"Hallo... Nein, nein, alle, die hier arbeiten ... die Journalisten gehören nicht aufs Bild."
Auf dem Kopf eine königsblaue Schirmmütze steckt Barbara Hendricks in einem schneeweißen Overall und gibt eben mal Instruktionen für das Gruppenfoto – eine Stunde lang hat sich die Bundesumweltministerin bei ohrenbetäubendem Lärm in dieser vollgerümpelten Halle zeigen lassen, wie ein Atomkraftwerk Stück für Stück auseinandergebaut wird – wie ein Haus, das man für den Umzug leerräumt: "Ja, das ist schon überzeugend, was die hier machen. Das ist keine Frage. Aber es erklärt sich natürlich auch, warum es so ziemlich hohe Kosten verursacht, weil es eben mit aller Sorgfalt gemacht werden muss."
Eine Million Tonnen Stahl und Beton werden dekontaminiert
Zwischen saftigen Wiesen steht direkt an der Ostsee und nur einen Steinwurf entfernt von Angela Merkels Wahlkreis das Kernkraftwerk Lubmin, einst der ganze Stolz der DDR. 1995 stillgelegt, passiert hier gerade der größte AKW-Rückbau in ganz Europa: "Wir sind hier jetzt in der Werkstatt. Wir haben jetzt zwei große Bandsägen und hinten noch eine thermische Trennkabine", erklärt Marlies Philipp. 1979 fing sie hier in Lubmin als Ingenieurin an. Zwischen Rohrleitungen, Pumpen und Drahtkörben steht in himmelblauem Hemd Kollege Jürgen Hillebrecht und erklärt, wie so ein Rückbau vonstatten geht: "Das geht ja nicht einfach: ausmachen, alles entleeren und dann geht dat los!"
Nein, ganze Berge von strahlendem Stahl und Beton werden zerlegt, dekontaminiert und entsorgt, gut eine Million Tonnen sind es allein in Lubmin. Jahrzehnte dauert das, und seit dem Atomausstiegs-Beschluss ist klar: Deutschland steht vor einer gewaltigen Herausforderung – einer teuren zumal. 38 Milliarden Euro haben die Energiekonzerne bisher zurückgelegt, aber ob das reicht? Barbara Hendricks ist skeptisch: "Das kann ich nicht beurteilen. Wir müssen allerdings als öffentliche Hand dafür sorgen, dass die Rückstellungen auch dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden."
Irgendwo muss der strahlende Abfall hin
SPD-Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will die Haftungsfristen für die AKW-Betreiber aufheben und die angesparten Milliarden der strauchelnden Energiekonzerne in einen öffentlichen Fonds überführen, für mehr Kontrolle und Transparenz. Die Konzerne begreifen das als Kampfansage – energiepolitisch zeichnet sich damit ein heißer Herbst ab. Die Umweltministerin hat unterdessen noch ganz andere Sorgen – ein Endlager für den deutschen Atommüll ist weit und breit nicht in Sicht: "Wahrscheinlich gäb's andere Menschen, die sagen würden, ach, da nehm ich mir so eine Agentur für Krisenkommunikation, das hab ich nicht vor."
In gut einem Jahr will die so genannte Endlager-Kommission im Bundestag Kriterien für ein geeignetes Endlager vorlegen. Wichtigste Fragen: Passt es geologisch, und wird es akzeptiert werden? "Dann bin ich wahrscheinlich die unbeliebteste Frau der ganzen Republik."
Die Massenproteste im Wendland hat Hendricks nicht vergessen, ebenso wenig das aktuelle Geschacher um passende Zwischenlager für den wiederaufbereiteten Atommüll, den Deutschland demnächst aus dem Ausland zurückholen muss. CSU-Chef Horst Seehofer macht der Umweltministerin deshalb gerade das Leben schwer. Bayern will den Atommüll nicht lagern. Aber irgendwo muss der strahlende Abfall ja hin, erst in ein Zwischen- und später in ein Endlager: "Was einfach bedeutet: Bürgerinnen und Bürger, es nützt nichts, wenn ihr mich jetzt mit Tomaten bewerft. Es muss so oder so irgendjemand regeln."
Exportschlager Rückbau
Und das ist Barbara Hendricks. Der Rückbau in Lubmin macht ihr weniger Sorgen, das AKW ist in öffentlicher Hand und damit besser kontrollierbar. Die Ministerin schwärmt nach dem Rundgang durch die Halle sogar vom zukünftigen Exportschlager Rückbau. 'Dem Ingeniör ist eben nichts zu schwör', möchte Fachmann Jürgen Hillebrecht da gerne noch ergänzen: "Ich lebe dafür, Kernkraftwerke zurückzubauen. Das hat noch keiner so gemacht. Macht das! Den alten Trott kann jeder!"