Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich am Welttag der Meteorologie – ja, so was gibt es auch – Mojib Latif. Er ist Meteorologe und Klimaforscher am Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Guten Morgen, Herr Latif!
Mojib Latif: Guten Morgen!
Dobovisek: Ein bisschen blinzelt die Sonne inzwischen ja wieder durch die Wolkendecke hindurch. Wann kommt er denn endlich, der Frühling?
Latif: Ja, das ist schwer zu sagen, also es könnte vielleicht übernächste Woche der Fall sein, aber dann werden die Vorhersagen schon etwas unsicher.
Dobovisek: Übernächste Woche!? Sie scherzen.
Latif: Ja, genau. Nächste Woche sieht es eigentlich nicht so aus, zumindest nicht im Norden Deutschlands, da scheint der Winter uns immer noch fest im Griff zu haben.
Dobovisek: Dann rattern wir ja schon fast in den April hinein. Wie ungewöhnlich ist denn diese lange, gefühlt sehr lange Kälteperiode?
Latif: Na ja, so ungewöhnlich ist es gar nicht. Wir vergleichen das ja immer mit einer 30-Jahres-Periode, und wenn man die letzte 30-Jahres-Periode hernimmt, dann ist dieser Winter eigentlich voll normal. Er liegt wirklich im Bereich des Mittelwertes. Und deswegen ist es eigentlich so ein bisschen so, dass wir vergessen haben, was wirklich ein kalter Winter ist, oder wir haben überhaupt vergessen, was Winter ist, weil wir so viele milde Winter hatten. Und jetzt auf einmal überrascht es uns, wenn wir solche Wetterverhältnisse haben. Ich selbst erinnere mich noch gut – als Kind Ostereier suchen im Schnee, und insofern: Das allein demonstriert, dass selbst Ende März, Anfang April durchaus noch Schnee liegen kann.
Dobovisek: Immerhin mussten wir aber vor ein paar Wochen lernen, dass es in den vergangenen drei Wintermonaten so wenig Sonnenstunden gab wie niemals zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Latif: Ja, das ist richtig. Wir hatten schon außergewöhnlich wenig Sonne. Aber ich denke, das ist der normale Wetterwahnsinn. Das Wetter ist so chaotisch, das produziert pausenlos, zumindest kurzfristig – und für uns ist eine Jahreszeit extrem kurzfristig –, immer wieder Rekorde, und dagegen kann man es halt nicht machen, und ich halte es da mit dem bayrischen Zuhörer, den wir gerade gehört haben: Also das muss man einfach ein bisschen gelassen sehen.
Dobovisek: Also Sie sagen, klar, das ist eher ein Wetterphänomen, eine Singularität, eine Wetterschwankung. Wie hoch hängt denn für Sie die Messlatte, um über Klimawandel zu sprechen?
Latif: Na ja, die hängt überhaupt nicht hoch, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier ja bei uns nur einen ganz kleinen Ausschnitt sehen. Und ich bin beispielsweise vor zwei Wochen aus Australien zurückgekommen: Dort hat es den wärmsten Sommer aller Zeiten gegeben, immer noch Temperaturen von weit über 30 Grad, das Gleiche gilt für die USA letztes Jahr. Das heißt, wir dürfen nicht den Fehler machen, einfach den Blick zu sehr zu verengen auf Deutschland oder vielleicht auch die Nachbarstaaten. Also die globale Erwärmung ist unterwegs, da beißt die Maus wirklich keinen Faden ab.
Dobovisek: Nun warnen uns Klimaforscher wie Sie, Herr Latif, ja seit Jahrzehnten vor der Erderwärmung und dem Anstieg des Meeresspiegels. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den "Spiegel"-Titel mit dem Kölner Dom unter Wasser und der Überschrift "Die Klimakatastrophe". Das ist jetzt fast 30 Jahre her. Ist die Erderwärmung denn seitdem tatsächlich messbar?
