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Album "Exit Wounds" von The Wallflowers
Frisch aufgeblüht

Neues nach neun Jahren: Auf "Exit Wounds" präsentiert die Band The Wallflowers um Jakob Dylan kantigen Rock´n´Roll. Zwar etwas bieder und nicht sonderlich innovativ, aber eben handwerklich solide und vor allem ein "Gegenpol zum blutarmen Einheitsbrei der Charts", findet der Sohn der nobelpreistragenden Legende.

Von Marcel Anders |
Ein Mann mit kurzen Haaren in einer schwarzen Lederjacke sitzt vor einer getäfelten Holzwand.
Jakob Dylan nimmt sich gerne eine Auszeit (Yasmin Than)
Musik: "I´ll Let You Down (But Will Not Give You Up)"
"Ob ich etwas mit den Wallflowers oder als Solist mache, ist im Grunde egal. Es ist eine Frage der Laune – genau wie eine Auszeit zu nehmen. Ich muss mir nicht den Stress antun, jedes Jahr ein Album zu machen. Ich bin lange genug dabei, um da keinen Druck zu spüren. Als mir diese Songs einfielen, wollte ich sie mit elektrischen Gitarren umsetzen. Von daher machte es Sinn, den Namen Wallflowers zu verwenden."
An Selbst- und Sendungsbewusstsein mangelt es ihm nicht. Jakob Dylan ist das einzige feste Mitglied einer Band mit ständig wechselnder Besetzung. Eines seiner seltenen Interviews gibt der 51-Jährige in einem Wohnwagen am Strand von Malibu. Er schlürft Kaffee, raucht filterlose Zigaretten und wirkt so tiefenentspannt, als wäre er die letzten neun Jahre im Urlaub gewesen. Tatsächlich, gibt er zu, habe er eine kreative Pause eingelegt. Doch jetzt brauche ihn die Musik wieder – dringender, denn je:
"Es ist die perfekte Zeit, um Rock zu machen. Denn momentan werden wir mit banalem Pop bombardiert, bis die Leute genug davon haben und wieder mehr Abwechslung, Ehrlichkeit und Identität wollen. Eben richtige Musik von richtigen Künstlern. Diese ganzen Kollaborationen und Computer-Klänge sind auf Dauer langweilig, während ich etwas Zeitloses mache. Es folgt keiner Mode und keinem Trend. Und Rock´n´Roll ist auch nicht tot. Das zu behaupten, ist lächerlich. Er ist lebendig und in Bestform."
Musik: "The Dive Bar In My Heart"

Handgemachte Ehrlichkeit

Wie lebendig Rockmusik ist, verdeutlicht "Exit Wounds": Dylan sieht das Album als Gegenpol zum synthetischen Einheitsbrei der Charts. Er setzt auf Gitarren, Klavier, Bass, Schlagzeug, Mandoline und echte Streichinstrumente und bewegt sich zwischen Americana, Rock und Country. Dieser Mix beschwört den Geist der 70er und wird von amerikanischen Kritikern als "Classic Rock" eingestuft -zum Unmut des Künstlers.
"Classic Rock war mal ein abfälliger Begriff, der sich auf langhaarige Stadionrocker aus den 70ern bezog. Also nichts, womit man gerne in einen Topf geworfen wird. Doch das ist mir in letzter Zeit öfter passiert. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich schon über 30 Jahre aktiv bin. Ich hoffe nicht, dass es als Beleidigung gemeint war."
Musik: "Move The River"
"Exit Wounds" setzt auf handwerkliches Können, Spielfreude und einen abwechslungsreichen Sound. Mal kantig, wuchtig, und ungeschliffen wie in "Move The River", mal leise, verhalten, melancholisch und mit viel Atmosphäre wie in "Wrong End Of The Spear". Ein Wechselspiel zwischen kraftvollen Rockern und gefühlvollen Leisetretern: Nie zu hart, nie zu sentimental, mit charmanten Reibeisen-Gesang und ganz ohne Computer-Technik. Das ist Dylan wichtig:
"Ich habe kein Interesse daran, die ganze Zeit auf einen Bildschirm zu starren. Das ist doch schrecklich. Deshalb arbeiten die Band und ich auch nicht zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten und verschicken alles per File. Sondern: Musik ist eine gemeinschaftliche Sache, und ich ziehe es vor, wenn alle Beteiligten zur selben Zeit im selben Raum spielen."
Musik: "Wrong End Of The Spear"

Die Kunst des Allgemeingültigen

Jakob Dylan wollte nie Innovator sein oder zur Ikone werden wie sein Vater – wie auch? Mit The Wallflowers fing er zu Grunge-Zeiten an: 1989 gegründet, das Debüt erschien 1992. Jakob Dylan war stets Purist, fast schon Biedermann, der keine Grenzen auslotet, sondern auf traditionelle Songstrukturen und uramerikanische Klänge setzt. Sein Alleinstellungsmerkmal: bildliche, metaphorische Texte, die er natürlich nicht erörtern will.
"Wenn Songwriter offen über ihre Texte reden, ist das ein Indiz dafür, dass sie selbst nicht wissen, worum es da geht. Ich könnte mir jetzt etwas einfallen lassen, das vielleicht sogar ziemlich clever klingt – aber das wäre nicht ehrlich. Und ich schreibe keine narrativen Texte. Ich erzähle nichts, sondern drücke eher eine Stimmung aus, die sich unterschiedlich interpretieren lässt. Man kann da nichts falsch auslegen, es passt so ziemlich alles."
Musik: "I Hear The Ocean When I Want To Hear Trains"
Die Kunst des Allgemeingültigen. Jakob singt über Züge, Gewässer, Beziehungskrisen und das Gefühl, im falschen Film zu sein. Er ist nicht so bissig und kryptisch wie sein Vater. Und er meidet es, Ursachen und Verursacher beim Namen zu nennen.
"Diese Songs sind in chaotischen, hektischen, angsterfüllten Zeiten entstanden. Aber: Sie verstehen sich nicht als Abrechnung. Denn alles, was im letzten Jahr über Trump, die Pandemie oder über Masken veröffentlichet wurde, wird schnell veraltet sein. Und sobald wir Corona überstanden haben, möchte ich nie mehr über diese Zeit singen, die ich einfach nur vergessen möchte. Ich will nicht mehr darüber nachdenken."
Damit spricht Jakob Dylan den meisten von uns aus der Seele: Es ist höchste Zeit, wieder richtig zu leben - inklusive richtiger Rockmusik. Und da geht er mit gutem Beispiel voran.