Karin Fischer: Es gibt Namen, die uns längst bekannt, und Bücher, die ganz zuverlässig übersetzt werden, von Jurij Andruchowycz oder Oksana Sabuschko, beide aus der Ukraine, oder von Andrzej Stasiuk und Joanna Bator aus Polen. Der Programm- und Länderschwerpunkt "Transit - Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus" will nun aber auf unbekannte Autorinnen und Autoren aufmerksam machen. In einem politischen Feld, das im Jahr 2012 zwar durch eine Fußball-EM aufgehübscht wird, das aber in unseren Weltnachrichten sonst eher negative Schlagzeilen macht - zum Beispiel in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit in Weißrussland.
Martin Pollack, Autor, Übersetzer und Experte für Geschichte und Literatur Mittel- und Osteuropas, ist Kurator dieses Schwerpunkts. Herr Pollack, welche Literatur kommt von dort, ganz pauschal gefragt?
Martin Pollack: Ja ganz pauschal gesagt kommt eine Literatur, wie wir sie überall haben - Gott sei Dank. Also das ist nicht so, dass diese Länder sich grundlegend unterscheiden. Es gibt vielleicht eine Stärke, die diese Länder auszeichnet: Das ist die Lyrik. Es ist ja nicht nur, dass sie große Lyrik-Länder sind, die Lyrik schreiben, wo Lyrik geschrieben wird, sondern auch wo Lyrik gelesen wird, wo Lyrik gehört wird. Es gibt in der Ukraine, auch in Belarus Lyrik-Lesungen, wo wirklich Hunderte junge Menschen hingehen.
Fischer: Womit hat das zu tun?
Pollack: Das ist wohl primär mal der Tradition verpflichtet und es hat schon auch damit zu tun, dass es Lyriker gibt, die ganz scharf auch aktuelle Themen aufgreifen, also in einer ganz modernen Sprache die jungen Leute ansprechen. Vielleicht auf eine Weise, wie es sonst in der Literatur schwieriger ist, weil vielleicht die Lyrik auch weniger wohl der Zensur ausgesetzt ist als zum Beispiel Prosatexte.
Fischer: Was diese aktuelle Situation betrifft, so ist es in Weißrussland ja schon allein deshalb schwierig, weil 75 Prozent der Bevölkerung eigentlich Russisch spricht und auch liest, die Amtssprache aber Weißrussisch ist. Wie spielt sich dieses große Thema auch der Identitätsfindung in den zeitgenössischen Literaturen ab?
Pollack: Das ist natürlich das Problem, das haben wir auch in der Ukraine. Wir haben ja auch in der Ukraine sozusagen ein gespaltenes Land, was jetzt die Sprache angeht. Auch in der Ukraine haben wir großartige ukrainische Schriftsteller, Andrej Kurkow zum Beispiel, der russischsprachig ist, oder Swetlana Alexijewitsch aus Belarus, die russischsprachig ist. Daran kann ich ja nichts Schlimmes finden, wenn ein Land zwei Sprachen besitzt. Die Schweiz, sehr viel kleiner als diese Länder, besitzt vier Sprachen und da stößt sich ja auch niemand dran. Das ist, finde ich, nicht so die Ungewöhnlichkeit. Was ungewöhnlich ist bei Belarus ist natürlich die Tatsache, dass lange Zeit eigentlich Belarussisch, Weißrussisch als Sprache der Opposition bezeichnet wurde. Zuerst einmal sagte man, das ist überhaupt keine richtige Sprache, das ist eine Sprache der Bauern, ist ein Dialekt, ein ländlicher Dialekt, unsere wahre Sprache ist das Russische. Und dann hat man gesagt, das ist die Sprache der Opposition. Das ist eigentlich bis heute ein wenig so geblieben, dass die offizielle Sprache wohl überwiegend Russisch ist und die inoffizielle, aber trotzdem eben die offizielle Sprache, die Amtssprache, das Weißrussische. Also das ist eine völlig bizarre Situation, die schon die Situation, die Lage in diesem Land charakterisiert.
Fischer: Ich habe verstanden, dass es tatsächlich Literatur über Fußball auch geben soll, jetzt ganz aktuell auf dieser Leipziger Buchmesse. Was sind denn sonst Themen, die sich Autorinnen und Autoren zum Beispiel in der Ukraine vornehmen?
Pollack: Da ist es auch wieder sehr ähnlich wie bei uns. Da geht es um Liebe, da geht es um Tod, da geht es um die Familie, da geht es um die Geschichte, da geht es um alles. Es gibt großartige Bücher, man könnte das so moderne Dorfromane nennen. Da gibt es eine Autorin, die wir nicht einladen konnten, Maria Matios, mit einem wunderbaren Buch über das Dorf. Das sind Themen, die in diesen Ländern Menschen offensichtlich interessieren. Bei uns ist das ja wahrscheinlich schon schwieriger zu erzählen, diese Geschichte.
Fischer: Ich wollte Sie gerade noch fragen. Was sind Namen, die wir unbedingt uns merken und auch jetzt lesen müssen?
Pollack: Ich würde zum Beispiel Natalka Sniadanko, eine junge ukrainische Autorin, nennen, die an einem wunderbaren Text arbeitet. Ich kenne den nur in Ausschnitten in Übersetzung. Das ist, glaube ich, so eine Familiengeschichte, Erinnerungen, aber ein sehr, sehr schöner, sehr eindrucksvoller Text. Jurko Prochasko, ebenfalls aus der Ukraine, der an einem Buch über Lemberg arbeitet, Lviv, seine Heimatstadt, wo er lebt. Und aus Belarus Zmicier Vishniou und andere.
