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Al Jazeera Balkans
"Wir wollen zur Versöhnung beitragen"

Seit 2011 betreibt "Al Jazeera" einen Ableger auf dem Westbalkan. Der Sender hat Büros in Bosnien, Serbien, Kroatien, Montenegro, Kosovo und Mazedonien. Heikel wird es für die multiethnische Redaktion, wenn sie über regionale Konflikte berichtet.

Von Sabine Adler |
    Blick in den Newsroom von Al Jazeera auf dem Balkan.
    Der Newsroom von "Al Jazeera Balkans" ist in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. (Deutschlandfunk/Sabine Adler)
    Vorbehalte gegen "Al Jazeera Balkans" hört Fernsehdirektor Tarik Dodic schon so lange, wie er den Sender führt: acht Jahre. Der freundliche Manager reagiert gelassen, auch wenn er schon ahnt, was jetzt kommt.
    "Müssen Ihre Journalisten muslimisch sein?" - "Auf keinen Fall. Serbien ist die größte Nation in der Region." Mehrheitlich christlich-orthodox. "Wir haben ein großes Büro und sehr viele Redakteure in Belgrad. Ich bin stolz auf die Mischung unserer Mitarbeiter, die unterschiedlichen Religionen angehören und aus verschiedenen Balkan-Ländern kommen."
    Sendungen in vier Sprachen
    Im Programm sind deshalb alle Sprachen der Region zu hören, die in den Schulen immerhin noch getrennt unterrichtet werden, sich in Wahrheit aber fast nicht unterscheiden, meint Tarik Dodic in Sarajewo, wo "Al Jazeera Balkans" sein Hauptquartier hat: "Alle sprechen sehr ähnliche Sprachen: Bosnisch, Serbisch, Kroatisch oder Montenegrinisch. Das ist nach meinem Verständnis eine Sprache, die vier Namen hat, aber wir können einander zu 100 Prozent verstehen. Das zu übersetzen, wäre geradezu krank."
    Al-Jazeera-Büros gibt es noch in Zagreb, Skopje, Podgorica, in Pristina, Banja Luka, Mostar sowie in Washington. Harun Cero schreibt für "Al Jazeera Online": "Für die Kollegen in London und in Doha kann ich nicht sprechen, obwohl ich weiß, dass sehr viele Journalisten auch von BBC, CNN, Guardian und anderen großen Medienhäusern zu Al Jazeera gewechselt sind. Aber ich kann für meine Firma, 'Al Jazeera Balkans' sprechen. Natürlich arbeiten da viele Muslime, aber ich würde uns nicht als einen muslimischen Sender ansehen."
    Kopftücher sind erlaubt
    Im Newsroom sitzen rund 20 Journalisten, keine der Kolleginnen trägt ein Kopftuch, bis auf eine. "Es ist nicht verboten", sagt Direktor Dodic mit Blick auf die Kopftuchträgerin. Auch Reporterinnen mit Tuch gebe es, nur Moderatorinnen im Studio dürften keins tragen.
    Heikel wird es bei politischen Fragen, in denen sich die Länder des Westbalkans nicht einig sind. Von einer "Republik Kosovo" wird zum Beispiel nicht gesprochen, sondern nur von "Kosovo".
    "Wir haben eine harte Vergangenheit hinter uns, mit Kriegen, Konflikten in den neu geschaffenen Ländern. Deshalb wollen wir zur Versöhnung beitragen. Wenn man das als politische Agenda bezeichnen will, sage ich ja, denn darum geht es."
    "Wirklich ganz gute Nachrichtenformate"
    "Al Jazeera Balkans" wird oft auch als "Jugo-TV" bezeichnet, eine Anspielung auf die multiethnischen Programme, als die Länder noch zu Jugoslawien gehörten. Marion Kraske von der Heinrich-Böll-Stiftung in Bosnien-Herzegowina stellt dem Sender ein gutes Zeugnis aus:
    "In Bosnien ist es ganz klar, dass hier die Medien die verlängerten Arme einzelner politischer Akteure sind. Wir haben in dem Sinne keine freie Medienlandschaft, das sehen wir immer wieder. Das sind alles irgendwelche Portale, die bestimmten Gruppen entweder gehören oder zuzuordnen sind. Al Jazeera halte ich hier zum Beispiel für einen guten Sender, der auch zum Teil wirklich ganz gute Nachrichtenformate bringt. Es gibt gute Dokumentationen. Während andere Sender hier wirklich ganz klar ethno-national auftreten."
    Die Menschen informieren und bilden
    Als Vorbild dient die BBC, nur produziere "Al Jazeera Balkans" weitaus effizienter, sagt der Direktor: "Wir sind kein Werkzeug. Anfangs gab es auch in Bosnien die Erwartung, dass es sich um ein muslimisches, islamisches Programm handeln könnte, hinter dem eine Partei steht. Aber das ist nicht der Fall, sondern wir wollen die Menschen informieren, was in diesem Land nicht so üblich ist, denn überall hier üben Lokalpolitiker einen enormen Druck auf die TV-Stationen aus. Hinter allem steht eine Partei, jeder bedient ein Feindbild. Wir dagegen orientieren uns an der besten Form des westlichen Journalismus: die Menschen zu informieren und zu bilden."
    Unter politischem Druck stehen sie dennoch von Zeit zu Zeit: "Aber nicht oft. Wir wiederholen ständig, dass es uns um Information, um Nachrichten und nicht um die Unterstützung einer bestimmten politischen Idee geht."