Musik: "All Day Ticket"
"Ich komme aus Grantham, Lincolnshire, in der Mitte von Großbritannien. Eine Kleinstadt mit historischem Markt. Ein echter Scheiß…"
Sein Beruf: "Ich bin Rapper, Einpeitscher, Spoken Word-Künstler. Aber ich singe auch."
Seine Songs sind nichts für Zartbesaitete: "Meine Texte können ziemlich unflätig sein, weil ich viel fluche. Sie handeln von dem, was gerade passiert – und wie mein Leben aussieht."
Mit dem Erfolg seiner Band hätte er nie gerechnet: "Ich wusste zwar, dass wir gut sind, aber dass wir mal so erfolgreich werden könnten, damit hätten mein Partner und ich nie gerechnet. Eine ziemliche Überraschung."
Sein Name: "Mein Name ist Jason Williamson. Ich bin Sänger der Sleaford Mods."
Musik: "B.H.S."
Der schlummernde Vulkan
Jason Williamson empfängt Corona-konform: am Bildschirm in seinem "personal meeting room", der Küche seines Apartments in Grantham. Eine Kleinstadt mit 44.000 Einwohnern, 30 Auto-Minuten östlich von Nottingham. Williamson wächst auf einer Farm im Umland auf, hat aber keine Ambitionen, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Stattdessen will er Musiker und Schauspieler werden. Doch für ein Instrument fehlt ihm das Talent. Und erste Versuche als Sänger scheitern kläglich, so der inzwischen zweifache Familienvater über seine Anfänge. Auch als Schauspieler hat er sich mal versucht: "Das erforderte viel zu viel Disziplin – und ich war zu sehr von anderen Dingen abgelenkt. Außerdem war ich nicht sonderlich begeistert von der Tatsache, dass ich so viel Geld für Theaterschulen bezahlen sollte. Das hatte ich einfach nicht. Und ich weiß auch nicht, ob ich bei dem ganzen jakobinischen Kram sonderlich gut gewesen wäre. Also eher nicht. Ich meine, ich war OK in der Schule, aber ich bevorzuge halt normale, modernere Stücke. Wenn ihr wisst, was ich meine."
Musik: "Jobseeker"
"Jobseeker" aus dem Jahr 2008. Ein für das Frühwerk der Sleaford Mods typisches Stück: Der monoton-treibende Beat basiert auf einem Sample aus "For Your Love" von den Yardbirds. Der Text: eine wütende Abrechnung mit britischen Jobcentern, in denen, so Williamson, Menschen wie Vieh behandelt werden. Er spricht aus Erfahrung. Sein beruflicher Werdegang bis Mitte 30 besteht aus Aushilfsjobs: Als Türsteher, Security, Kellner, Lagerarbeiter, Schlachter auf einer Hühnerfarm. Dazwischen ist er immer wieder arbeitslos. Er sei halt ein Idiot gewesen, so Williamson heute, habe viel Zeit im Pub, beim Fußball und mit seinen Kumpels verbracht. Dann war da noch die Wut auf sich selbst. Für dieses Problem war Gewalt ein willkommenes Ventil - bis er sich ein neues verschaffte: die Sleaford Mods.
Musik: "Tweet Tweet Tweet"
Ein Stück von 2014, aus dem siebten Album "Divide And Exit". Das Duo aus Williamson und DJ Simon Parfrement benennt sich nach Sleaford, der Nachbarstadt von Grantham. Ein Ort, der deutlich kleiner ist und, so das Vorurteil, eher hinterwäldlerisch. Dementsprechend ist die dortige Jugend auch noch in der Subkultur der 60er und 70er, der sogenannten Mod-Culture, verhaftet und steht für Motorroller und Parka. Der Name also ist eine Verballhornung, was Williamson nicht davon abhält, selbst einen Modtop, eine topfartige Kurzhaarfrisur, zu tragen. Musikalisch spezialisiert sich das Duo auf minimalistische Stücke: rudimentäre elektronische Beats, auf denen Williamson im breitesten Midlands-Slang über Themen wie Politik, Klassengesellschaft, Kapitalismus, Rassismus und Popkultur schimpft. Der Kneipen-Gesprächs-Kosmos also, in dem er sich selbst bewegt und der seinen Puls auf 180 bringt. "Ich schreibe über das, was um mich herum passiert und mich wütend macht. Also Dinge, die alltäglich sind, die gerne übersehen oder einfach unter den Teppich gekehrt werden. Da dürfte mir so schnell nicht der Stoff ausgehen. Zumal es ja auch therapeutisch ist, wenn ich mich mit Dingen befasse, die mich sauer machen."
