Je mehr die Ulbrichtsche Kulturpolitik Becher als den ersten sozialistischen Klassiker herausstellte, desto kritischer wurde man auch im eigenen Lande ihm gegenüber. Die Abwertung setzte sich nach seinem Tode weiter fort.
Mittenzwei wünscht sich eine differenziertere, sprich - alles in allem - freundlichere Bewertung Bechers. Diese Forderung wird so schnell nicht erfüllt werden. Die so genannte Nachwelt hält sich vorerst an die vorherrschenden Urteile der Mitwelt, der Becher vor allem Angriffsflächen bot. Die Biographie von Alexander Behrens verweigert sich der Ehrenrettung. Um Rehabilitierung eines vermeintlich Verkannten kann es nicht gehen. Der distanzierte Zugriff wirkt auf den ersten Blick wissenschaftlich korrekt. Dass er aus einem strikt antikommunistischen Vorverständnis schreibt, sollte ihm nicht vorgeworfen werden, auch wenn das der Einfühlung in die Gedankenwelt seines fragwürdigen Helden Grenzen setzt.
In zehn Kapiteln beschreibt er chronologisch wohlgeordnet Bechers Lebensweg. Mit Recht korrigiert er die Vereinfachungen, die den ganz jungen Becher als Opfer unmenschlicher Zustände stilisierten. Als er in pubertärer Ekstase mit der Freundin aus dem Leben scheiden wollte und er bei dem, wie die Juristen sagen, "einseitig erfolgreichen Doppelselbstmordversuch" überlebte, halfen ihm sowohl der oft als reaktionär gebrandmarkte Vater wie der Lehrkörper des Münchner Wilhelmsgymnasiums, der dem Schüler eine halt- und sinnlose Verliebtheit, eine maßlose Dichtereitelkeit und einen irregeleiteten Idealismus bescheinigte.
Der Vater half ihm finanziell bei den Versuchen, seine expressionistischen Gedichte zu publizieren, und bei den schmerzhaften Entziehungskuren, die ihn vom Morphiumgenuss abbringen sollten. Der Autor unterschätzt die Kontinuitäten, die charakterlichen Konstanten Bechers. Gefährdet und unsicher suchte er Halt und Rettung, aber er fand auf Dauer die ersehnte Erlösung nicht, auch nicht in der kommunistischen Bewegung. Bei Behrens fehlt, dass Becher ein Leben lang Morphinist blieb, dass er auch als Kulturminister der DDR nicht ohne Drogen auskam, die er sich über Westberlin verschaffen musste.
Behrens betont zu Recht Bechers virtuose Assimilationskraft. Als Dichter greift er ein wolkiges Vokabular heiliger oder vaterländischer Metaphern auf. Auch als kommunistischer Klassizist bleibt er diesem Pathos verpflichtet, äußert er sich epigonal hölderlinisch. Schon der Expressionist Becher kleidete sich in christliche Heilsgewänder. Wie sollte er sich kostümieren, wo sollte er sich festbinden? In Bad Urach probierte er das Leben in einer jugendbewegten, lebensreformerischen Kleinkommune aus, und die KPD erfüllte für ihn zunächst die gleiche Funktion wie eine spiritistische Sekte.
"Frühe Bewährung im Parteitagsapparat" nennt Behrens das Kapitel über die Jahre 1923 bis 1926. Sich der Parteidisziplin zu unterwerfen, bot dem psychisch Labilen die ersehnte Entlastung. Er litt nicht unter Abhängigkeiten, sondern unter der Formlosigkeit der Freiheit. Von Anfang an galt Becher als "Bündnismann". Er baute Netzwerke aus Sympathisanten auf, die der kommunistischen Sache dienten. Der Charmeur umgarnte linksbürgerliche Autoren. Der gewandte Kontaktmann und hervorragende Organisator beherrschte den Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Becher orientierte früh auf das Erbe, risikolos, weil Stalin konservativ-patriotisch den Proletkult liquidiert hatte.