Latif: Ja, absolut. Also insbesondere während der letzten 30 Jahre haben wir eine Erderwärmung von 0,3, 0,4 Grad gemessen. Aber das bezieht sich eben – und das ist ganz wichtig – auf den globalen Durchschnittswert der Temperatur, und das heißt eben nicht, dass überall auf der Welt nun sozusagen genau diese Erwärmung spürbar ist. Und selbst 30 Jahre sind für einen Klimaforscher eher wenig. Also man muss schon viele Jahrzehnte betrachten, um den Trend zu sehen, aber dann sieht man ihn auch. Wenn wir das auf Deutschland mal beziehen, dann sehen wir, dass während des 20. Jahrhunderts, also während des letzten Jahrhunderts, die Temperaturen im Mittel um ein Grad gestiegen sind, und das ist ja unter anderem auch der Grund dafür, dass wir uns auf einmal die Augen reiben, dass so ein richtiger Winter mal wieder da ist.
Dobovisek: Gibt es also weiter Grund für die Katastrophenstimmung von einst?
Latif: Na ja, also man muss auch sagen, der "Spiegel" hat natürlich maßlos übertrieben. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen "Spiegel"-Titel 1986, wie Sie sagten, Kölner Dom halb unter Wasser, Klimakatastrophe – das hat natürlich nie ein Klimaforscher gesagt, das ist die typische Überhöhung der Medien. Aber Tatsache ist auch, dass der Meeresspiegel steigt. Er steigt im Moment mit einer Rate von 30 Zentimetern pro Jahrhundert. Während des letzten Jahrhunderts ist er schon um 20 Zentimeter gestiegen. Das heißt also, all das, was wir gesagt haben, findet statt, die Erwärmung findet statt, der Meeresspiegel findet statt, die Eisschmelze findet statt und auch die Wetterextreme nehmen zu.
Dobovisek: Bedarf es denn dieser medialen Überhöhung, um vielleicht auch einem gewissen Druck auf die Entscheider, auf die Politik auszuüben, die sich ja nicht gerade mit Ruhm geschmückt hat bei den vergangenen Klimaverhandlungen?
Latif: Nein, ich glaube, das ist langfristig eher kontraproduktiv, weil man wird dann als Wissenschaftler damit identifiziert und wenn die Menschen vergessen haben, dass das ein Medienartikel gewesen ist, dann muss man sich auf einmal als Wissenschaftler rechtfertigen, wieso das nicht eingetreten ist, was da auf dem Bild zu sehen ist. Aber noch mal: Kein seriöser Wissenschaftler würde von einem Meeresspiegelanstieg von 60 oder 80 Metern innerhalb dieses Jahrhunderts oder innerhalb dieses Jahrtausends sprechen. Also wir sprechen hier von moderaten Erhöhungen von maximal einem Meter bis zum Ende des Jahrhunderts. Das ist aber schon viel. Wir können uns darauf einstellen, Nordsee, Ostsee, wir können Deichbau betreiben. Aber wenn ich an die tropischen Inseln denke – für die ist ein Meter in der Tat schon der Super-GAU.
Dobovisek: Und was sagt denn ein seriöser Wissenschaftler zu den stockenden Klimaverhandlungen?
Latif: Ja, das ist natürlich kaum noch zu begreifen, denn wir haben wirklich kein Erkenntnisproblem. Die Politik ist wirklich bestens beraten, auch die amerikanischen Wissenschaftlerkollegen vertreten genau die gleichen Auffassungen wie wir hier in Deutschland. Aber die amerikanische Regierung setzt sich einfach über die wissenschaftliche Erkenntnis der eigenen Wissenschaftler hinweg. Und das kann man eigentlich nicht fassen. Wieso hat man Berater, Gremien, wissenschaftliche Ausschüsse, wenn man am Ende des Tages darauf überhaupt nicht hört?
Dobovisek: Es bleibt weiter frostig in Deutschland, auch wenn dies nur bedingt mit dem Klimawandel zu tun hat – der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif. Vielen Dank für das Gespräch!
Latif: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr auf dradio.de:
Wie der Klimawandel Wetterextreme im Norden befördert - Arktische Erwärmung sorgt für Instabilitäten in Luftströmen
Nordatlantik als Wetterhellseher - Hamburger Forscher arbeiten an Klimaprognosen für lange Zeiträume
Deutscher Wetterdienst: Extreme Wetterlagen nehmen zu - Katastrophenschützer kritisieren unzureichende Vorbereitung
Mojib Latif: Guten Morgen!