In den letzten 14 Jahren hat der Berufs-Agitator imposante zehn Alben mit seinem geballten Unmut gefüllt. Allesamt auf unabhängigen Labels, stellenweise auch im Eigenvertrieb. Seit 2015, mit der Veröffentlichung von "Key Markets", mit wachsendem kommerziellen Erfolg. Eine Entwicklung, mit der er nie gerechnet hätte, und die ihn, so sagt er, zu einem besseren Menschen gemacht habe.
"Ich bin glücklicher, habe mehr Geld und Erfolg, kann mehr machen und das Leben ein bisschen genießen. Das heißt nicht, dass ich wer weiß wie reich wäre, aber es ist nicht mehr so übel, wie es mal war. Natürlich wusste ich von Anfang an, dass wir gut sind. Aber es hat mich doch umgehauen, dass wir damit so weit gekommen sind. Das war eine ziemliche Überraschung."
Musik: "OBCT"
Inzwischen hat Williamson den Pubs abgeschworen und sein Temperament weitestgehend unter Kontrolle. Trotzdem hat er im Interview eine dezent bedrohliche Ausstrahlung: kurzrasierte Haare, stechender Blick, messerscharfe Formulierungen, dazu das laute, kehlige Lachen. Diesen Mann möchte man nicht in Rage bringen, selbst, wenn er weit weg ist. Williamson hat etwas von einem schlummernden Vulkan und genau der bricht in seinen Songs aus.
Musik: "Mork And Mindy"
Arme, kleine Schweinerippchen
"Mork And Mindy", eine bissige Sozialstudie über das trostlose Großbritannien der 70er und 80er, in dem Williamson aufgewachsen ist. Er beschreibt also eine Welt aus Plattenbauten, zwischen denen Gangs ihr Unwesen treiben, schlechtem Essen, Massenarbeitslosigkeit und dem vergilbten Mythos des Empires.
"Man könnte sagen: Es ist der Sound meiner Kindheit, eine ereignisarme, langweilige Zeit mit einer nervtötenden Schul-Routine und Wochenenden, an denen rein nichts passiert ist. Es war, als ob man in einer Schuhschachtel gelebt hätte. Als ob man gefangen wäre. Das wollte ich mit ´Mork n Mindy´ rüberbringen."
Das hässliche England der Thatcher-Jahre, der perfekte Stoff für die erste Single aus dem neuen, elften Album der Sleaford Mods. Das trägt den vieldeutigen Titel "Spare Ribs" und erweist sich als bislang bestes Werk des Duos. Zusammen mit Andrew Fearn, der 2012 die Rolle des Beats-Lieferanten übernimmt, serviert Williamson 13 Stücke, die musikalisch vielseitiger und lyrisch noch frontaler sind. Wo in der Vergangenheit rudimentärer Elektro-Punk dominierte, der einen reinen Klangteppich für die Texte bildete, finden sich jetzt Anleihen bei New Wave, Synthie-Pop, Industrial und Soul. Dazu richtige Gitarren, Keyboards und Schlagzeug. So mischen die Sleaford Mods einen eigenwilligen Cocktail aus dem HipHop des Wu-Tang Clan, den elektronischen Klängen der Two Lone Swordsmen, dem Düster-Rock von Joy Division und dem Indie-Geschrammel von The Fall. Wie das klingt? So:
Musik: "Shortcummings"
"Shotcummings" vom aktuellen Album der Sleaford Mods: "Spare Ribs". Die so eindimensional klingende Mahlzeit überrascht mit mehreren Zutaten und großer stilistischer Bandbreite. Für die hat Williamson eine ganz simple Erklärung: Die Erfahrung von durchschnittlich einem Album pro Kalenderjahr – und das seit 2007. Diese Kontinuität sorgt für Anspruch und Ehrgeiz, die sich auch in Williamsons Vokal-Vortrag niederschlagen: Statt aggressivem Spoken Word, bemüht er sich erstmals um richtigen Gesang. Für ihn ein denkbares Modell für die Zukunft:
"Ich versuche, das immer weiter voranzutreiben. Und es gibt nichts, was mich aufhalten könnte. Spätestens seit dem Album "English Tapas" haben wir erkannt, dass es nicht immer nur mein Geschimpfe und Andrews Beats sein müssen, sondern, dass da durchaus richtige Musikalität und eine breitere Vision vorhanden sind. Gerade, weil Andrew sich musikalisch mehr zutraut, ermutigt das auch mich, mal etwas Anderes zu probieren. Er wartet ständig mit Kram auf, der von mir verlangt, da mitzuziehen. Also nicht nur diesen Typen zu geben, der wild rumflucht. Das setzt sich auf dem Album fort."
