Nur der Strahl einer kleinen Stehlampe erleuchtet die volltätowierten Hände von Keq Marku, während er sich Millimeterweise mit der Nadel über die weiße Haut seiner Kundin vorarbeitet.
"Viele Touristen kommen her und manche lassen sich ein Tattoo stechen. Die letzten drei Jahre sind es immer mehr geworden. Vor zehn Jahren war das noch nicht so. Aber nun kommen die Touristen mit dem Ziel, die Bunker zu besuchen."
Vergessen in der nordalbanischen Steppe
Durch eine kleine Luke, etwa 1,30 Meter hoch, tritt Marku vor sein Tattoostudio: ein Stahlbetonklotz, acht Meter im Durchmesser, charakteristische Igluform. Das Standardmodell "Feuerstelle" steht vergessen mitten in der nordalbanischen Steppe. Seit 16 Jahren lebt und arbeitet Keq Marku hier.
"Mein Haus steht gleich nebenan. Der Bunker war eh da. Anstatt ihn zu zerstören, wollte ich etwas daraus machen. Also habe ich hier ein Tattoo-Studio eröffnet. Ich mache hier auch Ölmalerei, aber das ist nur ein Hobby. Aber es lohnt sich einfach, hier zu bleiben."
Wenige Kilometer entfernt erheben sich die Gipfel der Albanischen Alpen, dahinter beginnt Montenegro. Bis 1990 war das als Teil des ehemaligen Jugoslawiens Feindesland. 200.000 Bunker ließ der albanische Diktator Enver Hoxha daher in den 1970er und 80er Jahren im ganzen Land zur "Verteidigung" errichten. Seit dem Zerfall Jugoslawiens rotten die meisten ungenutzt vor sich hin und die meisten Albaner wollen oder können nichts mit ihnen anfangen. Keq Marku:
"Ich sehe nichts Schlimmes an den Bunkern. Die Leute können sich die anderen Orte angucken: die Foltergefängnisse und wo die Leute ermordet wurden. Das ist etwas vollkommen Anderes. Aber die Bunker waren nur zum Schutz. Warum sollen die etwas Böses sein?"
Viele von Markus Landsleuten sehen das anders. Sie verbinden mit den allgegenwärtigen Bunkern schmerzhafte Erinnerungen die Gewaltherrschaft Hoxhas. Deren Spuren sind besonders in der 130 Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Tirana sichtbar.
Sichtbare Überbleibsel des Terrors
"Hier sind die Außenwände etwa einen Meter dick. Aber sie werden nach innen noch dicker. Bis zu 2,50 Meter."
Erklärt Ergys Gezka, während er die wenigen Besucher durch die Ausstellung "BunkArt" führt, zehn Meter unter dem Zentrum Tiranas, in einem alten Folterkeller der kommunistischen Geheimpolizei. An den Wänden hängen detaillierte Beschreibungen der angewandten Foltermethoden, aus den Zellen dröhnen nachgespielte Szenen der brutalen Verhöre. Gezka ist Vorsitzender der NGO "Brücke-Gesellschaft", die die Ausstellung über die Verbrechen der Hoxha-Zeit konzipiert hat.
"Viele sind erst mal total schockiert. Denn sie wissen überhaupt nichts darüber. Für viele der Eltern war das aber die Realität. Sie wussten es, konnten aber nicht darüber sprechen. Man durfte nichts sagen. Erinnere mich, wie mein Opa immer sagte: Sogar die Wände haben Ohren!"
Schätzungsweise 10.000 Zivilisten wurden zwischen 1944 und 1990 vom Regime ermordet. Die Bunker sind die sichtbarsten Überbleibsel dieses Terrors. Doch eine Aufarbeitung der Geschichte fand bislang nicht statt, weswegen sich die BunkArt-Ausstellung insbesondere an junge Albaner richtet. Ergys Gezka:
Schätzungsweise 10.000 Zivilisten wurden zwischen 1944 und 1990 vom Regime ermordet. Die Bunker sind die sichtbarsten Überbleibsel dieses Terrors. Doch eine Aufarbeitung der Geschichte fand bislang nicht statt, weswegen sich die BunkArt-Ausstellung insbesondere an junge Albaner richtet. Ergys Gezka:
"Zuerst sind sie beeindruckt von diesem besonderen Ort mitten unter dem Stadtzentrum. Das ist sehr außergewöhnlich. Aber dann beginnen sie zu lesen und zu verstehen, warum ihre Eltern bestimmte Dinge so sehen. Und genau das wollen wir. Die junge Generation dazu bringen, über die Vergangenheit nachzudenken.