Nach 1933 bekräftigte er als Redner auf dem sowjetischen Schriftstellerkongress 1934 und auf dem Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Paris 1935 diese humanistische Position der Bewahrung abendländischer Traditionen gegen anarchistisches Revoluzzertum. Dazu gehörte kein Mut, die kommunistischen Parteiorganisationen beanspruchten längst, die Treuhänder der überlieferten Menschheitskultur zu sein. Johannes R. Becher hatte schreckliche Jahre des Exils in der Sowjetunion verbringen müssen, von 1935 bis 1945. Hochgefährdet und doch ein Glückskind? Er überlebte die Säuberungen und 1942 auch den Selbstmordversuch. 1945 kam er enthusiastisch in die Sowjetzone und spielte überzeugend überparteiliche Bündnispolitik vor, besonders im Kulturbund.
Als erster Kulturminister der DDR wurde er mehr und mehr zum Repräsentanten ohne Einfluss. Alexander Behrens fasst alles zusammen, und doch ist der Leser enttäuscht. Der Verfasser verfitzt sich in den heute belanglosen Ost/Weststreitigkeiten um den "Kongress für kulturelle Freiheit", die Spaltung des PEN-Zentrums oder die von Becher inspirierten deutsch-deutschen Kulturgespräche. Im Wust unwichtiger Details verschwindet Johannes R. Becher.
Das Adjektiv "politisch" im Untertitel "Eine politische Biographie" präzisiert Lesererwartungen, markiert aber vor allem eine Lücke. Der Zugriff des Historikers reicht nicht bei einem Zeitgenossen, der als Dichter in die Menschheitsgeschichte eingehen wollte. Behrens zitiert seitenlang Verse Bechers, aber nur illustrativ, ohne jede Interpretation. Wesentliches wird ausgeblendet. Ein Germanist hätte Bechers liebste Zeitschrift "Sinn und Form" und das prekäre Verhältnis zum Chefredakteur Peter Huchel ins Zentrum gerückt oder die Fürsorge für Hans Fallada mit der beiden gemeinsamen Rauschgiftsucht zusammengedacht, auch Bechers autobiographische Aufzeichnungen anders gewichtet. Es finden sich allerlei Irrtümer bei Namen und Fakten, zum Beispiel hat der Diplomat und Schriftsteller F.C. Weiskopf nie mit dem Kommunismus gebrochen. Auch die Behauptung, Becher habe kurz vor seinem Tode im Sozialismus den Grundirrtum seines Lebens gesehen, ist eine unzulässige Vereinfachung, denn der Dichter hat nur die Annahme verworfen, der Sozialismus beende die menschliche Tragik, sei selber frei von Barbarei. Behrens selbst zitiert die Stelle ausführlich. Becher hat sein sozialistisches Bekenntnis vom kitschigen Glücksidyll befreit, es gleichsam gehärtet.
Es ist erfreulich, wenn eine Dissertation sich vom Fachjargon freizuhalten sucht. Der vom Verfasser aber manchmal angeschlagene flapsige Ton taugt nicht als Gegenmittel. Nur zwei Beispiele: "Bis August 1914 geschah in Bechers Leben nichts. Es wälzte sich dahin." Oder: "Diese Freiheit aber tat ihm nicht gut. Er glitt ab ins Drogenmilieu, in eine jugendliche Subkultur."
Behrens moralisiert gern, erhebt allzu oft den Vorwurf der "karrieristischen Heuchelei", als müsse er ein langes psychologisches Gutachten über einen unangenehmen Charakter abliefern. Behrens räumt aber ein, dass die Urgründe des intelligenten, empfindsamen und angsterfüllten Mannes kaum zu klären seien. Hätte er die Rätselhaftigkeit seines Protagonisten ernster genommen, hätte er mehr Biograph sein müssen (und weniger ein von der Stofffülle des Jahrhunderts erdrückter Historiker), einer, der sich und uns Fragen stellt, anstatt sich mit forschen Urteilen zu behelfen.