"Fishcakes": Die Sleaford Mods mit einem singenden Frontmann. Eine enorme Bereicherung für die Songs des Duos, und Ausdruck eines neuen Anspruchs an die eigene Kunst. Anspruchsvoll sind auch weiterhin die Texte. Keine leichte Kost wie es zarte Spareribs sein können.
"Ich bin mit Spare Ribs aufgewachsen, dieser chinesischen Spezialität, die ich sehr mag. Aber die Idee hinter dem Album ist eher, dass wir alle Spare Ribs, also arme, kleine Rippchen sind. Denn für die Wirtschaft sind wir reines Kanonenfutter. Und der Virus und die Anzahl der Menschen, die in Großbritannien wegen der Unfähigkeit der Regierung gestorben sind, untermauert diese Theorie. Natürlich trifft das auch auf die Zeit vor der Pandemie zu, genau wie auf die Zukunft; also auf den Kapitalismus im Allgemeinen. Deshalb hielt ich das für den passenden Album-Titel. Vielleicht ist er ein bisschen extrem, aber eine interessante Beobachtung."
Laut Williamson ist der Durchschnittsbrite, der Arbeiter und Angestellte nichts anderes als ein günstiger Snack für die Reichen und Mächtigen: Gezüchtet, gegrillt, abgenagt und weggeworfen in einem menschenverachtenden System. Blickt Williamson auf das moderne Großbritannien, kann er sich an vielen Facetten abarbeiten: von Corona über Brexit, das indiskutable Krisenmanagement von Boris Johnson, den boomenden Nationalismus und den Ausländerhass durch rechte Propaganda. Aber eben auch die Dummheit und Ignoranz vieler Landsleute, die auf Populisten reinfallen. Die permanent an die Missstände erinnert werden müssen, damit sie endlich aus ihrer Lethargie erwachen, die britische Gesellschaft erneuern und auch wieder bessere Musik machen:
Musik: "Spare Ribs"
Brexit und andere Verbrechen
Es gibt viel zu schimpfen, doch Williamsons Lieblingsthema ist ohne Frage der Brexit, der – Achtung, es wird mal wieder explizit – von einem Pferdepenis in seine Bestandteile kopuliert werden müsse: "Let´s get Brexit fucked by a horse penis until its misery splits". Motto: Fiese Probleme verlangen ebensolche Gegenmaßnahmen.
"Brexit ist eine Lüge, ein richtiger Haufen Scheiße. Warum haben sie das bloß bis zuletzt durchgezogen? Es ist ein Verbrechen an der Menschheit, initiiert von der Politik. Und es ist längst nicht das einzige, aber ein besonders widerwärtiges. Das beginnt schon beim Namen: Brexit. Von daher bin ich sehr zufrieden, was den Text betrifft. Ich denke, ich habe den Nagel auf den Kopf getroffen."
