Archiv

Albert Speer und seine Helfer
Geschichtsfälschung für die Mär vom unpolitischen Technokraten

Albert Speer war der Lieblingsarchitekt Hitlers. Er wurde als Kriegsverbrecher verurteilt und ließ nach seiner Entlassung 1966 nichts unversucht, sich als unpolitischen Technokraten zu präsentieren, der verführt worden sei. Diese Legende wurde gern geglaubt – und inzwischen widerlegt. Wie, das zeigt eine Schau in Nürnberg.

Von Christian Gampert |
    Projektionen historischer Dokumente sind in Nürnberg während der Ausstellung "Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit" im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu sehen.
    Projektionen historischer Dokumente in der Ausstellung "Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit". (dpa / Daniel Karmann)
    Schon der Ort der Ausstellung, das von Albert Speer konzipierte Reichsparteitagsgelände, erzählt von Verblendung und Größenwahn der Nazis. Noch als Ruinen machen diese Bauten den Menschen klein. Aber nicht um den Architekten Speer geht es in Nürnberg, sondern um den Selbstdarsteller. Der ehemalige Rüstungsminister, der die Waffenproduktion mithilfe von KZ-Häftlingen fast bis zum Kriegsende auf vollen Touren laufen ließ, behauptete auch nach seiner Haftentlassung 1966, vom Holocaust nichts gewusst zu haben.
    In der deutschen Nachkriegsgesellschaft glaubte man ihm gern – Speers Einlassungen trugen zur Selbst-Entschuldung einer ganzen Generation bei. "Haben Sie je den Namen Auschwitz gehört?" fragte völlig arglos der Journalist Joachim Fest den verurteilten Kriegsverbrecher in einem Interview 1969. Speer antwortet: "Ich hab ihn nicht direkt gehört…"
    Die Ausstellung führt eingangs die Selbstauskünfte Speers nach der Haftentlassung vor - in verschiedenen Medien. Das wird dann konfrontiert mit der historischen Forschung. Ein Vergleich beider Perspektiven lässt nur einen Schluss zu, sagt Kurator Alexander Schmidt: Speer betrieb Geschichtsfälschung.
    Das Ausbauprogramm für Auschwitz genehmigt
    "Es fängt schon bei den Erinnerungen an, dass Speer die nicht selber schreibt, sondern Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler einen ganz großen Anteil an den Erinnerungen haben. Also es ist nicht authentisch, keine richtige Quelle. Es geht weiter mit der Fälschung der Chronik der Speer-Dienststellen, wo ein Mitarbeiter von Speer Dinge streicht, die irgendwie belastend sein könnten. Und dann dieses neu abgetippte Exemplar als Original dem Bundesarchiv übergibt."
    Ansicht eines Modells der "Großen Halle" in der Nord-Süd-Achse der geplanten "Weltstadt Germania" des NS-Architekten Albert Speer. Aufgenommen am 22.03.2016 in Form einer Original-Filmrequisite aus dem Film "Der Untergang" in der Geschichtsaustellung "Mythos Germania - Vision und Verbrechen" des Berliner Unterwelten e.V. in Berlin.
    Ansicht eines Modells der "Großen Halle" in der Nord-Süd-Achse der geplanten "Weltstadt Germania" des NS-Architekten Albert Speer. (dpa / Gregor Fischer)
    Allerdings taucht das wirkliche Original später wieder auf. In Nürnberg wird nun vorgeführt: In einer Sitzung am 15. September 1942 genehmigt Speer persönlich das Ausbauprogramm für Auschwitz mit Kosten von 13,7 Millionen Reichsmark; genehmigt werden auch – "in vollem Umfang" - Pläne zur Durchführung der "Sonderbehandlung", sprich: der Errichtung von Gaskammern und Krematorien. Speers Rüstungsfabriken wurden direkt neben KZs angesiedelt, Speer selbst war in Mauthausen und sah Häftlinge in unterirdischen Stollen für die Raketenproduktion. In Berlin veranlasst er die Zwangsenteignung Zehntausender Juden, deren Wohnungen seinen Plänen für die "Hauptstadt Germania" im Wege stehen.
    Speer-Biografie: Ein Buch von drei Autoren
    Speer hat später mit dem Journalisten Joachim Fest und dem Verleger Wolf Jobst Siedler jedoch willige Helfer, die die Legende vom Naziminister, der nichts wusste, eifrig befördern. Alexander Schmidt:
    "Die haben nicht nur Sachen umgeschrieben, die haben Sachen neu geschrieben. Beispiel: Albert Speer hielt es nicht für nötig, die Reichskristallnacht in seinen Erinnerungen zu erwähnen. Fest hat ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das relativ unglaubwürdig rüber kommt, wenn er da gar nichts drüber schreibt. Und es gibt umfangreiche Briefe von Fest an den lieben, sehr verehrten Herrn Speer, wo er detailliert, in zehn, zwölf Punkten deutlich macht, was alles geändert werden muss, damit es 'ne runde Sache wird. Beispielsweise, dass er sich distanziert von Hitler irgendwie äußern muss, wenn er '45 auf einmal ein Attentat auf ihn geplant haben will - also das kann ja nicht aus dem heiteren Himmel kommen. Auf so was achten die Profis von der schreibenden Zunft. Und deswegen, würd ich sagen, ist es ein Buch von drei Autoren – und nicht nur von Albert Speer."
    Alibi für eine ganze Tätergeneration
    Speers Rechtfertigungen fallen in der jungen Bundesrepublik auf fruchtbaren Boden. Die Mär vom unpolitischen Technokraten, der von Hitlers Aura verführt worden sei, gab der ganzen Tätergeneration ein Alibi. Die psychologisierende Verführungsthese ist ja auch das Grundmuster von Joachim Fests fragwürdiger Hitler-Biografie, in die Fest die Darstellungen Speers übernahm.
    "Und insofern hält er sich mit Einzelheiten nicht auf. Man müsste leider auch hinzufügen: Mit Fakten hält er sich nicht weiter auf."
    Joachim Fest,  ehemaliger Redakteur des RIAS und Autor von Bestseller-Biografien über Hitler und Albert Speer
    Joachim Fest, ehemaliger Redakteur des RIAS und Autor von Bestseller-Biografien über Hitler und Albert Speer (Deutschlandradio / Bettina Straub)
    Und so ist die Ausstellung nicht nur eine Demaskierung des Lügners Albert Speer, sondern – implizit - auch eine Abrechnung mit dem Ghostwriter Joachim Fest.
    "Sein Hitlerbuch und auch sein Hitlerfilm "Hitler, eine Karriere" wirkten ja über weite Strecken wie eine Verfilmung der Speer-Erinnerungen, nur mit der Hauptperson Hitler. Und nicht mit der Hauptperson Speer. Insofern erzählt er immer die gleiche Story, aber er macht sie wichtig, weil er sich selber auch ziemlich wichtig findet."