Alte Orte positiv besetzen
Der Prozess ist schwierig. Die BunkArt-Macher werden öffentlich angefeindet, der Eingang zur Ausstellung wurde Ende 2016 von einem wütenden Mob in Brand gesetzt. Weniger radikale Gegner kritisieren Ergys Gezkas Ansatz, die Schreckensorte umzuwidmen.
"Es gibt nicht Positives an dieser Zeit, das man kultivieren und an die nächste Generation weitergeben kann. So denken die meisten Albaner. Und viele wollen daher diese Orte nicht besuchen."
Im letzten Drittel des Folterbunkers präsentiert Gezkas NGO die Werke junger Albanischer Künstler: Gemälde, Installationen, Musik. Die Bunker positiv heute positiv zu besetzen, sei ein wichtig für die Zukunft des Landes, ist sich Gezka sicher. Wie dieser Ansatz in der Realität funktioniert, lässt sich im nahen Küstenort Golem bei Kujtim Roci erfahren.
"Hier sieht man einen kleinen Teil der Außenwand des Bunkers, etwa ein Zehntel. Den habe ich sichtbar gelassen, damit die Touristen verstehen, dass das Hotel auf einem Bunker steht."
Entspannt schlendert der 54-jährige Kujtim durch das Foyer seines Lebenswerks, dem Hotel Elesio. Aus der Seitenwand ragt ein Stück eines "Feuerstelle"-Standardbunkers. Vor 25 Jahren stand dieser verlassen am leeren Adria-Stand in der Nähe des Elternhauses von Roci. Der frischgebackene Vater war damals pleite, hatte jedoch eine Idee. Also trug er die Kaffeemaschine, sowie alle Stühle und Tische seiner Eltern in den leeren Bunker, geboren war das "Café Elesio".
"Da war der Eingang und davor stand ein großer Schirm. Alle Gäste mussten darunter hindurch und kamen dann ins Innere. Hier war eine Bar und da drüben drei oder vier Tische. Alle wollten hier essen, mitten in einem Bunker."
Schnell wurde das außergewöhnliche Café zum Geheimtipp. Wenn Roci etwas Geld gespart hatte, baute er an: eine Küche, eine Terrasse, ein Gästehaus. Ende der Neunziger begann er mit dem Hotel. Im ersten Stock befindet sich heute das Restaurant. Kreisrund gruppieren sich die 60 Plätze um die auffällige Igluform in der Mitte des Raumes.
"Hier ist das Dach des Bunkers. Das ganze Gebäude steht auf dem Bunker. Er ist so etwas wie das Herz des Hotels."
Vom Bunker zum Hotel
Drei Obergeschosse stehen mittlerweile auf diesem Herzen. Die ganze Familie arbeitet im und lebt vom Hotel. Drumherum ist eine ganze Armada an Hotels entstanden, Straßen, Restaurants - Golem boomt. Auch Roci baut weiter, das Treppenhaus in den geplanten vierten Stock ist bereits eingebaut.
"Der Bunker ist ein Teil von mir. Er hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Hätte der Bunker ein Gesicht, ich würde es küssen. Ohne ihn war ich arm. Als ich angefangen habe, hatte ich ungefähr 12 Euro in der Tasche. Alles, was heute hier steht, verdanke ich dem Bunker."
Die Albaner hätten viel zu lange mit ihren Bunkern gehadert, findet auch BunkArt-Leiter Ergys Gezka. Hotelbesitzer Roci und Tattoo-Künstler Marku seien daher Vorbilder für das, was sich der Historiker für das ganze Land wünscht.
"Ein Tattoo-Studio oder Hotel in einem Bunker wirkt erst mal etwas befremdlich. Aber ich sehe darin etwas Wunderschönes. Diese Orte für etwas Anderes zu nutzen als gedacht war. Ich finde es sehr wichtig, so unsere Identität zu bewahren und gleichzeitig die Kontrolle über unser Leben und unser Land zurückzuerlangen."