Fischer: Herzlichen Dank, Martin Pollack, für diese Übersicht über drei Länder und Literaturen aus Polen, Ukraine und Belarus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Martin Pollack, Autor, Übersetzer und Experte für Geschichte und Literatur Mittel- und Osteuropas, ist Kurator dieses Schwerpunkts. Herr Pollack, welche Literatur kommt von dort, ganz pauschal gefragt?
Martin Pollack: Ja ganz pauschal gesagt kommt eine Literatur, wie wir sie überall haben - Gott sei Dank. Also das ist nicht so, dass diese Länder sich grundlegend unterscheiden. Es gibt vielleicht eine Stärke, die diese Länder auszeichnet: Das ist die Lyrik. Es ist ja nicht nur, dass sie große Lyrik-Länder sind, die Lyrik schreiben, wo Lyrik geschrieben wird, sondern auch wo Lyrik gelesen wird, wo Lyrik gehört wird. Es gibt in der Ukraine, auch in Belarus Lyrik-Lesungen, wo wirklich Hunderte junge Menschen hingehen.
Fischer: Womit hat das zu tun?
Pollack: Das ist wohl primär mal der Tradition verpflichtet und es hat schon auch damit zu tun, dass es Lyriker gibt, die ganz scharf auch aktuelle Themen aufgreifen, also in einer ganz modernen Sprache die jungen Leute ansprechen. Vielleicht auf eine Weise, wie es sonst in der Literatur schwieriger ist, weil vielleicht die Lyrik auch weniger wohl der Zensur ausgesetzt ist als zum Beispiel Prosatexte.
Fischer: Was diese aktuelle Situation betrifft, so ist es in Weißrussland ja schon allein deshalb schwierig, weil 75 Prozent der Bevölkerung eigentlich Russisch spricht und auch liest, die Amtssprache aber Weißrussisch ist. Wie spielt sich dieses große Thema auch der Identitätsfindung in den zeitgenössischen Literaturen ab?
Pollack: Das ist natürlich das Problem, das haben wir auch in der Ukraine. Wir haben ja auch in der Ukraine sozusagen ein gespaltenes Land, was jetzt die Sprache angeht. Auch in der Ukraine haben wir großartige ukrainische Schriftsteller, Andrej Kurkow zum Beispiel, der russischsprachig ist, oder Swetlana Alexijewitsch aus Belarus, die russischsprachig ist. Daran kann ich ja nichts Schlimmes finden, wenn ein Land zwei Sprachen besitzt. Die Schweiz, sehr viel kleiner als diese Länder, besitzt vier Sprachen und da stößt sich ja auch niemand dran. Das ist, finde ich, nicht so die Ungewöhnlichkeit. Was ungewöhnlich ist bei Belarus ist natürlich die Tatsache, dass lange Zeit eigentlich Belarussisch, Weißrussisch als Sprache der Opposition bezeichnet wurde. Zuerst einmal sagte man, das ist überhaupt keine richtige Sprache, das ist eine Sprache der Bauern, ist ein Dialekt, ein ländlicher Dialekt, unsere wahre Sprache ist das Russische. Und dann hat man gesagt, das ist die Sprache der Opposition. Das ist eigentlich bis heute ein wenig so geblieben, dass die offizielle Sprache wohl überwiegend Russisch ist und die inoffizielle, aber trotzdem eben die offizielle Sprache, die Amtssprache, das Weißrussische. Also das ist eine völlig bizarre Situation, die schon die Situation, die Lage in diesem Land charakterisiert.
Fischer: Ich habe verstanden, dass es tatsächlich Literatur über Fußball auch geben soll, jetzt ganz aktuell auf dieser Leipziger Buchmesse. Was sind denn sonst Themen, die sich Autorinnen und Autoren zum Beispiel in der Ukraine vornehmen?
Pollack: Da ist es auch wieder sehr ähnlich wie bei uns. Da geht es um Liebe, da geht es um Tod, da geht es um die Familie, da geht es um die Geschichte, da geht es um alles. Es gibt großartige Bücher, man könnte das so moderne Dorfromane nennen. Da gibt es eine Autorin, die wir nicht einladen konnten, Maria Matios, mit einem wunderbaren Buch über das Dorf. Das sind Themen, die in diesen Ländern Menschen offensichtlich interessieren. Bei uns ist das ja wahrscheinlich schon schwieriger zu erzählen, diese Geschichte.
Fischer: Ich wollte Sie gerade noch fragen. Was sind Namen, die wir unbedingt uns merken und auch jetzt lesen müssen?
Pollack: Ich würde zum Beispiel Natalka Sniadanko, eine junge ukrainische Autorin, nennen, die an einem wunderbaren Text arbeitet. Ich kenne den nur in Ausschnitten in Übersetzung. Das ist, glaube ich, so eine Familiengeschichte, Erinnerungen, aber ein sehr, sehr schöner, sehr eindrucksvoller Text. Jurko Prochasko, ebenfalls aus der Ukraine, der an einem Buch über Lemberg arbeitet, Lviv, seine Heimatstadt, wo er lebt. Und aus Belarus Zmicier Vishniou und andere.
Fischer: Herzlichen Dank, Martin Pollack, für diese Übersicht über drei Länder und Literaturen aus Polen, Ukraine und Belarus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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