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Akgün: Wir müssen den Opferschutz verbessern

Die türkische Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates hat ihre Anwaltskanzlei geschlossen, weil sie sich fortwährend Bedrohungen durch Verwandte ihrer türkischstämmigen Mandantinnen ausgesetzt sah. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün plädierte aus diesem Anlass für einen besseren Opferschutz bei Fällen von häuslicher Gewalt. Gesetzesänderungen seien dafür nicht nötig, so Akgün.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Seyran Ates hat ihren Traumberuf an den Nagel gehängt, weil er zum Albtraum wurde. Die 43 Jahre alte Rechtsanwältin hat ihre Kanzlei aufgelöst und ihre Anwaltszulassung zurückgegeben und dies mit der Sorge um ihr Leben und das ihrer kleinen Tochter begründet. Sie war immer wieder von Ehemännern und Verwandten ihrer zumeist türkischstämmigen Mandantinnen angefeindet und bedroht worden. Frau Ates hatte ihre Berufsleben lang versucht, dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes Geltung zu verschaffen. Jetzt reicht es ihr.

    Politikerinnen und Politiker vieler Parteien bedauern ihre Entscheidung. Stellvertretend für andere eine Stimme der Grünen: Es sei bestürzend, wenn eine mutige Kämpferin für die Rechte von Frauen aufgibt, weil sie sich nicht mehr genügend geschützt fühlt. - Am Telefon ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Guten Morgen!

    Lale Akgün: Guten Morgen!

    Heinemann: Frau Akgün, was ist bestürzender, Frau Ates' Rückzug oder die Tatsache, dass es einer mutigen Kämpferin für die Rechte türkischer Frauen in Deutschland überhaupt bedarf?

    Akgün: Das ist eine gute Frage. Es bedarf immer mutiger Kämpferinnen für die Rechte von Frauen. Ich glaube wir müssen uns eingestehen, dass die Rechte der Frauen noch nicht in allen Bereichen gleichermaßen durchgesetzt sind. Dass die Frau Ates sich zurückzieht, finde ich auch sehr bedauerlich, muss aber gleichzeitig sagen - ich habe ja selbst vor 20 Jahren in dem Bereich gearbeitet als Diplompsychologin -, dass Frauen und Männer, die im sozialen Bereich arbeiten, immer wieder Bedrohungen ausgesetzt sind, die in Frauenhäusern arbeiten, im Sozialamt arbeiten. Sie werden bedroht, sie sind immer wieder Beleidigungen ausgesetzt. Ich glaube, dass das immer wieder gerade von den Männern als eine Zumutung erlebt wird, dass sich jemand Fremdes in ihre Angelegenheiten einmischt.

    Heinemann: Nun scheint das insbesondere im Umgang mit türkischen Männern geradezu die Regel und nicht die Ausnahme zu sein, wenn man Frau Ates Glauben schenken darf?

    Akgün: Nun hat Frau Ates natürlich in einem bestimmten Segment gearbeitet und hat vor allem türkische Männer gesehen. Wenn Sie sich das allgemein anschauen, dann werden Sie sehen, dass in allen Segmenten die Männer das Gefühl haben, dass ihnen zu nahe getreten wird, ähnlich reagieren mit Morddrohungen kommen, sagen sie würden die Frau umbringen, sie würden den Sozialarbeiter umbringen, sie würden alle umbringen.

    Heinemann: Für Sie gibt es da keinen großen Unterschied zwischen türkischen und deutschen Männern?

    Akgün: Ich glaube es gibt graduelle Unterschiede, aber keine prinzipiellen würde ich sagen.

    Heinemann: Wie sehen die graduellen Unterschiede aus?

    Akgün: Die sehen so aus, dass türkische Männer schneller ausrasten als die deutschen Männer.

    Heinemann: Ein Ergebnis dieses Rückzuges wird sicherlich sein, dass Frauen und Mädchen jetzt eingeschüchtert sind. Sehen Sie das auch so?

