"Das Neue bei Genscher ist, dass er nun im Auswärtigen Amt eine regelrechte PR Strategie entwickelt, die eben über die Informationstätigkeit hinaus langfristig angelegt war und mit den Schlagworten Personalisierung, Privatisierung und Entertainisierung von Außenpolitik bezeichnet werden kann."
Was heute längst nichts mehr Besonderes ist, wurde von Genscher und seinem Pressestab systematisch entwickelt.
"Beispielsweise bei der Weltmeisterschaft 1974 hat er US Außenminister Kissinger eingeladen mit ihm ein Spiel in Dortmund anzuschauen und hat ihm da medienwirksam einen seiner berühmten gelben Pullunder selbst gestrickt von seiner Mutter überreicht als Gastgeschenk und das hat natürlich zu entsprechender Medienberichterstattung geführt."
Dauerpräsent in den Radio-Morgensendungen
Genscher tauchte jetzt auch regelmäßig als Gast in Unterhaltungsshows der Fernsehprogramme auf. Aber wirklich dauerpräsent war er in den Morgensendungen der Radioprogramme. Durch die neuen Privatsender im Fernsehen veränderten auch die Öffentlich-Rechtlichen ihre Programmstruktur gerade auch mit Morgenmagazinen im Radio.
"Und so ist die Veränderung der Medienlandschaft die Grundvoraussetzung für die PR-Strategie des Auswärtigen Amts die dann einsetzt. Das heißt, Genscher bedient vor allem den Hörfunk in den Morgenmagazinen mit seinen Interviews, während er das Fernsehen in den Abendprogrammen bedient und insofern in beiden Medien zur prime time präsent ist."
Genscher wird zum Medienphänomen. Selten vergeht ein Tag, ohne dass man ihn im O-Ton hört. Dabei sagt er inhaltlich meist so gut wie nichts, das aber für die Journalisten in perfekten Sendehäppchen.
"Was beispielsweise von vielen Journalisten immer anerkennend betont wurde ist, dass Genscher druckreif formulieren konnte auf die knappe Sendezeit einer Radiosendung oder Fernsehsendung sein Statement zu formulieren, was es natürlich den Journalisten einfach machte, weil sie nicht großartig schneiden mussten."
Beziehungsweise nicht durften. Denn dafür dass er gerade bei den Morgensendungen bereitwillig auftrat, machte Genscher es den Sendern zur Auflage, seine Aussagen nicht zu kürzen. Dann aber kam die politische Wende, die FDP machte einen Schwenk von der SPD zur CDU und dadurch Helmut Kohl zum Kanzler. Genscher blieb Außenminister, aber seine Popularitätswerte brachen dramatisch ein. Also musste Genschman ran.
Comicfigur Genschman
Genschman, eine Comicfigur, die ähnlich wie Batman die Welt rettet, war von der Satirezeitschrift Titanic ins Leben gerufen worden. Ausgestattet mit übergroßen Segelohren jettete Genschman um die Welt. Die Figur wurde ein Riesenerfolg. Plötzlich gab es Genschman T-Shirts, Feuerzeuge, Anstecknadeln, Schallplatten. Ein regelrechter Genschman-Kult entstand. Doch offenbar waren nicht die Satiriker die Urheber der Idee, die kam nämlich direkt aus dem Auswärtigen Amt, erklärt Agnes von Bressensdorf.
"Diese Comicfigur des Genschman die in Anlehnung an Batman erfunden wurde, geht auf eine Initiative des ehemaligen Pressesprechers des Auswärtigen Amtes Reinhard Bettzuege zurück, der Ende der 80er Jahre auf die Satirezeitung Titanic zugegangen ist und diese Idee angestoßen hat und daraufhin wurde diese Comicfigur entworfen."
Erst sehr spät merkte das Auswärtige Amt, was es angerichtet hatte. Die Satiriker ließen Genschman gegen den "Club der Superverbrecher und Usurpatoren" antreten, kurz CSU. Die größten Weltverbrecher im Genschman-Universum hießen Waigel und Stoiber. Schließlich musste das Auswärtige Amt zugunsten ihres Koalitionspartners zurückrudern und sich von der eigenen Genschman-Idee distanzieren. Vermutlich hatte man im Auswärtigen Amt bitterböse Briefe aus München erhalten. Wer jedoch genau wissen will, wie die CSU damals dem Genschman den Garaus machte, muss sich noch etwa fünf Jahre gedulden. Dann erst werden die Akten im Streit der Diplomaten rund um Genschman für die Öffentlichkeit zugänglich sein.