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Akademischer Nachwuchs
"Wie viele Wissenschaftler verträgt das System?"

An deutschen Hochschulen wird mehr wissenschaftlicher Nachwuchs ausgebildet als je zuvor. Um die oft prekären Anstellungsverhältnisse zu verbessern, plädiert Peter Funke dafür, die Stellenstruktur abzuflachen. Letztendlich müsse auch die Anzahl der Lehrenden beschränkt werden, sagte der Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft im DLF.

Peter Funke im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Ein Doktorhut
    Peter Funke: "Das Problem ist meines Erachtens nicht nur ein finanzielles, sondern vor allem auch ein strukturelles." (dpa/picture alliance/Uni Jena)
    Sandra Pfister: Ach, der wissenschaftliche Nachwuchs, die Klage darüber, dass er am Hungertuch nage und mies behandelt werde – diese Klagen, die sind so alt wie die deutsche Uni. Schon Max Weber hat geschrieben, er kenne kaum einen Beruf, bei dem der Zufall so viel mehr als die Tüchtigkeit über die Zukunft entscheide. Tatsächlich ist das ja so: Da arbeiten zwei Menschen als Forscher an der Uni jahrelang Tür an Tür, aber in Wirklichkeit trennt sie eine tiefe Kluft: Der eine oder die eine gehört zur kleinen privilegierten Kaste verbeamteter Professoren, der oder die andere ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, marschiert mit dem akademischen Fußvolk, das stets um Gnade und Verlängerung seiner Verträge flehen muss. Gerade nun hat Bernhard Kempen vom Deutschen Hochschulverband noch mal gesagt: So geht das nicht weiter. Und ihm springt Peter Funke zur Seite, Professor für Alte Geschichte in Münster und Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Guten Tag!
    Peter Funke: Guten Tag!
    Pfister: Herr Funke, jahrzehntelang war es so, dass alle möglichen akademischen Reformversuche ins Leere gelaufen sind. Die 68er-Bewegung nämlich wollte das akademische Proletariat besser stellen, die Exzellenzinitiative hat das versucht. Sie haben aber die Struktur der Hochschulen, die sehr hierarchisch ist in der Hinsicht, kaum aufbrechen können. Warum sollte das gerade jetzt gelingen?
    Funke: Es muss gelingen, weil sich die Situation durch die von Ihnen genannte Exzellenzinitiative etwa und verschiedene andere Dinge auch, die Grundsituation für den wissenschaftlichen Nachwuchs geändert hat. Wir leben in einer Situation, Gott sei Dank, muss man sagen, in der wir ein viel höheres Potenzial an hoch qualifiziert ausgebildeten jungen Wissenschaftlern haben als in früherer Zeit, die aber jetzt auch danach fragen: Wo ist meine Perspektive? Allerdings lässt es sich nicht ganz so einfach beantworten, dass man sagt, okay, die Perspektiven sind im Augenblick prekär und schlecht, also brauchen wir mehr Geld im System, um dann dieses Problem zu lösen. Das Problem ist meines Erachtens nicht nur ein finanzielles, sondern vor allem auch ein strukturelles Problem, was man grundlegend anpacken muss.
    Pfister: Da sind wir jetzt gespannt. Ich freue mich ja, wenn Sie nicht nur nach Geld rufen. Aber was muss man anpacken?
    Funke: Anpacken muss man die veränderte Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses und des sogenannten, wie es früher immer so hieß, des sogenannten Mittelbaus. Wir hatten früher einen Mittelbau, Sie haben vorhin die Struktur beschrieben, da gibt es oben den fest beamteten Professor und darunter das Prekariat, unversorgt und unbefristet. Aber es gab dazwischen eine große Schicht von Leuten – die zum Teil befristet, zum Teil auch auf unbefristeten Stellen saßen –, von Wissenschaftlern, und dieser Mittelbau ist durch viele personelle Veränderungen abgeschwächt oder sogar ganz verschwunden.
    Pfister: So was wie ein akademischer Oberrat früher?
    Funke: Etwa akademische Oberräte und so weiter. Man hat dies versucht, ja Anfang der 80er-Jahre einmal mit einem riesigen Schwung an Neuberufungen sozusagen zu beseitigen. Da hatte man ein ähnliches Problem: In den 60er- und 70er-Jahren war eine große Menge von unversorgten, jungen, hoch qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern entstanden. Dieses Problem hat man dann dadurch gelöst, dass man mit einem Schlag alle in den Professorenstand erhoben hat, die sogenannten H3-Professoren, wie die damals hießen. Damit hat man aber das Problem nur für eine kurze Zeit beseitigt und sozusagen eigentlich nach oben sogar den Flaschenhals, den wir haben im Übergang vom Nachwuchs in die Professorenschaft, eigentlich noch enger gezogen letztlich, langfristig.
    Pfister: Das wäre aber vermutlich auch so, wenn wir jetzt wieder einen festen Mittelbau etablieren würden, wieder mit verbeamteten Stellen, wo Leute dann 30, 40 Jahre sitzen.