Dobovisek: Ein bisschen blinzelt die Sonne inzwischen ja wieder durch die Wolkendecke hindurch. Wann kommt er denn endlich, der Frühling?
Latif: Ja, das ist schwer zu sagen, also es könnte vielleicht übernächste Woche der Fall sein, aber dann werden die Vorhersagen schon etwas unsicher.
Dobovisek: Übernächste Woche!? Sie scherzen.
Latif: Ja, genau. Nächste Woche sieht es eigentlich nicht so aus, zumindest nicht im Norden Deutschlands, da scheint der Winter uns immer noch fest im Griff zu haben.
Dobovisek: Dann rattern wir ja schon fast in den April hinein. Wie ungewöhnlich ist denn diese lange, gefühlt sehr lange Kälteperiode?
Latif: Na ja, so ungewöhnlich ist es gar nicht. Wir vergleichen das ja immer mit einer 30-Jahres-Periode, und wenn man die letzte 30-Jahres-Periode hernimmt, dann ist dieser Winter eigentlich voll normal. Er liegt wirklich im Bereich des Mittelwertes. Und deswegen ist es eigentlich so ein bisschen so, dass wir vergessen haben, was wirklich ein kalter Winter ist, oder wir haben überhaupt vergessen, was Winter ist, weil wir so viele milde Winter hatten. Und jetzt auf einmal überrascht es uns, wenn wir solche Wetterverhältnisse haben. Ich selbst erinnere mich noch gut – als Kind Ostereier suchen im Schnee, und insofern: Das allein demonstriert, dass selbst Ende März, Anfang April durchaus noch Schnee liegen kann.
Dobovisek: Immerhin mussten wir aber vor ein paar Wochen lernen, dass es in den vergangenen drei Wintermonaten so wenig Sonnenstunden gab wie niemals zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Latif: Ja, das ist richtig. Wir hatten schon außergewöhnlich wenig Sonne. Aber ich denke, das ist der normale Wetterwahnsinn. Das Wetter ist so chaotisch, das produziert pausenlos, zumindest kurzfristig – und für uns ist eine Jahreszeit extrem kurzfristig –, immer wieder Rekorde, und dagegen kann man es halt nicht machen, und ich halte es da mit dem bayrischen Zuhörer, den wir gerade gehört haben: Also das muss man einfach ein bisschen gelassen sehen.
Dobovisek: Also Sie sagen, klar, das ist eher ein Wetterphänomen, eine Singularität, eine Wetterschwankung. Wie hoch hängt denn für Sie die Messlatte, um über Klimawandel zu sprechen?
Latif: Na ja, die hängt überhaupt nicht hoch, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier ja bei uns nur einen ganz kleinen Ausschnitt sehen. Und ich bin beispielsweise vor zwei Wochen aus Australien zurückgekommen: Dort hat es den wärmsten Sommer aller Zeiten gegeben, immer noch Temperaturen von weit über 30 Grad, das Gleiche gilt für die USA letztes Jahr. Das heißt, wir dürfen nicht den Fehler machen, einfach den Blick zu sehr zu verengen auf Deutschland oder vielleicht auch die Nachbarstaaten. Also die globale Erwärmung ist unterwegs, da beißt die Maus wirklich keinen Faden ab.
Dobovisek: Nun warnen uns Klimaforscher wie Sie, Herr Latif, ja seit Jahrzehnten vor der Erderwärmung und dem Anstieg des Meeresspiegels. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den "Spiegel"-Titel mit dem Kölner Dom unter Wasser und der Überschrift "Die Klimakatastrophe". Das ist jetzt fast 30 Jahre her. Ist die Erderwärmung denn seitdem tatsächlich messbar?
