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AKP-Politiker zur geplanten Immunitätsaufhebung
"Es geht um den politischen Arm einer terroristischen Organisation"

Wenn es um die Nähe der türkischen Kurden-Partei HDP zur Terrororganisation PKK gehe, werden in Deutschland Tatsachen ausgeklammert, kritisierte der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu im DLF. Mit der geplanten Aufhebung der Immunität von Abgeordneten solle trotzdem nicht die HDP als Partei angegriffen werden. Ein Parteiverbotsverfahren sei die Alternative gewesen.

Mustafa Yeneroğlu im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Mustafa Yeneroglu (AKP), Abgeordneter der Großen Nationalversammlung der Türkei und Ex-Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs.
    Mustafa Yeneroğlu, AKP-Politiker und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments (imago / Jürgen Heinrich)
    Bei einer Vor-Abstimmung im türkischen Parlament hatte eine deutliche Mehrheit für die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten gestimmt. Die nötige Zweidrittelmehrheit wurde im ersten Anlauf allerdings nicht erreicht. Die endgültige Abstimmung über den Gesetzentwurf der Regierungspartei AKP findet am Freitag statt. Der Antrag richtet sich vor allem gegen die pro-kurdische Partei HDP. 50 ihrer 59 Abgeordneten soll zumeist wegen Terrorvorwürfen die Immunität entzogen werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Bereits mehrfach war es im türkischen Parlament zu Tumulten und Handgreiflichkeiten gekommen. Der Grund: Seit gestern beraten die Parlamentarier darüber, ob Dutzenden Abgeordneten - die meisten davon sind Mitglied der Kurden-Partei HDP - die Immunität entzogen werden soll. Ihnen werfen die Behörden teils Terrorismus vor.
    Um den Entzug der Immunität leichter möglich zu machen, will die regierende AKP die Verfassung ändern. Gestern wurde die Debatte eröffnet und es gab auch bereits eine erste Abstimmung.
    Legitimes Vorgehen oder ein Vorgehen, das die Demokratie aushöhlt? Darüber kann ich jetzt sprechen mit Mustafa Yeneroglu von der AKP, von der Regierungspartei. Er ist außerdem Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments. Schönen guten Tag, Herr Yeneroglu.
    "Eine kollektive Bestrafung vermeiden"
    Mustafa Yeneroglu: Guten Morgen.
    Heckmann: Herr Yeneroglu, HDP-Chef Demirtas, der sagt, die HDP solle mundtot gemacht werden, und spricht von einem totalitären Angriff auf die Demokratie. Auch vonseiten Europas gibt es deutliche Kritik. Da ist ein offener Brief auf dem Weg. Scheut die AKP kein Mittel, um die kurdische Opposition klein zu machen?
    Yeneroglu: Meiner Meinung nach geht es gar nicht hier um die kurdische Opposition, sondern um den politischen Arm einer terroristischen Organisation der PKK, wenn überhaupt, und da wollen wir insgesamt auch nicht die HDP als Partei angreifen, sondern wir wollen gerade hier die Demokratie stärken und die politische Willensbildung schützen. Ansonsten käme nämlich ein Parteiverbotsverfahren als Alternative in Frage und darum geht es nicht.
    Es geht darum, das mildeste Mittel in einer freiheitlichen Demokratie anzuwenden und da den Strafvorwurf individuell zu klären, um damit eine kollektive Bestrafung zu vermeiden. Im Ergebnis werden sowieso unabhängige Gerichte jeden einzelnen Strafvorwurf individuell klären.
    "Es gibt eine Verharmlosung in Deutschland, wenn über die HDP diskutiert wird"
    Heckmann: Sie sprechen von einem moderaten Mittel, Herr Yeneroglu. Aber wie glaubhaft ist es denn, dass wirklich 50 von 59 HDP-Abgeordneten den Terrorismus unterstützt haben sollen?