    Akgün: Nein, das würde ich nicht so sehen. Ich glaube, dass Frauen und Männer sich von dem Rückzug einer einzelnen Kollegin, so bedauerlich das ist, nicht eingeschüchtert fühlen. Wenn Sie sich die Zahlen von scheidungswilligen Frauen anschauen, auch türkischen Frauen: die Zahlen nehmen rasant zu.

    Heinemann: Aber Frau Ates war eine Symbolfigur. Hat das nicht doch Ausstrahlung?

    Akgün: Ich würde sagen nicht in den privaten Bereich. Ich glaube das muss man sich folgendermaßen vorstellen: Frau Ates war sicherlich eine gute Scheidungsanwältin, aber wenn im privaten Bereich die Leute das Gefühl haben, es geht nicht mehr, dann werden sie das tun, was sie für richtig halten.

    Heinemann: Frau Akgün, "straffällige Ausländer raus, und zwar sofort", hat einst ein SPD-Politiker gefordert, der dann Kanzler wurde und jetzt in Gas macht. Müsste man die Strafen für häusliche Gewalt oder für Gewalt von Familienmitgliedern erhöhen?

    Akgün: Wir haben gute Gesetze an der Stelle. Da glaube ich müssen wir nichts ändern. Was wir allerdings verbessern müssen ist der Opferschutz.

    Heinemann: Inwiefern verbessern?

    Akgün: Es ist folgendermaßen: Wenn Frauen sich an die Polizei wenden und sagen, mein Mann bedroht mich, dann sagt die Polizei, sie könne erst etwas tun, wenn er etwas getan hat. Nur Drohungen reichen nicht. Wenn Frauen die Polizei rufen oder andere Außenstehende den Lärm in einer Wohnung hören und die Polizei rufen, die Polizei kommt, die Frau macht auf, sichtbar zusammengeschlagen und sagt, das ist nur privat, muss die Polizei wieder davonziehen. An der Stelle wünsche ich mir eigentlich einen größeren Opferschutz.

    Heinemann: Seyran Ates hat einmal gesagt, Berlin-Kreuzberg sei bunt, weil die Deutschen dort bunt seien. Die türkische Kultur sei grau. - Wer hat sich da was vorgemacht?

    Akgün: Keiner. Ich glaube das ist ihre subjektive Wahrnehmung gewesen. Schauen Sie auch da ist es so: Wenn Sie in einem bestimmten Segment arbeiten und sehen immer nur geschundene Frauen, Frauen, die raus wollen, dann haben sie mit der Zeit das Gefühl, dass die ganze Welt grau wird. Aber es gibt eben auch viele Menschen, die in intakten Ehen leben, die keine Probleme haben. Wie gesagt: Ich habe selbst in dem Bereich gearbeitet. Wenn Sie im sozialen Bereich arbeiten, sehen Sie die Welt bald wirklich nur noch grau. Es hat sich keiner etwas vorgemacht. Ich lebe selbst nicht in Kreuzberg. Wenn Kreuzberg bunt ist, dann denke ich ist das beiden Seiten zu verdanken, sowohl der deutschen als auch der türkischen.

    Heinemann: Frau Akgün, welche Lehre ziehen Sie aus dem Fall Ates für die Bedingungen künftiger Zuwanderung?

    Akgün: Gar keine! Ich glaube das, was Frau Ates macht, wenn sie sich zurückzieht, oder wenn es im privaten Bereich Menschen gibt, wo es Probleme gibt, wenn die sich scheiden lassen, hat mit der Frage der Zuwanderung gar nichts zu tun. Daraus will ich überhaupt keine Lehren ziehen wollen. Auch zum Beispiel das gerade zu verbinden finde ich problematisch. Wenn jetzt einige hingehen und sagen zum Beispiel, daraus müssten wir die Lehre ziehen, dass das Nachzugsalter für Ehefrauen auf 21 hochgesetzt wird, dann muss ich Ihnen sagen ist das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Wir müssen gleiches Recht für alle gelten lassen. Wenn wir sagen, das Ehealter setzen wir für alle auf 21 hoch, ist das in Ordnung. Ansonsten können wir aus solchen Vorkommnissen für die Zuwanderung keinerlei Konsequenzen ziehen.

    Heinemann: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Akgün: Auf Wiederhören!