Musik: "A Midsummer Night‘s Dream"
"My gentle Puck! Come hither, come hither!"
So hat auch vor 50 Jahren das Eröffnungskonzert des Aldeburgh Festivals geklungen. Benjamin Brittens Oper "A Midsummer Night‘s Dream" hatte ihre Uraufführung in dem Konzertsaal, von dem Benjamin Britten immer geträumt hatte. Seit 20 Jahren gab es Brittens Musikfestival damals schon, die Dorfkirchen und Gemeindesäle überall in Suffolk waren längst zu klein, um alle Zuschauer aufzunehmen, die dem Ruf des international berühmten und lokal beliebten Komponisten folgten.
Musikzentrum Snape Maltings
Ein Sommernachtstraum auch ohne Elfenzauber wurde wahr, als Benjamin Britten 1968 eine stillgelegte Mälzerei pachten durfte. Am Fuße des Hügels, auf dem das Dörfchen Snape liegt, in dem Britten lange gewohnt hatte. Das Musikzentrum Snape Maltings war geboren. Clive Sutton war damals Anfang 20 und arbeitete als Fotograf für eine Lokalzeitung.
"Wenn Ben sich was in den Kopf gesetzt hatte, setzte er es immer ganz schnell um. Er war ein Visionär! Heute ist der Konzertsaal ein großer, offener Raum. Als das Gebäude noch eine Mälzerei war, gab es aber Zwischendecken. Offenbar wusste Ben aber, dass der Raum als ganzer viel besser klingen würde. Heute ist er berühmt für seine Akustik, er ist noch immer einer der besten Konzertsäle in Europa. Das Magische daran ist die Intimität und die Wärme, man fühlt sich fast wie in einem Wohnzimmer. Das Geheimnis der Akustik ist der rote Backstein. Dieser Suffolk-Backstein wurde hier ganz in der Nähe gefertigt. Der Stein ist sehr trocken, sodass der Klang nicht reflektiert, sondern von den Mauern absorbiert wird. Und dann ist das Gebäude so behaglich in die Umgebung eingebettet. In den Pausen kann man hinausgehen und das Marschland überblicken. Man muss nicht mal weit gehen, gleich vor der Tür liegen der Fluss und die Marsch mit ihrem Vogelgezwitscher und runden die Konzerte ab."
Ein idyllisch gelegener Konzertort mit einer Akustik, die seit der ersten Stunde auch für Schallplatten-Aufnahmen genutzt wird, ist Snape Maltings. Vor allem aber ist hier das musikalische Zentrum der Britten-Pears-Foundation entstanden, in dem Musikstudenten ihre ersten berufspraktischen Schritte in internationalen Orchesterakademien machen und etablierte Künstler aus der ganzen Welt sich treffen. Auch der in London lebende Dirigent Gerry Cornelius.
"Dieses ganze Anwesen hier in Snape ist total abgeschieden – physisch gesehen. Ein eigentümlicher Ort, den Britten ausgewählt hat, um zu sich selbst zu finden. Um nicht nur seine eigene Musik erklingen zu lassen, sondern auch andere Künstler einzuladen, die er herausragend fand, Leute aus der ganzen Welt, aus Russland und darüber hinaus!
Britten-Pears-Schule, Experimentalstudio, Residenzen
Und Snape ist immer noch eine enorme Quelle der Kreativität. Hier werden Leute in Verbindung gebracht, die sonst vielleicht nie zusammen gekommen wären. Wie Olga Neuwirth und Benjamin Britten, hier gewissermaßen verbunden durch ihre War Requiems. Und neben dem Festival gibt es hier so viel mehr – die Britten-Pears-Schule, das Experimentalstudio, die Residenzen, bei denen Komponisten einander treffen können, das ist ein riesiger Schmelztiegel. Von außen ist das hier ein verschlafenes englisches Dorf, aber in Wirklichkeit ist Snape ein sprudelndes Energiezentrum."
Die London Sinfonietta spielte unter Gerry Cornelius‘ Leitung Olga Neuwirths "Film Music War Requiem", das sie zu dem handkolorierten Schwarzweiß-Film "Verdammter Krieg" von 1914 komponiert hat. In den Applaus hinein ruft ein Mann: "Habt ihr für den Brexit gestimmt? Dann habt Ihr das hier gewählt!"
"Der Rest der Welt muss gerade denken, dass wir alle einen Knall haben"
Der Ausgang der Wahl in Großbritannien, die Zukunft des Landes ist das Thema der Stunde, wie abgeschieden man sich hier auch fühlt.
"Der Rest der Welt muss gerade denken, dass wir alle einen Knall haben. Wir verstehen es selbst noch nicht richtig. Mit Andrew Watts, dem Solisten heute und mit Olga Neuwirth habe ich letztes Jahr kurz nach dem Brexit gesprochen. Wir waren uns einig, dass unsere gesamte Arbeit abhängig ist von Freundschaften und Verbindungen, die grenzübergreifend sind. Um unsere Musik zu spielen reisen wir doch ständig, nach Paris, Berlin, Wien, London – oder hier nach Snape. Grenzenlosigkeit ist die Währung, in der unser künstlerisches Arbeiten verhandelt wird."
"Wir werden immer eine internationale Organisation sein"
Weltoffenheit, Internationalität und gegenseitige Inspiration sind Dinge, die Benjamin Britten waren. Lokal verwurzelt, aber nationalen und internationalen Einflüssen gegenüber aufgeschlossen. Dies sind und bleiben die Leitlinien der gesamten Britten-Pears-Foundation und damit auch des Aldeburgh Festivals, sagt der Geschäftsführer von Snape Maltings, Roger Wright.
"Wir werden immer eine internationale Organisation sein, mit internationalen Musikern und Komponisten, die hier arbeiten. Und Musik wird immer eine internationale Sprache bleiben – dem kann man nicht einfach Grenzen setzen, die politisch sind. 1948, als das Festival gegründet wurde, war auch kein einfaches Jahr! Es war keine einfache Zeit, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. Gerade jetzt ist unsere Verpflichtung als Organisation selbstbewusst zu sagen: Dies sind die Dinge, die wir tun möchten. Zu erklären, warum unsere Aktivitäten so wichtig sind. Wenn man in einer Welt wie dieser nicht zuversichtlich ist, wenn man den einfachen, bequemeren Weg einschlägt, dann ist das vermutlich ein Fehler. Wir sollten eine selbstsichere Organisation sein, ohne arrogant zu wirken, eher auf eine stille Weise stolz auf unser Erbe. Wir sind überzeugt von dem, was wir tun und fördern."
Diese Selbstsicherheit strahlt auch das Jubiläumsfestivalprogramm aus. Reminiszenzen an Jahrgänge unter Brittens eigener Leitung sind zu finden, aber vor allem serviert es die kostbaren Früchte ganz aktueller Arbeitsphasen junger Künstler in Snape Maltings. Das Gesangsensemble Ex audi hat die Ohren des Festivalpublikums für Fünfteltonmusik geöffnet, die bereits im 16. Jahrhundert ihren Anfang genommen hat. Und das Belcea Quartett aus London hat gezeigt, was es hier in 18 Jahren an Ausdruck gewonnen hat. Ein gelungener 70. Geburtstag des Aldeburgh Festivals.