Schwere Gefechte beim Vormarsch der Regimetruppen in Nordsyrien haben eine Massenflucht der Bewohner der Region um die Großstadt Aleppo in Richtung Türkei ausgelöst. Etwa 40.000 Flüchtlinge waren am Freitag nach Schätzungen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte auf dem Weg zur türkischen Grenze oder warteten dort auf Einlass. Rund 10.000 Menschen versammelten sich Hilfsorganisationen zufolge nahe der geschlossenen Grenzübergänge. Ob und wann sie eingelassen werden würden, ist unklar.
Die türkische Regierung fürchtet bis zu 70.000 Flüchtlinge aus der Region um Aleppo. Das Land hat mit 2,5 Millionen Menschen die meisten Menschen aus dem Bürgerkriegsland aufgenommen.
Merkel fordert Ende der Angriffe
Seit einigen Tagen meldet die Armee von Machthaber Baschar al-Assad Erfolge gegen Rebellen in der nordwestlichen Provinz Aleppo. Der Kommandeur einer von den USA unterstützten Rebellengruppe sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Gebiet nördlich der Großstadt sei völlig von Regierungstruppen eingeschlossen und werde von russischen Kampfflugzeugen heftig bombardiert. Es gebe mehr als 250 Luftangriffe an einem Tag. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Am Freitag eroberten syrische Truppen zusammen mit verbündeten Milizen das Dorf Ritjan nördlich von Aleppo, berichteten sowohl die staatliche Nahrichtenagentur Sana als auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien, die Informationen oppositioneller Aktivisten in Syrien sammelt. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, seine Luftwaffe habe in dieser Woche 875 Ziele in Syrien angegriffen, auch im Gebiet der derzeitigen Regierungsoffensive im Norden.
Kritik an Syrien und Russland
Die Bundesregierung und die NATO kritisierten Syriens Verbündeten Russland wegen der Bombardements. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte von Russland und der syrischen Regierung die Einstellung ihrer Angriffe. "Alle müssen verstehen - und das gilt vor allem für das Assad-Regime und auch für Russland -, dass die Verschlechterung der humanitären Situation natürlich die Möglichkeit, auch politische Gespräche zum Erfolg zu führen, noch einmal verringert", sagte sie.
Auch die NATO sieht die syrische Regierungsoffensive bei Aleppo mit wachsender Sorge. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, die Verletzungen des türkischen Luftraums häuften sich. Die Türkei hatte erst kürzlich wieder das Eindringen eines russischen Kampfjets in ihren Luftraum gemeldet und im vergangenen November sogar ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen. Russische und syrische Luftangriffe in Grenznähe "schaffen Gefahren, verschärfen Spannungen und sind natürlich eine Herausforderung der NATO, weil es sich um Verletzungen des NATO-Luftraums handelt", sagte Stoltenberg.
Er warf Russland vor, mit seinem Eingreifen zugunsten von Assad "Bemühungen zu unterlaufen, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden". Moskau wies die Schuldzuweisungen zurück. Die Genfer Friedensgespräche wurden vom UNO-Vermittler Staffan de Mistura am Mittwoch für drei Wochen ausgesetzt. Der Schritt fiel mit militärischen Erfolgen der syrischen Regierungstruppen zusammen.
(hba/fwa)