"Die drei vier Millimeter länger lassen als das Muster, dass man das nachher einschleifen kann ... gut prima ..."
Geduldig erklärt Alexander Merz, Orthopädie-Schuhmeister im baden-württembergischen Albstadt, was zu tun ist. Die 20-jährige Charlotte Stanke schaut aufmerksam zu, greift Augenblicke später selbst zur Schere:
"Ich habe die Sohle zugeschnitten für eine orthopädische Schuheinlage."
"Ich war bei einer Laufanalyse und einer Haltungsanalyse der Versuchspatient. Und es ist schon cool, wie High-Tech das alles ist. Ich habe überhaupt nicht gedacht, dass das so modern ist in diesem Beruf."
Wieder was dazugelernt, wie fast an jedem Tag. Denn seit Anfang August touren Charlotte Stanke und der 19-jährige Marvin Möller quer durch die Republik, von Handwerksbetrieb zu Handwerksbetrieb, derzeit absolvieren sie, zählt Charlotte,
"…das 35. Praktikum. Das war so eine Art Stellenausschreibung vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Zwei junge Menschen gesucht, ein Männlein, ein Weiblein, 18 bis 20, Führerschein und Lust auf die Aktion. Und wir machen quasi dann 44 Kurzpraktika ausschließlich in Handwerksberufen."
Das klingt rekordverdächtig – und deshalb hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks die ganze Aktion auch "Rekordpraktikanten" genannt.
Geeignete Betriebe für Praktika zu finden, war kein Problem
"Wir waren beim Dachdecker, beim Buchbinder, beim Ofenbauer, beim Maler, beim Bootsbauer …"
Die Liste der Berufe, in die die beiden hinein geschnuppert haben, ist ziemlich lang. Geeignete Handwerksbetriebe für die Praktika zu finden, war kein Problem. Alexander Merz:
"Die Idee fand ich super spannend: Für die zwei Praktikanten und für uns stellt sich ja die Frage: Was müssen wir bieten, um unseren Beruf, die Orthopädieschuhtechnik da möglich interessant zu machen? Denn das ist ja unser Bestreben, möglichst viele junge Leute für unser Handwerk zu gewinnen. In der heutigen Zeit des Fachkräftemangels wird das immer schwieriger."
Und darum geht es bei den 'Rekord-Praktikanten', so Alexander Merz: Wie können Handwerksbetriebe Jobs so attraktiv gestalten, dass sich junge Leute dafür begeistern? Und wie kommt die Arbeit im Handwerk bei jungen Menschen an, die gerade die Schule verlassen haben?
Marvin Möller hat während der bisherigen Praktika viele Vorurteile über Bord geworfen.
"Das merkt man eben, auch wenn man die Berufe eben selber macht. Man kann einfach nicht sagen, dass die Leute, die zum Studieren gehen, schlauer sind als die, die im Handwerk sind. Im Handwerk muss man ordentlich was in der Birne haben, damit eben alles so passt."
Geschäftsinhaber Alexander Merz nickt zustimmend – und erzählt den beiden Rekord-Praktikanten, wie spannend sein Berufsalltag ist:
"Inzwischen haben wir in unserem kleinen Betrieb mit fünf Mitarbeitern fünf Rechner, dann kommt ein Scanner dazu. Dann kommt die 3-D-Messtechnik dazu. Man entwickelt sich immer weiter. Man muss schon ein kleiner Informatiker sein…."
Und ein kleiner Manager noch dazu:
"Auch die wirtschaftliche Komponente habe ich mir jetzt über den Betriebswirt des Handwerks angeeignet, dass ich nicht nur die technische Ausbildung habe, sondern auch die wirtschaftliche…"
Manchmal ist so ein Praktikum im Handwerk ganz schön anstrengend. Das haben Charlotte Stanke und Marvin Möller am eigenen Leib erfahren:
"Wir waren manchmal schon auf Baustellen, wo wir richtig lange waren. Zum Beispiel beim Tischler. Das war ein Tag, an dem ich vier oder fünf Stunden Fußleisten am Stück angebracht habe, wo meine Knie dann auch tatsächlich weh taten und blau waren."
Marvin Möller: "Da, wo man danach am meisten Schmerzen hatte, war beim Bootsbauer. Da haben wir den ganzen Tag geschliffen. Und dann haben wir Lack abgekratzt. Und danach tun die Finger schon gut weh."
"Die Menschen werden kleiner gen Süden"
"Du hascht Deinen Kamm in der Ferienwohnung vergessen. Der liegt im Briefkaschten drin, da kannscht ihn abhole."
Heute ist mal Schwäbisch dran: Das Kennenlernen der unterschiedlichen Dialekte im Land, ja überhaupt der wesentlichen Unterschiede zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West, ist ebenfalls eine Art 'Lernerfolg'. Charlotte Stahnke:
"Was bei Marvin auffällt, er ist ja 1,94 Meter groß, ist, dass die Türen, je weiter wir in den Süden kommen, immer kleiner werden: Also in der Dusche kann er hier meistens nicht mehr aufrecht stehen, weil die viel zu niedrig ist. Die Menschen werden kleiner gen Süden. Das ist uns aufgefallen ..."