Manfred Jäger über Alexander Behrens: "Johannes R. Becher - Eine politische Biographie". Böhlau Verlag, Köln. 354 Seiten, Euro 26,90.
Mittenzwei wünscht sich eine differenziertere, sprich - alles in allem - freundlichere Bewertung Bechers. Diese Forderung wird so schnell nicht erfüllt werden. Die so genannte Nachwelt hält sich vorerst an die vorherrschenden Urteile der Mitwelt, der Becher vor allem Angriffsflächen bot. Die Biographie von Alexander Behrens verweigert sich der Ehrenrettung. Um Rehabilitierung eines vermeintlich Verkannten kann es nicht gehen. Der distanzierte Zugriff wirkt auf den ersten Blick wissenschaftlich korrekt. Dass er aus einem strikt antikommunistischen Vorverständnis schreibt, sollte ihm nicht vorgeworfen werden, auch wenn das der Einfühlung in die Gedankenwelt seines fragwürdigen Helden Grenzen setzt.
In zehn Kapiteln beschreibt er chronologisch wohlgeordnet Bechers Lebensweg. Mit Recht korrigiert er die Vereinfachungen, die den ganz jungen Becher als Opfer unmenschlicher Zustände stilisierten. Als er in pubertärer Ekstase mit der Freundin aus dem Leben scheiden wollte und er bei dem, wie die Juristen sagen, "einseitig erfolgreichen Doppelselbstmordversuch" überlebte, halfen ihm sowohl der oft als reaktionär gebrandmarkte Vater wie der Lehrkörper des Münchner Wilhelmsgymnasiums, der dem Schüler eine halt- und sinnlose Verliebtheit, eine maßlose Dichtereitelkeit und einen irregeleiteten Idealismus bescheinigte.
Der Vater half ihm finanziell bei den Versuchen, seine expressionistischen Gedichte zu publizieren, und bei den schmerzhaften Entziehungskuren, die ihn vom Morphiumgenuss abbringen sollten. Der Autor unterschätzt die Kontinuitäten, die charakterlichen Konstanten Bechers. Gefährdet und unsicher suchte er Halt und Rettung, aber er fand auf Dauer die ersehnte Erlösung nicht, auch nicht in der kommunistischen Bewegung. Bei Behrens fehlt, dass Becher ein Leben lang Morphinist blieb, dass er auch als Kulturminister der DDR nicht ohne Drogen auskam, die er sich über Westberlin verschaffen musste.
Behrens betont zu Recht Bechers virtuose Assimilationskraft. Als Dichter greift er ein wolkiges Vokabular heiliger oder vaterländischer Metaphern auf. Auch als kommunistischer Klassizist bleibt er diesem Pathos verpflichtet, äußert er sich epigonal hölderlinisch. Schon der Expressionist Becher kleidete sich in christliche Heilsgewänder. Wie sollte er sich kostümieren, wo sollte er sich festbinden? In Bad Urach probierte er das Leben in einer jugendbewegten, lebensreformerischen Kleinkommune aus, und die KPD erfüllte für ihn zunächst die gleiche Funktion wie eine spiritistische Sekte.
"Frühe Bewährung im Parteitagsapparat" nennt Behrens das Kapitel über die Jahre 1923 bis 1926. Sich der Parteidisziplin zu unterwerfen, bot dem psychisch Labilen die ersehnte Entlastung. Er litt nicht unter Abhängigkeiten, sondern unter der Formlosigkeit der Freiheit. Von Anfang an galt Becher als "Bündnismann". Er baute Netzwerke aus Sympathisanten auf, die der kommunistischen Sache dienten. Der Charmeur umgarnte linksbürgerliche Autoren. Der gewandte Kontaktmann und hervorragende Organisator beherrschte den Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Becher orientierte früh auf das Erbe, risikolos, weil Stalin konservativ-patriotisch den Proletkult liquidiert hatte.
