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Akademische Philosophie zwischen Anspruch und Erwartung

Jetzt horcht auch die akademische Philosophie auf. In dem Aufsatzband "Akademische Philosophie zwischen Anspruch und Erwartung" schreiben namhafte Philosophen, darunter Herbert Schnädelbach, Gernot Böhme und Julian Nida-Rümelin. Sie fragen nach der Bedeutung von Philosophie angesichts der Hoffnungen und Erwartungen, die an sie gerichtet werden.

Johan Hartle |
    Allzu vorurteilsbeladen und naiv sei das Verständnis von Philosophie, das sich gesellschaftlich artikuliere. Daher wird zu Beginn versucht, die Philosophie von vorphilosophischen Vorurteilen zu läutern, um dann der geläuterten Philosophie einen angemessenen Platz zuzuweisen. Herbert Schnädelbach etwa benennt zu Beginn Grundtypen sprachphilosophischer Naivität, die, wie er nachweist, selbst schon weltanschaulich sind. Und gegen Philosophie als Weltanschauung, als Lebenshilfe, wendet sich der Band einhellig. Was Arthur Schopenhauer als das "metaphysische Bedürfnis" des Menschen bezeichnete und der Philosophie zur Aufgabe machte, ist der akademischen Philosophie von heute ein Problem. So formuliert Julian Nida-Rümelin: "Philosophen können und dürfen die Rolle des Priesterstandes vergangener Zeiten nicht übernehmen."

    Der Bedeutung der Philosophie wird anderswo nachgespürt: In ganz unterschiedlichen Strategien, denn mit dieser Diskussion präsentieren sich auch unterschiedliche Philosophien. Man kann in dem Aufsatzband durchaus Einhelligkeit und Divergenz der akademischen Landschaft, des Zeitgeistes philosophischer Auseinandersetzungen kennenlernen.

    Dennoch, trotz aller Unterschiede ist ein Philosoph der virtuelle Schirmherr des Vorhabens: Sokrates nämlich. Zwei sokratische Strategien dominieren. Einerseits, eine vermittelnde Funktion des sokratische Dialogs. Es ist die Rede von der "sokratische[n] Aufgabe, Anreger und Brennpunkt der fachübergreifenden Gespräche zu sein, die die Philosophie auch gegenwärtig übernehmen sollte." Philosophie wird dabei zum supervisor und zur Schlichterin in Auseinandersetzungen von Rationalitätstypen, die sich üblicherweise nicht vereinbaren lassen. Wenn zum Beispiel die ökonomische Effizienz gegen die ökologische Verträglichkeit steht, dann habe die Philosophie auf den Plan zu treten.

    Andererseits habe die Philosophie in sokratischer Weise Formen sinnvoller Argumentation zu schulen. Das ist die zweite Rechtfertigungsstrategie der Philosophie in den versammelten Aufsätzen. Philosophie wird stark gemacht als Anstoß zum autonomen Denken, Provokation bloßen Meinens. Ganz klassisch also wäre die Philosophie Schule des Denkens, eine "elementare Kulturtechnik". Gernot Böhme sieht in ihr in diesem Sinne die Einheit des Gegensatzes von Spontaneität und Systematik des Denkens.

    Individuelle Kritikfähigkeit zu stärken und gesellschaftliche Rationalitätstypen zu vereinbaren: Das sind die zwei sokratischen Strategien, die in dem Band stark gemacht werden. Sokrates jedoch, und das markiert trotz allem den Unterschied, war der Schritt hinaus auf die Agora, ganz im Gegensatz zu den Philosophen dieses Aufsatzbandes kein Problem. Das kennzeichnet gerade seine Eigenheit, während jene Philosophen ihre noch sehr zaghaften Schritte in Richtung nichtakademische Öffentlichkeit dokumentieren.

    Im Grunde genommen möchte die akademische Philosophie die Diskussion über ihre außerakademische Bedeutung auch erst einmal mit sich selbst führen. Der Aufsatzband ist ein >Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft <, für ein nichtwissenschaftliches Publikum augenscheinlich noch gar nicht bestimmt. Diese Fixierung auf die Forschergemeinschaft enttäuscht, da sie doch vor Trivialitäten nicht schützt. Einige Bestimmungsversuche der Philosophie, einige Antworten sind gar nicht so originell. "Philosophieren" , heißt es etwa an einer Stelle "besteht in weiten Teilen darin, Argumente zu entwickeln, zu analysieren und zu prüfen."

    Was den Schritt hinaus aus dem akademisch begrenzten Rahmen betrifft, wäre da mehr möglich gewesen. Und wenn das Bedürfnis nach Philosophie, wie nicht nur der Pragmatismus lehrt, ein Krisenbewußtsein zum Ausdruck bringt, also gesellschaftliche Legitimationskrisen, dann hätte die nichtakademische Öffentlichkeit es auch verdient, daß sich die akademische Philosophie ihrer Probleme noch stärker annimmt. Aber die Sorge um die eigene Wissenschaftlichkeit scheint der gesellschaftlichen Verantwortung philosophischer Intellektueller letztendlich überlegen zu bleiben.