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Album von The Range
Gesampelte YouTube-Fundstücke

Der Produzent James Hinton hat hypnotische Moment, die sich in einem kurzen Gesang, einer Spoken-Word-Passage oder einer seltsamen Stimme auftun können, im Internet aufgespürt. Unter dem Namen The Range hat er die Internetstücke in Hip-Hop- und Elektrostücken verarbeitet. Das Ergebnis ist das Album "Potential" mit elf Tracks und elf unterschiedlichen Vokalisten.

Von Frank Sawatzki | 03.03.2016
    "Als ich dieses Video anschaute, machte es Click in meinem Kopf. MC SdotStar erzählt, dass er keinen Plan für den Fall habe, dass nichts so läuft, wie es laufen könnte. Das wurde zu einem Hauptgedanken für meine Platte: Wenn dein Werk veröffentlicht ist, besitzt du kaum mehr Kontrolle darüber. Alles, was du in deine Arbeit stecken kannst, ist Hoffnung. Am Ende des Tages bleibt die Hoffnung, dass das, was du der Welt präsentierst und deine Persönlichkeit vielleicht eine Reaktion bei den Leuten auslöst."
    Die Stimmen, die James Hinton für sein neues Album "Potential" sammelte, stammen aus Amateur-Videos auf YouTube, die kaum Clicks haben, sie zeigen Menschen in ihrem Privat-Ambiente, erzählen von Träumen und Wünschen, von Zweifel, Trauer, Melancholie. Und von dem Moment, in dem ein Sänger oder Rapper sich der Öffentlichkeit stellt, bei aller Unfertigkeit. James Hinton möchte diesen Stimmen Gehör verschaffen.
    "Wir sind doch alle ein bisschen gesättigt von diesen Pop-Star-Geschichten. Wie das mit Justin Bieber anfing, ein Beispiel für einen der bestverkaufenden Künstler unserer Zeit, für eine Karriere, die auf YouTube startete. Aber es gibt auch viele andere Gründe, sich auf YouTube zu präsentieren, die nichts damit zu haben, dass jemand Berühmtheit erlangen möchte."
    Seine "Kollaborateure" hat Hinton über Facebook und andere Medien kontaktiert und sie um Erlaubnis für die Samples gefragt. Einige Stimmen klingen, als hätte man sie im Badezimmer oder in der Garage aufgenommen, immer schön weit weg vom handelsüblichen Pop-Wohlklang. Im neuen Sound-Ambiente auf dem Album schmiegen sie sich unseren Hörgewohnheiten dann erstaunlicherweise doch wieder an. Ein Verdienst, das Hinton seiner sensiblen Arbeitsweise gutschreiben darf.
    "Ich habe dem Gesang gewissermaßen ein Nest gebaut, und dieser Gesang verlieh meiner Klangpalette einen neuen Kontext. Ich ließ die Stimmen, die mich so sehr ansprachen, plötzlich meine Musik bestimmen – und nicht umgekehrt."
    "Kruddy Zak war unglaublich jung, als er sein A-Cappella-Video auf YouTube stellte, 13 oder 14. Und er spricht über die Zeit, als sein Freund gestorben ist. Es hat mich schwer beeindruckt, dass ein so junger Mensch solche Gefühle mitteilt. Und es gibt eine Verbindung zu mir: Meine Mutter starb 2009, das war genau das Jahr, von dem er spricht. Wir kannten uns nicht, aber unsere Geschichten laufen parallel. Das musste einfach aufs Album, das hatte etwas Übernatürliches."
    Elf Tracks mit elf unterschiedlichen Vokalisten – das Album hätte ein Sammelsurium von Kuriositäten werden können. Ist es aber nicht. Hinton schlägt mit dem Titel "Potential" eine andere Lesart seines Projektes vor: Während des Produktionsprozesses merkte er, dass die oft geisterhaften Stimmen aus dem Internet ihm Ideen und Gedanken zuspielten, die auf seinen bisherigen Aufnahmen noch keinen Platz gefunden hatten. Und die Stimmen hatten mehr mit ihm und seiner Geschichte zu tun hatten, als er das anfangs wahrnehmen konnte.
    "Ich wusste für mich immer nur eins, dass ich Musik machen wollte. Mein Körper sagte mir, dass es nichts anderes für mich gibt. Wenn jemand rausgeht und den Aufnahmeknopf für ein Video drückt, ganz gleich, ob er sich unmittelbar ausdrückt wie Roger oder ob er ein Cover macht wie Kai im Track "Florida", dann treibt ihn etwas dorthin, tagein, tagaus. Ich bin mir sicher: Das hat mit einem unterbewussten Teil meines Lebens zu tun."