Nach 1933 bekräftigte er als Redner auf dem sowjetischen Schriftstellerkongress 1934 und auf dem Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Paris 1935 diese humanistische Position der Bewahrung abendländischer Traditionen gegen anarchistisches Revoluzzertum. Dazu gehörte kein Mut, die kommunistischen Parteiorganisationen beanspruchten längst, die Treuhänder der überlieferten Menschheitskultur zu sein. Johannes R. Becher hatte schreckliche Jahre des Exils in der Sowjetunion verbringen müssen, von 1935 bis 1945. Hochgefährdet und doch ein Glückskind? Er überlebte die Säuberungen und 1942 auch den Selbstmordversuch. 1945 kam er enthusiastisch in die Sowjetzone und spielte überzeugend überparteiliche Bündnispolitik vor, besonders im Kulturbund.
Als erster Kulturminister der DDR wurde er mehr und mehr zum Repräsentanten ohne Einfluss. Alexander Behrens fasst alles zusammen, und doch ist der Leser enttäuscht. Der Verfasser verfitzt sich in den heute belanglosen Ost/Weststreitigkeiten um den "Kongress für kulturelle Freiheit", die Spaltung des PEN-Zentrums oder die von Becher inspirierten deutsch-deutschen Kulturgespräche. Im Wust unwichtiger Details verschwindet Johannes R. Becher.
Das Adjektiv "politisch" im Untertitel "Eine politische Biographie" präzisiert Lesererwartungen, markiert aber vor allem eine Lücke. Der Zugriff des Historikers reicht nicht bei einem Zeitgenossen, der als Dichter in die Menschheitsgeschichte eingehen wollte. Behrens zitiert seitenlang Verse Bechers, aber nur illustrativ, ohne jede Interpretation. Wesentliches wird ausgeblendet. Ein Germanist hätte Bechers liebste Zeitschrift "Sinn und Form" und das prekäre Verhältnis zum Chefredakteur Peter Huchel ins Zentrum gerückt oder die Fürsorge für Hans Fallada mit der beiden gemeinsamen Rauschgiftsucht zusammengedacht, auch Bechers autobiographische Aufzeichnungen anders gewichtet. Es finden sich allerlei Irrtümer bei Namen und Fakten, zum Beispiel hat der Diplomat und Schriftsteller F.C. Weiskopf nie mit dem Kommunismus gebrochen. Auch die Behauptung, Becher habe kurz vor seinem Tode im Sozialismus den Grundirrtum seines Lebens gesehen, ist eine unzulässige Vereinfachung, denn der Dichter hat nur die Annahme verworfen, der Sozialismus beende die menschliche Tragik, sei selber frei von Barbarei. Behrens selbst zitiert die Stelle ausführlich. Becher hat sein sozialistisches Bekenntnis vom kitschigen Glücksidyll befreit, es gleichsam gehärtet.
Es ist erfreulich, wenn eine Dissertation sich vom Fachjargon freizuhalten sucht. Der vom Verfasser aber manchmal angeschlagene flapsige Ton taugt nicht als Gegenmittel. Nur zwei Beispiele: "Bis August 1914 geschah in Bechers Leben nichts. Es wälzte sich dahin." Oder: "Diese Freiheit aber tat ihm nicht gut. Er glitt ab ins Drogenmilieu, in eine jugendliche Subkultur."
Behrens moralisiert gern, erhebt allzu oft den Vorwurf der "karrieristischen Heuchelei", als müsse er ein langes psychologisches Gutachten über einen unangenehmen Charakter abliefern. Behrens räumt aber ein, dass die Urgründe des intelligenten, empfindsamen und angsterfüllten Mannes kaum zu klären seien. Hätte er die Rätselhaftigkeit seines Protagonisten ernster genommen, hätte er mehr Biograph sein müssen (und weniger ein von der Stofffülle des Jahrhunderts erdrückter Historiker), einer, der sich und uns Fragen stellt, anstatt sich mit forschen Urteilen zu behelfen.
Manfred Jäger über Alexander Behrens: "Johannes R. Becher - Eine politische Biographie". Böhlau Verlag, Köln. 354 Seiten, Euro 26,90.