Genauso klar wie bezüglich des EU-Ausstiegs von Großbritannien ist Williamson in seiner Ablehnung gegenüber sozialen Medien, C-Klasse-Promis oder Mogulen wie Elon Musk oder Jeff Bezos. Eigentlich lehnt Williamson die gesamte aktuelle Kapitalismus-Gesellschaft ab, und die Unterhaltungsindustrie. Wer darin Karriere macht, müsse sich zwangsläufig ihrem Niveau anpassen:
"Du musst einfach Scheiße sein, um Erfolg zu haben. Und je beschissener du bist, desto größer ist dein Publikum. Selbst, wenn du nur wenig Talent in Sachen Songwriting hast: Solange du das mit einer Menge Quatsch und irgendwelchen Gimmicks verpackst, ist dein Ruhm vorprogrammiert. Also: Du musst Scheiße sein, um es in diesem Spiel zu etwas zu bringen. Du kommst nur gut in dieser Industrie klar, wenn du ganz allgemein ziemlich dumm bist und sämtlichen Stereotypen entsprichst."
Musik: "Elocution"
"Elocution". Wer gut in Rhetorik ist, kann es im Leben weit bringen. Wer nicht, habe eben Pech gehabt. Jason Williamson zählt sich zwar zur zweiten Gruppe, hat aber die Sleaford Mods. Sein Vehikel zur freien Meinungsäußerung und die Chance, in eine Rolle zu schlüpfen, die es in der Musik des 21. Jahrhunderts kaum noch gibt: Die des klassischen Protestsängers, der sich, wie einst Pete Seeger und Woody Guthrie, als Sprachrohr für die Arbeiterklasse und untere Mittelschicht versteht, für hart arbeitende Underdogs wie ihn selbst. Damit sind Williamson und Fearn ein Gegenpol zum Mainstream – gesellschaftlich wie musikalisch. Die Alben des Duos erscheinen auf renommierten Indie-Labels, Konzerte finden prinzipiell im möglichst kleinen Rahmen statt und Öffentlichkeitsarbeit bedeutet, gezielt Missstände anzukreiden. Dieser Ansatz, da ist sich Williamson sicher, wird nie langweilig. Und mit diesen Themen lassen sich noch viele Alben füllen. Jason Williamson macht sich denn auch keine Sorgen um die Zukunft der Mods. Er weiß: Es handelt sich um eine einzigartige Band, mit der er vielleicht nie reich wird, aber die sein Leben definitiv verbessert und denselben Effekt auf viele andere Menschen hat, die sich mit seinen streitbaren Ansichten identifizieren können. Das ist ihm Glück genug. Viel mehr als es ein Wechsel in die Politik, der ihm oft nahegelegt wird, jemals sein könnte:
"Wahrscheinlich würde ich da keine zwei Minuten durchhalten. Denn: Ich würde handgreiflich werden und rausgeschmissen werden. Gerade im britischen Unterhaus, in dem all diese elitären Geldsäcke sitzen. Ich würde über Tische und Bänke fliegen, sie würden mit dem Hammer auf mich losgehen – und ich müsste mich mit Waffen verteidigen."
Für die Zukunft planen Williamson und Fearn so viele Konzerte wie eben möglich zu geben. Auch da sind die Mods eine Macht: Während Fearn nahezu regungslos vor seinem Laptop steht, zelebriert Richardson ein Feuerwerk an Schimpftiraden, das keinen Stein auf dem anderen lässt. Auf der Bühne verprügelt Williamson sein Publikum regelrecht mit Worten. Jeder seiner rhythmisierten Sentenzen sitzt wie ein Kinnhaken. Darauf ist er stolz – wie auf alles, was die Sleaford Mods in den letzten 14 Jahren getan und erreicht haben.
"Es gibt nichts, bei dem ich das Gefühl hätte: "Oh Mann, wie konnten wir nur?" Also es gab noch keine Veröffentlichung, mit der ich unzufrieden gewesen wäre, und keinen einzigen Gig, der mies gewesen wäre. Was schon eine Leistung ist. Ich will jetzt nicht angeben und behaupten, wie toll wir wären oder dass wir nichts falsch machen würden. Aber alles, was wir bisher geleistet haben, macht mich wirklich stolz."
Wohl dem, der das von sich behaupten kann!
Musik: "McFlurry"