Mehr als 6.000 Akademiker sind in der Türkei in den letzten zweieinhalb Jahren auf die Straße gesetzt worden, hunderte wurden vor Gericht gestellt. Per Dekret ordnete die Regierung nach dem Putschversuch im Sommer 2016 wahre Massenentlassungen von Professoren und Dozenten an, gut ein Dutzend Universitäten wurden zudem komplett geschlossen. Den meisten entlassenen Akademikern wird ideologische Nähe zur Bewegung des Erdogan-Rivalen Fethullah Gülen vorgeworfen, ohne dass dies im Einzelfall belegt wurde - mitunter reichte schon ein Konto bei der falschen Bank für die Entlassung.
Entlassen - und vor Gericht gestellt
Ein Einspruch bei der Hochschule ist nicht möglich, und auch gerichtlich sind die Entlassungen nicht anfechtbar. Die Betroffenen haben ihre Rentenansprüche verloren und dürfen nie wieder im staatlichen Sektor beschäftigt werden. Auch im privaten Sektor finden sie nur schwer neue Arbeit, weil sie als Staatsfeinde gebrandmarkt sind: Ihre namentliche Nennung in den Entlassungsdekreten ist im Staatsanzeiger nachlesbar.
Vielen ist zudem der Pass entzogen worden, so dass sie das Land nicht verlassen können. Hunderte Akademiker wurden außerdem gefeuert und vor Gericht gestellt, weil sie in einem Friedensappell die Kurdenpolitik der Regierung kritisiert hatten. Viele wurden bereits verurteilt, andere Prozesse laufen noch. Wegen angeblicher Terrorpropaganda kamen letztes Jahr auch Dutzende Studenten in Haft.
Selbstzensur und zunehmende Isolation
Über den türkischen Universitäten liegt inzwischen eine lähmende Angst, die zur verbreiteten Selbstzensur führt. Immer öfter bleiben die Plätze türkischer Wissenschaftler bei internationalen Tagungen leer, weil sie keine Genehmigung zur Ausreise bekommen haben oder weil sie es nicht mehr wagen, sich an kritischen Diskussionen zu beteiligen. Die türkische Regierung stellte kürzlich finanzielle Anreize für rückkehrwillige Akademiker in Aussicht, um den Braindrain zu stoppen, doch ohne Schutz vor Verfolgung dürfte das Angebot wenige Abnehmer finden. Türkische Akademiker im Ausland berichten, dass sie von daheim gebliebenen Kollegen und Studenten angefleht werden, ihnen zu einer Stelle außerhalb der Türkei zu verhelfen.