Sigrid Fischer: Bei dem Titel beziehungsweise Untertitel "aktuelle Satire aus der Türkei" glaubt man eher an einen Fake. Satire, jetzt in der Türkei? Aber doch, im Avantverlag ist eben der Band "Schluss mit Lustig" erschienen. Und in der Caricatura-Galerie in Kassel hat gestern die Ausstellung dazu eröffnet. Da sieht man zum Beispiel einen riesigen Erdogankopf mit aufgeklapptem schwarzem Buch über Oberlippe, darauf steht: "Verfassung". Oder einen Handwerker, dem beim Reparieren der Waschmaschine die Hose etwas verrutscht und man ein "Nein" eingraviert sieht. Oder einen Gefängniswärter der aus Knasttür raus ruft: "Ein Platz ist frei, bringt den nächsten Journalisten." "Die zeichnerische Satire durchlebt dunkle Zeiten", das schreibt Sabine Küper-Büsch im Vorwort. Guten Tag bei Corso.
Sabine Küper-Büsch: Ja, guten Tag.
Fischer: Aber es gibt sie, die Satire in der Türkei.
Küper-Büsch: Ungebrochen - und ehrlich gesagt, zu solchen politischen Konfliktzeiten auch besonders kreativ. Das hat eine lange Tradition in der Türkei, dass die Satire auch ein bisschen so in der Rolle des Hofnarren eigentlich die einzige Instanz ist, die sich noch zu formulieren traut, oder in den Zeichungen rüberzubringen traut, was die anderen schon lange nicht mehr Schreiben dürfen.
Fischer: Sie sind Wahl-Istanbulerin Frau Küper-Büsch, Filmemacherin, haben die Ausstellung kuratiert, die ganzen Begleittexte in diesem Katalog dazu geschrieben. Wie aber arbeiten denn Cartoonisten und Satiriker zur Zeit in der Türkei? Eher im Untergrund?
Küper-Büsch: Nicht im Untergrund, aber unter sehr viel Druck und sehr viel Stress. Ich sag mal so: Noch vor zehn Jahren hatte ich schonmal ein Buch gemacht zu einer ganz anderen Zeit, damals wurde das noch vom türkischen Kulturministerium gefördert - waren alle sehr tiefenentspannt, haben sehr viele Hefte verkauft und so. In den letzten zehn Jahren hat sich doch die Situation und auch die Arbeitsbedingungen dramatisch verschlechtert. Ermittlungsverfahren gegen einzelne, oftmals wirklich harmlos Titel;und Geldstrafen treffen die ja doch alle sehr unabhängig arbeitenden Satire-Zeitschriften - die arbeiten alle ohne Werbung, also haben ohnehin nicht viel Geld - doch sehr drangsaliert. Also sie haben momentan eigentlich fast keinen Cartoonisten mehr, der wirklich nur von seinem Cartoonzeichnen leben kann. Die meisten arbeiten noch in anderen Jobs.
Wir haben noch länger mit Sabine Küper-Büsch gesprochen -
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Fischer: Wie konnten Sie denn dann - Sie haben für die Ausstellung ja nur Karikaturen ausgewählt, die eben nicht sanktioniert wurden, weil Sie die Künstler schützen wollten - wie konnten Sie überhaupt so viele finden? 70, die nicht sanktioniert wurden, weil ja alle aktuellen Themen ja auch drin sind.
Küper-Büsch: Also diese Satire-Szene in der Türkei ist voluminös, sehr groß, also ich habe jetzt nur die drei Haupt-Satire-Zeitschriften im Buch. Es gibt aber auch alle möglichen Sachen noch im Bereich Fantasy und so weiter. Also es gibt sehr viel Produktion, aber es gibt eben Reizthemen und es gibt eine verschärfte - sowohl von Seiten der Justiz, aber auch was die wirtschaftlichen Probleme betrifft - schwierige Situation der Cartoonisten. Was aber nicht bedeutet, dass sie nicht weiter produzieren. Wir sitzen jetzt auch heute Abend auf dem Podium mit fünf Zeichnern und vor zehn Jahren, als ich die erste Ausstellung gemacht habe, musste ich die eigentlich wirklich prügeln damit sie damals nach Frankfurt kamen. Es kam ein Einziger. Und dieses mal waren die alle total enthusiastisch, weil Sie möchten gerne gesehen werden und merken auch, dass sie da eine wirkliche Avantgarde-Funktion haben.
Sie müssen sich das so vorstellen: Die Zeitschrift Uykusuz, das sind so die jüngsten Zeichner, mit ganz viel Graphic Novels und Fanatsy-Stil. Vor ein paar Jahren residierten die in einem großen Appartement im schicken Stadtteil Cihangir, mitlerweile sind die eben in einem Drei-Zimmer-Ding. Alles ist kleiner geworden. Alle produzieren in Nebenjobs. Aber die sind so erfolgreich. Haben eben auch so Comic-Charakterhelden erschaffen, die sehr wichtig sind, dass die Leute sich eben nicht einknicken lassen.
