Margarete Stokowskis Absage ihrer Lesung in der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl hat die Diskussion darüber befeuert, wie ein angemessener Umgang mit rechten Gedanken aussieht. Uwe Tellkamp wiederum spricht von einem linken "Gesinnungskorridor", der die Debattenkultur verarmen lässt. Das wirft die Frage auf: In welchem Maße darf Moral in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen? Und wie ist sie vom Moralisieren mit erhobenem Zeigefinger zu unterscheiden? Darüber streiten Bernd Stegemann und Albrecht von Lucke.
Stegemann: Moral darf nicht zur strategischen Waffe werden
"Ich finde die Unterscheidung Moral und Moralismus extrem wichtig. Moralismus ist für mich ein Missbrauch von Moral, weil er Moral verwendet, um die eigenen Interessen so durchzusetzen, dass sie nicht mehr als Interessen, sondern als etwas Übervernünftiges, Überparteiliches wirken. Wenn ich sozusagen vor der Frage stünde, dort in der Buchhandlung zu lesen oder nicht, hätte ich gesagt: OK, ich lese, aber nur, wenn ich vor diesem Regal lesen darf. Und dann hätte ich ein Buch rausgenommen oder vielleicht auch mehrere und versucht, damit in eine Auseinandersetzung zu treten, eine Öffentlichkeit herzustellen darüber, was denn in diesen Büchern verhandelt wird. Das wäre für mich eine aktive Form von Moral und eine aktive Form von linker Politik und nicht der Rückzug in die eigene Gemeinschaft, wo sowieso immer alle einer Meinung sind und immer denken 'Wir sind die Guten'."
Bernd Stegemann ist Dramaturg, Autor und Mitinitiator der linken Sammlungsbewegung "Aufstehen". Ende November erscheint sein Buch "Die Moralfalle. Für eine Befreiung linker Politik" im Verlag Matthes & Seitz.
von Lucke: Wir haben keine "Hypermoral" von links
"Es gibt noch eine andere Unterscheidung, nämlich den Realismus, dem man einen Moralismus gegenüberstellt. Dieser Realismus kommt dezidiert ohne Moral aus. Und die Grundfrage ist, ob wir nicht gegenwärtig eine Debatte haben, die der Moral als solcher unterstellt, dass sie wohlfeil wäre, dass sie letztlich nur diesem einen Zweck dient: Jede moralische Behauptung ist der Versuch, die eigene Position unangreifbar zu machen, indem die andere Seite moralisch diffamiert wird. Das ist die alte Kritik an der Moral, die ideologiekritisch unter Verdacht gestellt wird, letztlich nur der Abwertung der anderen Position zu dienen. Ein Realismus, der für sich behauptet, links zu sein, aber Moral als Ideologiekritik unter Verdacht stellt, ist nicht links."
Albrecht von Lucke ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der "Blätter für deutsche und internationale Politik". Vor wenigen Tagen wurde er mit dem Spezial-Preis der Otto-Brenner-Stiftung ausgezeichnet.