    Yeneroglu: Diese Frage steht erst mal nicht im Raum. Zum einen geht es sowieso nicht darum, dass sämtliche 50 Abgeordnete der HDP den Terrorismus unterstützt haben sollen. Ich muss aber deutlich machen, dass vieles in Deutschland auch leider ausgeklammert wird. Sie sprachen eben auch von der prokurdischen HDP. Bei einer anderen Partei zum Beispiel, bei der MHP, spricht man nicht von einer protürkischen Partei, sondern von einer nationalistischen Partei.
    Es gibt eine Verharmlosung in Deutschland, wenn über die HDP diskutiert wird. Es gibt auch leider eine Ausklammerung von Tatsachen, insbesondere wenn es um den Zusammenhang mit der PKK geht. Es wird zum Beispiel in der deutschsprachigen Presse nicht darüber berichtet, dass zuletzt die HDP-Abgeordneten im Parlament mit PKK-Märschen durch das Parlament gingen und den PKK-Führer heroisiert haben oder darüber hinaus andere Abgeordnete der HDP, die auf frischer Tat erwischt wurden, während sie als Waffenkurier für die PKK dienten mit Granatwerfern, Maschinengewehren, Handgranaten im Auto.
    "Starker Zusammenhang zwischen PKK und HDP"
    Oder andere, die zum Beispiel bei einer Beileidsbekundung von Terroristen gewesen sind, die gerade einige Tage vorher in Ankara über 30 Menschen in die Luft sprengten, oder zum Beispiel Demirtas, von dem Sie eben sprachen, der in Europa eine ganz andere Sprache spricht als in der Türkei. Nachdem er vor einigen Wochen den Bundestagspräsidenten, Herrn Lammert, und den Außenminister besucht hat, nachdem er in der Türkei war, hat er sofort einen PKK-Verstorbenen, einen getöteten PKK-Führer, die Familie von ihm besucht und seine Beileidsbekundung gegeben.
    Da ist der Zusammenhang zwischen der PKK und der HDP so stark, und ich wundere mich tatsächlich darüber, warum gerade diese Punkte, die das deutlich machen, in der deutschsprachigen Presse meistens ausgeklammert werden.
    !!Heckmann:! Und deswegen sind wir ja auch mit Ihnen zum Interview verabredet, um auch der Position der regierenden AKP hier in Deutschland Raum zu geben und darüber zu diskutieren.
    Yeneroglu: Das freut mich auch.
    Heckmann: Deswegen ist es schön, dass wir Sie hier im Programm haben. - ich halte fest: Sie halten die HDP für einen verlängerten Arm der verbotenen PKK, die ja auch in Europa als Terrororganisation gelistet wird. Normalerweise müsste aber über jeden einzelnen Fall ja entschieden werden. Präsident Erdogan, der wollte das aber beschleunigen, deshalb diese Verfassungsänderung. Glauben Sie denn, dass dieses Vorgehen überhaupt verfassungsgemäß ist?
    Yeneroglu: Zum einen: Nicht Präsident Erdogan wollte das. Bis vor einigen Monaten wollten das alle Parteien gemeinsam. Auch HDP-Abgeordnete haben immer wieder dafür plädiert. Zum zweiten: Auch diesen Antrag eingebracht haben gemeinsam alle Parteien im türkischen Parlament, außer der HDP. Übrigens war die CHP, die neuerdings als sozialdemokratische Partei gepriesene Partei, auch dabei.
    Jetzt haben sie aus welchen Gründen auch immer ihr Stimmverhalten gestern bei der Wahl verändert. Das müssen sie dem türkischen Volk erklären. Die andere Frage ist, dass Staatspräsident Erdogan natürlich hierzu auch seine Position immer wieder eingebracht hat.
    Heckmann: Er hat ja auch dazu aufgerufen, die Immunität aufzuheben. Ich verstehe, dass Sie differenzieren wollen, aber Erdogan ist natürlich auch ein wichtiger Player. - Die Frage war jetzt, verfassungsgemäß ja oder nein.
    Yeneroglu: Noch mal bitte.