    Die Stellenstruktur abflachen

    Funke: Ja, ganz genau. Es ist dann viel die Rede davon, dass wir viel mehr Stellen brauchen, die einen sogenannten – man bedient sich ja immer des amerikanischen ... brauchen, also eine Tenure-Track-Stelle, auf die man eingewiesen wird oder auf die man sich bewerben kann und auf die man kommt, die dann wenigstens eine Perspektive bei Bewährung hat auf Dauereinstellung. Nun ist diese Forderung immer ganz schön gesagt, aber sie muss ja irgendwo herkommen. Eine Tenure-Track-Stelle ist eine Stelle, und die muss irgendwo im Etat sein. Die kann man auch mit Projekten und mit Drittmitteln einfach nicht schaffen, sondern Tenure-Track-Stellen sind eben Stellen, die eben fest im System verankert sein müssen. Wo kommen die her? Dann kann ich nach Geld rufen. Müssen wir nicht vielleicht viel stärker unser Personalsystem in den Hochschulen, ich sage einmal, enthierarchisieren, das heißt ein Abflachen in der Stellenstruktur?
    Pfister: Das würde aber bedeuten, dass Sie oben etwas wegnehmen, oder?
    Funke: Ja, natürlich.
    Pfister: Das bedeutet, Sie wollen die Lehrstühle weniger dick ausstatten, die Professorengehälter nach unten abschmelzen. In Teilen ist das ja auch schon mit der letzten Reform versucht worden. Die sind ja schon nicht mehr so fett, sondern die sind ja auch leistungsorientiert teilweise.
    Funke: Ja, gut, das kam dann mit der sogenannten Leistungsorientierung, das war ein anderes Problemfeld, was ja nun überhaupt nicht funktioniert hat, aber Klammer zu.
    Pfister: Aber das wäre schon Ihr Anliegen, dass Sie den etablierten Professoren ans Gehalt gehen?
    Funke: Wenn wir schauen und immer wieder auf Amerika verweisen und sagen, ja, da klappt das doch, da sind viel mehr Leute mit Perspektive drin, dann haben wir eine solche Stellenstruktur. Die lässt sich von heute auf morgen nicht verändern, aber wir müssen wenigstens darüber nachdenken.
    Pfister: Haben Sie das Gefühl, da kriegen Sie Unterstützung, auch vom Deutschen Hochschulverband? Da sitzen die ganzen etablierten Professoren drin.
    Funke: Ich kann das nicht so sagen. Wir müssen uns nunmal dem Problem stellen. Ich denke, dass man das ehrlich fragen muss. Wenn wir eine neue Stellenstruktur schaffen, so gehören diese Stellen nicht immer gleich oben in die C4-, C3-Position herein, sondern wir müssen eine andere Stellenstruktur dann schaffen.
    Pfister: Jetzt ist es aber so, Sie haben das ja selber eben erwähnt, Herr Funke: Es wird viel mehr wissenschaftlicher Nachwuchs an den Universitäten ausgebildet als jemals vorher. Wo soll der hin, wenn es nicht genug Professoren oder Mittelbaustellen gibt? Es bleibt ja immer noch ein riesiger Überhang. Wo sollen die Leute hin?
    Funke: Das ist eine ganz schwierige Frage, die wir insgesamt im Wissenschaftssystem beantworten müssen. Ein Teil wird nach außen gehen, außerhalb der Universitäten, aber wir müssen uns auch im universitären Hochschulwesen und auch im gesamten Forschungswesen fragen: Wie viele, auch mengenmäßig, wie viele Mitarbeiter und Wissenschaftler verträgt das System? Die Zahl dieser Leute muss aber in irgendeiner Weise einmal zahlenmäßig auch beschränkt sein.
    Pfister: Damit wird es zu einer Selbstbeschränkung der Fakultäten. Das wird schwierig.
    Funke: Das ist eine wirklich komplizierte Frage. Aber ich glaube, dass man längerfristig wirklich einmal drüber reden muss, denn wir übernehmen ja die Verantwortung für die nachwachsenden Generationen.
    Pfister: Viele Denkanstöße von Peter Funke, dem Vizepräsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ganz herzlichen Dank für die Denkanstöße!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.