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Al-Dschasira
Zweifelhafte Unabhängigkeit

Al-Dschasira ist der einflussreichste Sender in der arabischen Welt. Er berichtete auch vom Sturz des Machthabers Mubarak in Ägypten. Kurz nach den Revolten in der Region stand der Sender in der Kritik, die Journalisten seien parteiisch und Al-Dschasira hätte sich auf die Seite der Muslimbrüder geschlagen.

Von Björn Blaschke |
    Die freundliche PR-Dame von Al-Dschasira nimmt die Gäste in Empfang. Fotos zieren die Eingangstür des Senders; Porträts von Journalisten-Köpfen, deren Münder zum Schweigen gebracht sind - mit Klebeband.
    Die PR-Dame erläutert: Die Bilder sollen zeigen, dass Journalismus grundsätzlich kein Verbrechen ist.
    Die Bilder sind ein Ausdruck der Kampagne "Free Al-Dschasira Staff" - "Lasst die Al-Dschasira-Kollegen frei". Weltweit, so die PR-Frau weiter, hätten mehr als 750 Millionen Menschen die Internet-Aktion des Senders unterstützt - und damit selbstverständlich die vier Kollegen, die in Ägyptens Hauptstadt Kairo im Gefängnis sitzen. Drei - von Al-Dschasira World - sind angeklagt: der Verbreitung von Falschnachrichten und der Unterstützung einer Terrororganisation, der Muslim-Bruderschaft. Ein vierter Kollege - vom arabischen Programm - ist seit Sommer in Haft. Bisher ohne formales Verfahren.
    Der Rundgang durch das Herz des Senders, den News Room von Al-Dschasira World, offenbart so etwas wie einen gläsernen Bienenstock: Arbeitsbienen schwirren, um Bildschirme, Computer und Fernseher. Und alles dreht sich um die Königin; die Person vor den Kameras.
    Ausstattung vom Modernsten und Teuersten
    Gegründet 1996 als damals ausschließlich arabisches Programm ist Al-Dschasira heute ein 4000-mitarbeiter-starkes High-Tech-Unternehmen - mit einem arabischen und einem englischsprachigen Arm sowie Kanälen für den US-Markt, Kinder und Sport. Dazu Al-Dschasira Mubashar, einem Kanal, der egal woher in der Welt, 24-Stunden lang Live-Bilder ausstrahlt; und Mubashar Misr, der demselben Prinzip in Ägypten folgte, aber mittlerweile von den Behörden in Kairo lahmgelegt wurde. Und wie alles andere im Reich des Emirs von Katar, dem Finanzier des Senders, ist auch die Ausstattung von Al-Dschasira vom Modernsten und Teuersten. Und - klar - bei Al-Dschasira arbeiten auch nur die Besten - für die Unterdrückten und die Wahrheit - so sagen sie selbst jedenfalls.
    Im Sitzungssaal von Al-Dschasira kommen zu der freundlichen PR-Dame und den Besuchern vier Herren an den Konferenztisch; Herren aus dem Programmmanagement mit kamera-gestählten Gesichtern. Ihr Top-Thema dieser Tage: die Haft der Al-Dschasira Leute in Kairo.
    "Es wäre fast lustig, wenn's nicht so ernst wäre..." - sagt Al Anstey, der ordentlich geföhnte britische Direktor von Al-Dschasira World. Und weiter: "Dabei haben die Vorwürfe, die unseren Kollegen gemacht werden, keine Substanz; es steckt kein bisschen Wahrheit in ihnen."
    Die Fakten sprechen für sich: Die Al-Dschasira-International-Männer hatten Kontakt zu Muslimbrüdern. Ja! Aber: sehr viele andere Journalisten in Kairo auch. Die Al-Dschasira-Männer waren nicht akkreditiert. Das mag man dumm nennen, andererseits haben die Al-Dschasira-Kollegen das ebenfalls mit vielen anderen schnell einfliegenden Reportern gemein. Obendrein betragen die Akkreditierungszeiten - seit Neuestem - mehrere Wochen. Also: Es sieht so aus, als wollten die ägyptischen Behörden ein Hühnchen mit Al-Dschasira rupfen, wenngleich die Politiker in Kairo immer betonen: Die Justiz des Landes sei unabhängig.
    Die Vorwürfe gegen die in Kairo einsitzenden Al-Dschasira-Männer mögen unverhältnismäßig sein. Und übertrieben.
    Al-Dschasira Journalisten protestieren in Nairobi gegen die Inhaftierung ihrer Kollegen in Ägypten, eine Frau und ein Mann mit zugeklebten Mündern und Sonnenbrille
    Al-Dschasira Journalisten protestieren in Nairobi gegen die Inhaftierung ihrer Kollegen in Ägypten (dpa/picture alliance/Dai Kurokawa)
    Aber: Al-Dschasira ist in die Kritik geraten. Nicht nur in Ägypten. Einst, nach seiner Gründung, galt Al-Dschasira als Hort des guten Journalismus in der arabischen Welt und als Leuchtturm der Meinungsfreiheit in der Region. Heute gelten die Programmmacher als einseitig. In Ägypten meinen viele, Al-Dschasira kollaborierte mit den Islamisten. Allen voran geht dieser Vorwurf in Richtung Al-Dschasira Mubashar Misr - der Sender, der rund um die Uhr und häufig unkommentiert ausgewählte Live-Bilder aus Ägypten in die Welt schickte, bevor er von den Behörden blockiert wurde. Aber auch dem gesamt arabischen Live-Programm Al-Dschasira Mubashar, das nach wie vor unkommentierte Bilder um die Welt jagt, werden diese Vorwürfe gemacht. Al Anstay von Al-Dschasira World hält dagegen:
    "Was unsere Journalisten machen, ist Journalismus. Ganz einfach! Und das ist festgelegt in Al-Dschasiras interner DNA."