    HDP bestreitet nicht, dass sie "verlängerter Arm der PKK ist"
    Heckmann: Die Frage war, wie verfassungsgemäß ist dieses Vorgehen. Die HDP sagt nein, das verstößt gegen die Verfassung. Sie sind anderer Ansicht?
    Yeneroglu: Verfassungsgemäß wird sie dann, wenn sie in die Verfassung demnächst aufgenommen wird, und dann wird die Frage vom Verfassungsgericht geklärt. Wir gehen natürlich davon aus, dass das verfassungsgemäß ist.
    Heckmann: Sollten Sie eine Mehrheit für die Aufhebung der Immunität bekommen, was passiert denn eigentlich dann mit den Abgeordneten? Werden die dann alle verhaftet?
    Yeneroglu: Nein! Diese Frage stellt sich zumindest uns nicht. Diese Frage hat das Justizwesen zu klären. Ich gehe davon aus, dass zunächst der Strafvorwurf geklärt wird und Abgeordnete aufgrund auch ihres Status und ihrer Position in der politischen Willensbildung erst mal nicht verhaftet werden. Aber diese Frage stellt sich im Moment erst mal nicht.
    Auch stört die Fokussierung auf die HDP in dem Zusammenhang. Zum einen sind es CHP-Abgeordnete, die die meisten darstellen, und darüber hinaus sind auch 27 AKP-Abgeordnete betroffen.
    Und übrigens: Sie sprachen eben davon, dass die HDP bestreiten würde, dass sie verlängerter Arm der PKK ist. Das tut sie überhaupt nicht.
    Wenn es zu Unruhen kommt, "dann ist die HDP verantwortlich dafür"
    Heckmann: Gut. Da habe ich andere Zitate gelesen. - Um dennoch noch mal die HDP zu nennen: Sie stört die Fokussierung darauf. Dennoch wären ja 50 von 59 Abgeordneten betroffen. Das müssen wir noch mal festhalten.
    Yeneroglu: Ja, aber 51 von der CHP zum Beispiel.
    Heckmann: Wenn die jetzt alle verhaftet würden beispielsweise, dann müsste es ja Nachwahlen geben. Versucht Ihre Partei, die AKP, dadurch die bei den letzten Wahlen verfehlte Zwei-Drittel-Mehrheit doch noch zu erzielen, um anschließend ein Präsidialsystem durchzusetzen?
    Yeneroglu: Dann müsste man ja davon ausgehen, dass die HDP in den Orten, wo sie die Wahlen für sich entschieden hat, diesmal eine große Niederlage erleiden wird, und davon wird die HDP sicherlich nicht ausgehen wollen. Von daher schließt sich das aus. Ansonsten heißt es nicht, dass 50 Abgeordnete sofort verurteilt werden und damit ihr Abgeordnetenstatus entzogen wird. Das ist ein Prozess, der noch einige Jahre möglicherweise dauert. Das muss man wissen.
    Heckmann: Letzte Frage zum Abschluss mit Bitte um eine kurze Antwort. Wenn diese Immunität aufgehoben wird, dann hat HDP-Chef Demirtas gesagt, dann könnten Unruhen ausbrechen. Ist das zu befürchten aus Ihrer Sicht?
    Yeneroglu: Er selbst würde dabei eine sehr große Rolle spielen. Das hat er auch vor zwei Jahren gemacht, nachdem in Syrien der Konflikt aufgeflammt ist, und in den nächsten Tagen, nachdem der HDP-Chef Demirtas dazu aufgerufen hat, sind 52 Menschen gestorben. Wenn es wieder dazu kommt, dann ist die HDP verantwortlich dafür, und das sagt sehr deutlich, welche Nähe sie zur PKK hat.
    Heckmann: Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments, Mustafa Yeneroglu war das von der regierenden AKP. Herr Yeneroglu, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Yeneroglu: Danke auch! Einen schönen Morgen noch.
    Heckmann: Wünsche ich Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.