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Akademiker im Kosovo
Mit Uni-Abschluss in den Frisörsalon

Den vielen arbeitslosen Akademikern im Kosovo steht ein Mangel an Facharbeitern gegenüber. Dem Handwerk und den Produktionsbetrieben fehlt es an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Akademikern ohne Job hilft manchmal eine Umschulung.

Von Christoph Kersting |
Zwei Frauen drehen Lockenwickler an einem Übungskopf mit Perücke ein
Frisörinnen werden im Kosovo gesucht, viele Frauen mit Masterabschluss machen deshalb eine zweite Ausbildung (Deutschlandradio / Christoph Kersting)
Bernd Baumgarten geht über das Gelände der Diakonie Kosova in Mitrovica. Er wirkt noch etwas übernächtigt, erst spät ist er mit dem Flieger aus Deutschland zurückgekommen. Der 68-Jährige lebt nicht mehr dort, sondern schon seit über zehn Jahren in Mitrovica, einer 80.000-Einwohner-Stadt im Norden des Kosovo. Hier leitet er das Trainingszentrum. Acht Gebäude stehen auf einem knappen Hektar Fläche. Es gibt einen Montessori-Kindergarten und ein psychosoziales Zentrum für Kriegstraumatisierte. Vor allem finden hier jedoch Ausbildungskurse für junge Menschen aus Mitrovica und den umliegenden Gemeinden statt.
Die Widrigkeit der Lockenwickler
In einem der holzverkleideten, einstöckigen Gebäude zum Beispiel kämpfen an diesem Morgen einige junge Frauen mit den Widrigkeiten von Lockenwicklern. Die Plastikteile sollen eigentlich auf einem Übungskopf mit Perücke eingedreht werden, wollen aber nicht so, wie sich das viele der Kursteilnehmerinnen vorstellen. Macht nichts, sagt Ausbilderin Arta Smakiqi, die den jungen Frauen zu Hand geht, erklärt, wie sie es richtig machen.
"Der Kurs hier dauert fünf Monate. Diese Frauen haben aber erst vor kurzem angefangen. Wobei einige auch schon Erfahrungen aus Friseursalons mitbringen. Die sind aber sehr lückenhaft."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Bildung im Kosovo - Versagen eines jungen Staates".
Auch Ylberina Ozturk versucht sich heute an der künstlichen Lockenpracht. Sie zählt mit 32 Jahren eher zu den Älteren hier – ist aber nicht die Einzige, die eine Ausbildung schon hinter sich hat.
"Ich habe einen Master-Abschluss in "European Policy", habe an einer privaten Hochschule in Pristina studiert. Ich bin aber auch verheiratet, Mutter von zwei kleinen Kindern und kann nicht jeden Tag zur Arbeit nach Pristina fahren. Und in Mitrovica finde ich keinen Job. Dafür müsste ich als Politologin Mitglied einer Partei sein."
Ähnlich sieht es bei Kaltryna Hasani aus, die ebenfalls Friseurin werden will - gezwungenermaßen. Die 28-Jährige hat vor sechs Jahren ihren Master in Soziologie an der staatlichen Universität Pristina gemacht – und seitdem vergeblich eine Arbeit gesucht.
Ohne Beziehungen keine Akademikerjobs
"Ohne Beziehungen läuft da gar nichts in dem Bereich, so ist das eben im Kosovo. Ich kann nur sagen: Von 100 Soziologie-Absolventen aus meinem Jahrgang haben vielleicht zwei einen Job, der mit ihrem Studium zu tun hat. Der Rest ist ins Ausland gegangen, jobbt irgendwo anders oder sitzt zu Hause herum."
Was die beiden Frauen berichten, ist laut Bernd Baumgarten symptomatisch für das gesamte Bildungswesen im Kosovo. Besonders auf die vielen privaten Hochschulen mit ihrem zweifelhaftem Ruf ist er nicht gut zu sprechen:
"Es gibt hier jetzt leider ein böses Wort: Welchen Grund gibt es, dass man die private Universität nicht beendet? Es gibt zwei Gründe: Der Eine ist, Du stirbst vorher. Der Zweite ist: Du kannst nicht mehr bezahlen. Das ist eben ein Markt, auf dem Sie Geld verdienen können, und ich kann das immer nur so hart sagen: Da werden wirklich junge Leute verarscht, die in ihre Zukunft investieren wollen und dann nach Jahren auf einmal merken: Das Diplom hat einen Wert, der tendiert gegen Null."
Friseurinnen hingegen werden gesucht, weiß die Ausbilderin Arta Smakiqi. Viele Exil-Kosovaren zum Beispiel feierten ihre Hochzeiten in der alten Heimat und seien bereit, sich die aufwändigen Brautfrisuren etwas kosten zu lassen: 200 bis 300 Euro – viel Geld in einem Land mit einem Durchschnittseinkommen von 350 Euro monatlich. Genauso gut sehen die Jobperspektiven für Klempner, Fliesenleger oder Elektriker aus. Auch die werden in fünfmonatigen Kursen im Trainingszentrum der Diakonie ausgebildet. Dafür zahlen sie einen Eigenanteil zwischen 35 und 70 Euro pro Monat.
Keine Theoretiker, sondern Praktiker gesucht
Dabei gibt es durchaus staatliche Berufsschulen, aber ihre Ausbildungskonzepte haben eben nichts mit dem Berufsalltag zu tun, bemängelt Bernd Baumgarten:
"Bei uns sind alle Trainings so, dass wir ca. 70 Prozent Praxis haben, weil wir brauchen in dem Land keine Theoretiker, sondern Praktiker. Leute, die wirklich auf den Baustellen beweisen können, dass sie ein Rohr installieren können, dass sie eine Toilette anschließen können. Das ist unser Ziel. Deshalb: Unsere Leute sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Ganz anders hier: technische Schulen. Wir haben in Mitrovica eine. Da können sie drei Jahre lang Installateur lernen, theoretisch. Die haben keine Praxisräume, die kommen dann zu uns einmal die Woche. Da helfen wir der Schule, damit die Praxiserfahrung kriegen."
All das muss die Diakonie finanzieren. Die Stadt Mitrovica wäre zwar eigentlich vertraglich verpflichtet sich monatlich mit 5000 Euro am Trainingszentrum zu beteiligen – sie zahlt aber nicht. Das Thema Bildung und Ausbildung – für Bernd Baumgarten Ausdruck eines Totalversagens von Staat und Politik im Kosovo.
"Wir bekommen vom kosovarischen Staat seit 19 Jahren kein Geld für das, was wir hier tun. Eigentlich müsste der Staat hier klar sagen: Okay, wir können das gar nicht so schaffen, insofern sind wir froh, dass wir hier einen privaten Anbieter haben, eine registrierte, anerkannte NGO, und wir unterstützen das, weil das, was die tun, dient unserer Gesellschaft. Das hilft, dass junge Leute hier im Land bleiben können, arbeiten können, ihre Familien ernähren können. Leider ist es nicht so."