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Akustische Kartografie

Das Soundwalk Collective aus New York sammelt Klänge an ungewöhnlichen Orten. Aus den Soundschnipseln montiert das international besetzte Ensemble Kino für die Ohren. Jetzt haben die Klangkünstler unter anderem Homers Odyssee vertont – vor Ort, mit Mikrofonen und einem Segelboot.

Von Tim Thaler |
    Kamran Sadeghi: "Wir beschreiben es gern als 'akustische Reisen'. Wir zeichnen Geräusche auf, zerschneiden diese Aufnahmen, nehmen kleine bruchstückhafte Momente und hinterlegen all das mit eigens dafür komponierter Musik. Das Ergebnis ist wie ein cineastisches Erlebnis, nur eben ohne Bilder."

    Die Arbeit des Soundwalk Collective ist vielleicht vergleichbar mit der von Bildhauern, die Skulpturen in Kleinarbeit aus einem groben Fels meißeln, schleifen, brechen und feilen. Aus einer riesigen Sammlung von Tönen werden mikroskopische Fragmente herausgelöst und so lange bearbeitet, bis eine Klang-Skulptur entsteht. Die Herangehensweise an einen Soundwalk ist dabei stets dieselbe.

    Sound Collective-Mitglied Simone Merli: "Die meisten Projekte basieren auf einem Ort und einer Geschichte, die wir erzählen wollen. Wir reisen also an die Orte und folgen den Spuren. Überall wo wir sind, nehmen wir die jeweiligen Geräusche auf. Es ist wie ein langer Prozess des Sammelns."

    2012 folgten Stephan Crasneanscki, Dug Winningham, Simone Merli und Kamran Sadeghi den Spuren von Homers Odysseus. Seine Reise wollten sie nacherzählen; natürlich nur mit Hilfe von Klängen.

    Simone Merli: "Es ist eine Art zeitgenössischer Verfall festgehalten mit den Geräuschen, wie sie heute auf Odysseus Reise herrschen würden. Wir nennen es eine 'akustische Kartografie'. Zwei Monate sind wir gesegelt und haben in allen Häfen, in denen auch Odysseus war, angelegt. Gestartet sind wir in Neapel, danach ging’s nach Sardinien, Korsika, runter zur Küste von Nordafrika, danach nach Griechenland, der Türkei und von dort nach Troja, denn da soll seine Reise ja begonnen haben. Das Boot war ausgestattet mit Radioantennen und wir sind immer so zwölf Meilen von der Küste entfernt gesegelt. So konnten wir allerlei Arten von Radiosignalen aufzeichnen; von der Küstenwache oder auch von vorbeifahrenden Schiffen. Andere Geräusche waren sehr viel intimer; Fischer die mit ihren Frauen sprachen, oder einfach Fragmente von persönlichen Gesprächen, in denen Leute erzählten, wie ihr Leben gerade verläuft. Aber auch sehr obskure, religiöse Gesänge konnten wir aufzeichnen, Stimmenfragmente aller Sprachen, die es entlang dieser mediterranen Route gibt."

    Aber nicht nur in fernen Ländern und auf hoher See lassen sich unbeachtete Soundfragmente entdecken. Für ihr aktuelles Projekt "Last Beat" erforschte das Soundwalk Collective die leisen Klänge und Geräusche eines Ortes in Berlin, der gerade für seine Soundgewalt bekannt ist.

    Kamran Sadeghi: "Eine Koproduktion mit den Leuten des Clubs Berghain. Wir haben die Schwingungen in diesem alten Kraftwerk mithilfe von Kontaktmikrophonen aufgenommen. Diese Aufnahmen haben wir dann als Teile verschiedener Musikstücke verwendet."

    Warum bei der hohen Clubdichte in Berlin gerade das Berghain auserkoren wurde, erklärt Kamran Sadeghi:

    "In erster Linie ging es uns um das Gebäude an sich, beziehungsweise die architektonische Struktur, die ganz speziell auf die sehr massive Soundanlage reagiert. Das Berghain hat eine sehr spezielle akustische Qualität."

    Durch Radiowellen, Klangsplitter, ätherisches Rauschen und Kratzen fremde Länder, historische Orte oder aber auch einen Club mal ganz neu entdecken, auf akustische Reisen gehen; sich Verlieren im Fremden, im Mystischen, im Schönen, und das alles nur mit den Ohren. Das Soundwalk Collective ist der perfekte Reiseführer.