Fischer: Ja, das erstaunt ja. Weil das herzustellen ist mutig, aber diese Hefte zu kaufen, öffentlich am Kiosk ist wahrscheinlich auch mutig - machen die Leute aber.
Küper-Büsch: Ja, aber nicht mehr so sehr und das ist auch ein bisschen das Problem. Hier in Kassel ist ja auch eine Hochburg der deutschen Karikaturen. Wir sind ja auch Gast der Caricatura. Die waren früher immer neidisch, dass die drei türkischen Satire-Zeitschriften alle an die 100.000 Hefte verkauften. Das ist mittlerweile dramatisch weniger geworden. In Istanbul in den schicken Szenevierteln ist es kein Problem, diese Hefte zu bekommen. Aber die türkische Regierung und alle ihre Helfershelfer üben eben sehr viel Druck auf die Vertriebe, auch auf die Läden in kleineren Orten aus, wo früher auch wirklich im hintersten Dorf Satire-Zeitschriften gelesen wurden. Das ist jetzt sehr viel schwieriger. Deswegen haben die alle große wirtschaftliche Probleme. Um aber immer noch Gehör zu bekommen, gehen die eben ganz stark ins Internet. Das ist toll, wird eben auch ganz stark rezipiert, bringt nur eben kein Geld.
Strategien, um Zensur zu vermeiden
Fischer: Frau Küper-Büsch, Sie schreiben ja auch in diesem Buch "Schluss mit Lustig", dass die Cartoonisten schon Selbstzensur üben in der Türkei, dass man zum Beispiel in der Heftmitte etwas versteckt, was sonst früher ein Titelblatt gewesen wäre.
Küper-Büsch: Ja, das sind so die typischen Strategien, um Zensur zu vermeiden. Um ein Beispiel zu geben: Also es gab diese Diskussion, sowohl in Deutschland und in Holland, dürfen türkische Regierungspolitiker hier Wahlkampf machen? In der Türkei wurde also eine Stimmung aufgebaut als ob die türkische Familienministerin in Rotterdam von Hunden gejagt würde und es war eine totale Übertreibung. Und das Thema war so wahnsinnig sensibel, dass die Zeitschriften dann auf dem Titel immer noch ein Thema, was nah an dem dran ist, bringen. Aber zum Beispiel die sehr witzigen Zeichnungen, die Erdogan und die Familienministerin zeigen, dass das, was sie gemacht haben, sozusagen eine Werbeaktion war - die findet man dann auf der dritten, vierten Seite.
Fischer: Was ich auch ganz interessant fand, dass Sie schreiben Erdogan als Diktator oder mit Hitlerbärtchen darzustellen, das ist überhaupt kein Tabu, denn er möchte ja als starker Führer gesehen werden. Er benutzt selber auch NS-Vergleiche.
Küper-Büsch: Ja. Erdogan als Napoleon, Mussolini oder Hitler darzustellen, ist überhaupt kein Problem. Seit einem Jahr trägt er auch den Ehrentitel "der Reis", das heißt "der Führer", und möchte auch in seiner Bewegung so wahrgenommen werden. Diese Zeichnung die sie angesprochen hatten, mit dem aufgeklappten Buch, das ist ein Hitlerbärtchen und das war auf dem Titel und ist auch kein Problem.
Keine Konsequenzen befürchtet
Fischer: Und Sie, Sabine Küper-Büsch haben überhaupt keine Sorge wenn Sie zurückkehren, dass Sie wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ohne Mitglied zu sein irgendwie mal angeklagt werden? Bei diesen Aktivitäten, die Sie hier machen, meine ich.
Küper-Büsch: Ich meine, ich lebe jetzt 25 Jahre in der Türkei. Istanbul ist meine Stadt. Und wir sind jetzt ja hier auch zu sechst, auch mit den türkischen Cartoonisten. Wir sitzen in gewisser Weise in einem Boot. Und wir werden auch zusammen zurückfliegen. Wir werden alles auf uns zukommen lassen, aber ich rechne eigentlich nicht damit, dass es da Konsequenzen gibt.
Fischer: In der Caricatura Kassel wurde gestern Abend die Kabinettsausstellung "Schluss mit lustig - Aktuelle Satire aus der Türkei" eröffnet. Die dauert noch bis zum 27. August. Das Buch dazu ist im Avantverlag erschienen - und heute Abend um 19:00 Uhr gibt's die schon erwähnte Podiumsdiskussion mit Sabine Küper-Büsch und fünf Cartoonisten aus der Türkei in der Weinkirche in Kassel. Viel Erfolg mit all dem.
Küper-Büsch: Ganz herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Schluss mit Lustig: Aktuelle Satire aus der Türkei"
Avant Verlag, Bonn 2017. 80 Seiten, 15 Euro.
Avant Verlag, Bonn 2017. 80 Seiten, 15 Euro.