Irgendwo zwischen Kriegsbemalung, Aschermittwoch und Kindergeburtstag, so sehen die Gesichter der Mitstreiter des Zentrums für politische Schönheit aus, von denen drei auf der Bühne der Gorki Theater sitzen: Schwarze Rußflecken auf Wangen und Stirn, so als seien sie aus der Hölle der katastrophischen Gegenwart zu uns gekommen, wie es Zentrumschefs Philip Ruch gerne verstanden haben will. Hier, im Gorki-Theater, wird eine sogenannte Pressekonferenz zur neuen Aktion des Zentrums veranstaltet, als Kopie des Vorbilds aus der Politik: Schlanke Mikrophone auf hellem Holzpodium vor blauer Wand; Schriftzug mit Schattenwurf: "Bundeserpresserkonferenz".
Kalkulierte Eskalation
Auch sonst operiert das Zentrum gerne mit Wortspielen: "Not und Spiele" heißt die neue Aktion im Untertitel, mit der die Politkünstler erneut auf das Elend der Flüchtlinge hinweisen wollen. Sie fordern in kalkulierter Eskalation die Bundesregierung auf, einen vom Zentrum für politische Schönheit crowdgefundeten Flug mit Flüchtlingen von Izmir nach Berlin zu genehmigen. Ein Video in Werbeästhetik, das auch auf der Webseite der Gruppe zu sehen ist, wird auf eine herabfahrende Leinwand projiziert:
"Spenden sie, damit am 28. Juni 2016 einhundert Menschen über eine sichere Luftbrücke aus der Türkei nach Deutschland kommen können. Machen Sie den Schleppern das Geschäft kaputt."
Sollte die Regierung die Flugerlaubnis verweigern, will man Bundespräsident Gauck dazu bringen, das Parlament zu einer Sondersitzung aufzufordern, auf der ein Paragraf des Aufenthaltsgesetzes gestrichen werden soll, der Fluggesellschaften und andere Transportunternehmen hart bestraft, wenn sie Passagiere ohne gültige Einreisetitel in die EU transportieren.
"Die EU verbarrikadiert den Schutzbedürftigen alle Wege, so dass diese keine andere Wahl haben, als ihr Leben zu riskieren. Wir haben unsere Flüchtlinge eben lieber zu Fuß oder schwimmend."
Für den wahrscheinlichen Fall, dass sich die Politik nicht erpressen lässt, sucht das Zentrum nach Freiwilligen mit Flüchtlingsstatus, die sich bereit erklären, quasi aus lauter Verzweiflung, sich von vier Tigern fressen zu lassen.
"Die Politik spielt Theater: mit Leben und Tod"
"Wir suchen Menschen, die bereit sind, ihren Körper für etwas Höheres, für die Rettung unsere Ideale aufzusetzen. Wir haben die Barbarei ins europäische Recht gelassen, und die Politik spielt Theater: Mit Leben und Tod. Das sollte sich nicht mehr ungesehen von der libyschen Küste abspielen, sondern hier im Herzen Berlins."
Soweit das kompliziert Konzeptuelle, nun zum naiv Sichtbaren: Ein großer Verhau steht auf dem Vorplatz des Gorkitheaters. Durch eine Glasscheibe schaut das Publikum auf den rindenmulchbedeckten Innenraum mit vier Tigern und einem Mann, der als römischer Gladiator verkleidet, mit den Raubkatzen allerlei Zirkustricks verführt. Als libysche Tiger mit Namen Otto, Franz-Joseph, Aranka, und Nico werden sie auf Schautafeln vorgestellt, dazwischen eine Tafel mit der Aufschrift: "Ave Imperium Europaenum – Morituri te salutant". Dramaturgisch hanebüchen: Die EU als römisches Reich, die erratische Flüchtlingspolitik als Willkür der Imperatoren, das Publikum als Entscheider über Tod und Leben in der Frage, wer ins Flugzeug einsteigen darf und wer nicht. Und es darf für die Flugkosten spenden, quasi als humanistischer Ablasshandel in einer perversen Spielanordnung.
Am Abend dann auch ein kleines albernes Gauklerspiel auf einer Galerie oberhalb der Schauseite, Videoscreens bieten eine Kollage von wartenden Flüchtlingen und Bildern vom gerade laufenden Europameisterschaftsspiel. Frische Hassmails werden verlesen, eine Tierschützerparodie kritisiert die Ausbeutung der Tiger. Die Aktion liefert die Kritik gleich mit, allerdings in Form der Karikatur.
Zirzensischer Zynismus
Im Garten hinter dem Gorki dann noch eine kleines, ernsthafteres Gespräch über Kunst und Politik mit Volksbühnendramaturg Carl Hegemann:
Wenn Kunst sich pur in den Dienst der Politik stellt, eine bestimmte Strategie verfolgt und das mit künstlerischen Mitteln illustriert, dann wird die Kunst instrumentalisiert und verliert ihre Kraft. Die Kunst muss eine Eigenständigkeit haben, die über ihre Benutzbarkeit für politische Aktionen hinausgeht.
Hier liegt das Problem: Das Zentrum für politische Schönheit doppelt mit seinem zirzensischen Zynismus eine zynische Politik, surft auf einer medialen Erregungswelle, verschwindet schließlich in ihren Wirbeln. Für die Sichtbarkeit und Verstehbarkeit der Welt, vielleicht für deren Veränderung, kann sie nichts ausrichten.