu tragen. Die Akademie wurde sehr geschmäht als Schnarchvereinigung, es gibt immer Streit zwischen den Sektionen, den sechs Sektionen bildende Kunst, Baukunst, Musikliteratur, darstellende Kunst und Film und Medienkunst, um sie mal aufzuzählen. Worin besteht denn jetzt eigentlich Ihre Arbeit?
Meerapfel: Was Sie da sagen von den Kämpfen oder Auseinandersetzungen, das ist nun wirklich lange her. Das ist ja das Schöne an dieser letzten Ära von Hertling und Staeck, dass die es geschafft haben, dass diese Sektionen alle miteinander gearbeitet haben. Wir haben wunderbare interdisziplinäre Ausstellungen und Veranstaltungen gemacht, wie zum Beispiel "Schwindel der Wirklichkeit", was sehr toll besucht war. Diese Akademie hat sich geändert, ist sehr lebendig geworden, ist eine Arbeitsakademie geworden, und das möchte ich, bitte schön, dass es weiter so geht.
Müller-Ullrich: Da Sie die Veranstaltung ansprechen: In Berlin gibt es ja schon ein paar.
Meerapfel? Was?
Müller-Ullrich: Veranstaltungen, Kulturveranstaltungen.
Griechenland und Kuba sind Schwerpunkte
Meerapfel: Oh ja! Oh ja, sehr viele. Sehr viele. Das ist ja das Schöne an Berlin. Wir sind nun eine der Institutionen, aber sicherlich die Institution, die alle Künste und alle diese Künstler versammelt, und wir haben eine ganz andere Stimme deshalb. Wir sind auch eine öffentliche Institution, der Stolz von einem Land, das sich diese Institution leistet, und deshalb hat diese Institution eine große gesellschaftliche Verpflichtung, nämlich dahin zu wirken, wo es schief steht, und die Stimme zu erheben da, wo wir merken, es gibt Probleme in dieser Gesellschaft und wir müssen unbedingt uns damit auseinandersetzen - sei es die Frage der virtuellen Welten und der Cyber-Attacken, sei es die Frage der Geheimdienste, sei es politische Fragen. Überall da, wo wir merken, es wäre gut, wenn Künstler sich positionieren in diesen Fragen, da werden wir aktiv werden.
Müller-Ullrich: Was sind die politischen Fragen, oder sagen wir mal die zwei, die Ihnen jetzt am meisten auf den Nägeln brennen?
Meerapfel: Griechenland - ganz sicher. Da möchte ich sehr bald entweder ein Symposium oder ein langes Gespräch mit verschiedenen Künstlern. Ich möchte wissen, wie es den Künstlern dort geht in einer Situation, die wirklich sehr, sehr, sehr kritisch ist. Das ist eines der Themen.
Ein anderes Thema, was mich im Moment sehr beschäftigt, ist Kuba, die großen Veränderungen, die es erlebt. Sie merken schon, dass ich über die Grenzen von Deutschland schaue, und das wären so zwei Themen, die ich sehr bald angehen möchte.
Müller-Ullrich: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das war die Filmemacherin Jeanine Meerapfel, die Klaus Staeck an der Spitze der Berliner Akademie der Künste ablöst, zusammen mit der Schriftstellerin Kathrin Röggla, also eine Frauenquote von hundert Prozent kommt da zustande, aber nur an der Spitze. Unter den rund 400 Mitgliedern sieht es anders aus: Da gibt es weniger als ein Viertel Frauen.
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