Latif: Ja, absolut. Also insbesondere während der letzten 30 Jahre haben wir eine Erderwärmung von 0,3, 0,4 Grad gemessen. Aber das bezieht sich eben – und das ist ganz wichtig – auf den globalen Durchschnittswert der Temperatur, und das heißt eben nicht, dass überall auf der Welt nun sozusagen genau diese Erwärmung spürbar ist. Und selbst 30 Jahre sind für einen Klimaforscher eher wenig. Also man muss schon viele Jahrzehnte betrachten, um den Trend zu sehen, aber dann sieht man ihn auch. Wenn wir das auf Deutschland mal beziehen, dann sehen wir, dass während des 20. Jahrhunderts, also während des letzten Jahrhunderts, die Temperaturen im Mittel um ein Grad gestiegen sind, und das ist ja unter anderem auch der Grund dafür, dass wir uns auf einmal die Augen reiben, dass so ein richtiger Winter mal wieder da ist.
Dobovisek: Gibt es also weiter Grund für die Katastrophenstimmung von einst?
Latif: Na ja, also man muss auch sagen, der "Spiegel" hat natürlich maßlos übertrieben. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen "Spiegel"-Titel 1986, wie Sie sagten, Kölner Dom halb unter Wasser, Klimakatastrophe – das hat natürlich nie ein Klimaforscher gesagt, das ist die typische Überhöhung der Medien. Aber Tatsache ist auch, dass der Meeresspiegel steigt. Er steigt im Moment mit einer Rate von 30 Zentimetern pro Jahrhundert. Während des letzten Jahrhunderts ist er schon um 20 Zentimeter gestiegen. Das heißt also, all das, was wir gesagt haben, findet statt, die Erwärmung findet statt, der Meeresspiegel findet statt, die Eisschmelze findet statt und auch die Wetterextreme nehmen zu.
Dobovisek: Bedarf es denn dieser medialen Überhöhung, um vielleicht auch einem gewissen Druck auf die Entscheider, auf die Politik auszuüben, die sich ja nicht gerade mit Ruhm geschmückt hat bei den vergangenen Klimaverhandlungen?
Latif: Nein, ich glaube, das ist langfristig eher kontraproduktiv, weil man wird dann als Wissenschaftler damit identifiziert und wenn die Menschen vergessen haben, dass das ein Medienartikel gewesen ist, dann muss man sich auf einmal als Wissenschaftler rechtfertigen, wieso das nicht eingetreten ist, was da auf dem Bild zu sehen ist. Aber noch mal: Kein seriöser Wissenschaftler würde von einem Meeresspiegelanstieg von 60 oder 80 Metern innerhalb dieses Jahrhunderts oder innerhalb dieses Jahrtausends sprechen. Also wir sprechen hier von moderaten Erhöhungen von maximal einem Meter bis zum Ende des Jahrhunderts. Das ist aber schon viel. Wir können uns darauf einstellen, Nordsee, Ostsee, wir können Deichbau betreiben. Aber wenn ich an die tropischen Inseln denke – für die ist ein Meter in der Tat schon der Super-GAU.
Dobovisek: Und was sagt denn ein seriöser Wissenschaftler zu den stockenden Klimaverhandlungen?
Latif: Ja, das ist natürlich kaum noch zu begreifen, denn wir haben wirklich kein Erkenntnisproblem. Die Politik ist wirklich bestens beraten, auch die amerikanischen Wissenschaftlerkollegen vertreten genau die gleichen Auffassungen wie wir hier in Deutschland. Aber die amerikanische Regierung setzt sich einfach über die wissenschaftliche Erkenntnis der eigenen Wissenschaftler hinweg. Und das kann man eigentlich nicht fassen. Wieso hat man Berater, Gremien, wissenschaftliche Ausschüsse, wenn man am Ende des Tages darauf überhaupt nicht hört?
Dobovisek: Es bleibt weiter frostig in Deutschland, auch wenn dies nur bedingt mit dem Klimawandel zu tun hat – der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif. Vielen Dank für das Gespräch!
Latif: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr auf dradio.de:
Wie der Klimawandel Wetterextreme im Norden befördert - Arktische Erwärmung sorgt für Instabilitäten in Luftströmen
Nordatlantik als Wetterhellseher - Hamburger Forscher arbeiten an Klimaprognosen für lange Zeiträume
Deutscher Wetterdienst: Extreme Wetterlagen nehmen zu - Katastrophenschützer kritisieren unzureichende Vorbereitung