    Auf der Seite der Unterdrückten?
    Al-Dschasiras interne DNA... Wir machen nur Journalismus... Ganz einfach... Sätze, die mehrfach in der Runde in Katars Hauptstadt Doha zu hören sind. Doch je häufiger derlei Sätze fallen, desto misstrauischer machen sie. Und Al-Dschasira selbst ist das vielleicht auch aufgegangen.
    Aref Hejjawi ist Palästinenser und ein altgedienter Al-Dschasira-Mann. Zwischendurch hat er eine Auszeit von etwas mehr als zwei Jahren genommen; nun ist er seit ein paar Wochen wieder dabei. Hejjawi zeichnet verantwortlich für eine gerade eingeführte - journalistische - Qualitätskontrolle. Und er hat mitgearbeitet an einem Redaktionshandbuch, in dem die journalistischen Standards des Senders festgelegt werden sollen. Angesprochen auf den Vorwurf an Al-Dschasira generell, dass der Sender insgesamt islamisten-freundlich geworden sei, holt Hejjawi aus: Während der Umbrüche in der arabischen Welt habe Al-Dschasira - wie immer - auch die Herrschenden zu Wort kommen lassen, aber trotzdem eher auf der Seite der Unterdrückten gestanden. Die Live-Kameras auf den Dächern über dem Tahrir-Platz zeigten das, was los war. Und nebenbei den Demonstranten über die Bildschirme, welchen Verlauf ihre Proteste nahmen.
    "In gewisser Weise, glaube ich, nehmen die heutigen Herrscher in Ägypten Rache an Al-Dschasira wegen der ganzen Revolution. Weil viele Leute, die zu Mubarak schon da waren, heute wieder auf den wichtigen Posten sitzen. Und die waren noch nie glücklich mit Al-Dschasira, wegen all dem, was Al-Dschasira getan hat."
    "Islamisten, keine Journalisten"
    Das Prinzip von Al-Dschasira habe sich nicht geändert: Der Sender stehe nach wie vor auf der Seite der Unterdrückten - nur in Ägypten seien das eben heute die Muslim-Brüder... Und die Al-Dschasira-Arme, denen eine Nähe zu den Islamisten nachgesagt wird - Al-Dschasira Mubashar, den 24-Stunden-Live-Kanal, und dessen rein ägyptischen Bruder Al-Dschasira Mubashar Misr, der mittlerweile geblockt ist? - Hejjawi zögert:
    "Ich habe Al-Dschasira Mubasher und Mubashar Misr in den vergangenen zwei Jahren nicht oft gesehen, weil ich ja weg war. Aber ich habe das schon von einigen Leuten gehört, dass Mubashar für die Muslimbruderschaft ist."
    Manche Kollegen Hejjawis haben bei Al-Dschasira gekündigt, weil sie ihren Namen nicht für ein einseitiges Programm hergeben wollten. Andere halten aus. Manche aus Überzeugung, weil sie dem Sender und seinen alten Idealen die Treue halten wollen. Andere hegen eher private Gründe. Auch ein Araber, der unerkannt bleiben möchte. In einem Hintergrundgespräch in Doha sagt er: Wenn ich durch die Büros von Al-Dschasira Mubashar gehe, dann wird mir übel: Die meisten dort sind Islamisten, keine Journalisten. Und es werden immer mehr. Zwar überlege er, zu kündigen, aber die Bezahlung sei eben gut.
    "Der Sender zahlt uns Schulgeld für unsere Kinder, die Krankenversicherung, teilweise die Wohnung. Und ein gutes Gehalt."
    Er beispielsweise bekomme rund elftausend Dollar. Im Monat. Die Stars, die Leute vor der Kamera oft sogar ein Vielfaches mehr. Kurz: Es sieht danach aus, als kaufte sich Al-Dschasira Journalisten - und viele lassen sich kaufen.
    "Wer die Party schmeißt, macht die Musik"
    Medien - zumal private - sind oft Propaganda-Maschinen oder vertreten eine gewisse Haltung. Fox-News in den USA - der Lautsprecher der Neo-Cons - ist da nicht besser als Hisbollahs Al Manar, Saudi Arabiens al-Arabiyya oder eben Katars Al-Dschasira. Und der Sender in Doha tendiert möglicherweise derzeit eher in die islamistische Ecke, weil das Herrscherhaus, der große Sponsor, derzeit eine entsprechende Politik macht. Auch der Programm-Kontroll-Chef Aref Hejjawi, der wirkt als stehe er prinzipiell zu Al-Dschasira, gibt sich in diesem Punkt keinen Illusionen hin:
    "Ohne entsprechende Insider-Informationen zu haben, gehe ich davon aus, dass - wer immer die Party schmeißt - auch die Musik vorgibt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass das der Fall ist."
    Möglicherweise ist das Herrscherhaus in Katar sich darüber im Klaren, dass Al-Dschasiras Ruf angeschlagen ist. Einfach dicht machen, das würde allerdings einen Gesichtsverlust bedeuten. Aber - so heißt es - der Emir finanziere mittlerweile den Aufbau eines neuen Medium-Imperiums - eine panarabische Tageszeitung, ein Internetportal, eine politische Stiftung, ein neuer Fernsehsender werde sich sicher auch noch anschließen. Vielleicht ist Al-Dschasira ein Auslaufmodell, das nach und nach vom Markt genommen werden soll? - Und der Arbeitstitel des neuen Hauses klingt nach Perspektiven: Al-Araby al-Jadid - das Neue Arabien.